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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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grünt zurücktreten, die in dieser Beziehung ohne Einfluß sind. Nur in seinen
schlechteren Romanen, z. B. i" Peveril, thut W. Scott darin mitunter einen
Fehlgriff. In dem Roman der Fanny Lewald finden wir für den Unterschied der
Zeiten, die wirklich geschildert werden, nud der Zeiten, über die wir flüchtig
hinwegeilen, gar kein Gesetz. Ein eigentlicher Hauptcharakter ist zwar nicht vor¬
handen, denn Friedrich, der scheinbare Held, ist die schlechteste Figur'im ganzen
Buch, eine Entwickelung seines Charakters findet nicht statt, da er ohne alle
Bestimmtheit, ohne inneres Gesetz ist. Allein mit großer Vorliebe ist ein zweiter
Charakter, Cornelie, geschildert. Eine Krisis ihres Lebens, die Erschütterung,
durch die sie vom Pietismus zurückgeführt wird, ist ganz vortrefflich und mit
wirklich poetischer Begabung ausgemalt, wie denn anch ihr Gegensatz, der Herr
von Plessen, zu den besten Figuren des Romans gehört; aber nachdem diese
Krisis vorüber ist, bleibt uns ihr Uebergang in ein anderes Leben vollkommen
unklar, und sie verliert sich ebenso in einen blassen Gedankenschcmen, wie der
Doctor, mit dem fleuch verheirathet. Hier mußte die Schilderung grade sehr
ausführlich nud detaillirt sein, denn die innere Reinigung und Läuterung einer
bedeutenden Seele ans schweren Verirrungen wollen wir uns nicht blos ganz im
allgemeinen erzählen lassen, wir wollen sie vor Augen sehen. Die Dichterinnen
lieben es überhaupt, ihres Gleichen zu schildern, und es wäre eine sehr inter¬
essante Aufgabe, wenn sie uns einmal die kleinen endlichen Bedingungen dieses
Lebens mit Wärme und Gewissenhaftigkeit schildern wollten; aber sie fassen in der
Regel nur die ideale, d. h. unwirkliche Seite auf: entweder lassen sie Jlda
Schvnholm vor den Augen ihres Anbeters, der vor ihren fabelhaft kleinen Füßchen
ans den Knien liegt, ans einem rothen Shawl und in transparenter Abend-
beleuchtung gen Himmel fahren, oder sie geben uns nnr ihre Meinungen, An¬
sichten und literarischen Principien und dergleichen, die wir ebenso gut ans ihren
Büchern uns abstrahiren könnten. In dem wirklichen Leben einer Schriftstellerin
liegen viel interessantere Momente, viel Sorge, Kummer und Noth, viel Krän¬
kungen und zerstörte Illusionen, aber anch viel stille Frende und heimliches Glück.
Und das alles deutlich vor die Seele zu führen, würde eine sehr dankenswerthe
Aufgabe sei", und es würde auch in diesem speciellen Fall für den- interessant
angelegten Charakter ein passender Abschluß gewesen sein. Es mußte uns gezeigt
werden, wie Cornelie mit der Feder ihr täglich Brot verdient und dadurch aus
ihren Visionen herausgerissen wird; sonst bleibt sie doch nur gnädige Frau, was
sie früher war, und ihre geistige Entwickelung fällt dem Zufall anheim.

Der vortrefflichste Theil des Romans ist die Schilderung der aristokratischen
Familie. Sie ist in allen ihren Theilen richtig, menschlich wahr und sogar mit
einer gewissen Wärme durchgeführt, obgleich die Principien der Familie mit denen
der Dichterin im schroffsten Widerspruch stehen, wenigstens scheinbar, denn eigent¬
lich glauben wir wol nicht zu irren, wenn wir in ihrer Seele mehr aristokratische


grünt zurücktreten, die in dieser Beziehung ohne Einfluß sind. Nur in seinen
schlechteren Romanen, z. B. i» Peveril, thut W. Scott darin mitunter einen
Fehlgriff. In dem Roman der Fanny Lewald finden wir für den Unterschied der
Zeiten, die wirklich geschildert werden, nud der Zeiten, über die wir flüchtig
hinwegeilen, gar kein Gesetz. Ein eigentlicher Hauptcharakter ist zwar nicht vor¬
handen, denn Friedrich, der scheinbare Held, ist die schlechteste Figur'im ganzen
Buch, eine Entwickelung seines Charakters findet nicht statt, da er ohne alle
Bestimmtheit, ohne inneres Gesetz ist. Allein mit großer Vorliebe ist ein zweiter
Charakter, Cornelie, geschildert. Eine Krisis ihres Lebens, die Erschütterung,
durch die sie vom Pietismus zurückgeführt wird, ist ganz vortrefflich und mit
wirklich poetischer Begabung ausgemalt, wie denn anch ihr Gegensatz, der Herr
von Plessen, zu den besten Figuren des Romans gehört; aber nachdem diese
Krisis vorüber ist, bleibt uns ihr Uebergang in ein anderes Leben vollkommen
unklar, und sie verliert sich ebenso in einen blassen Gedankenschcmen, wie der
Doctor, mit dem fleuch verheirathet. Hier mußte die Schilderung grade sehr
ausführlich nud detaillirt sein, denn die innere Reinigung und Läuterung einer
bedeutenden Seele ans schweren Verirrungen wollen wir uns nicht blos ganz im
allgemeinen erzählen lassen, wir wollen sie vor Augen sehen. Die Dichterinnen
lieben es überhaupt, ihres Gleichen zu schildern, und es wäre eine sehr inter¬
essante Aufgabe, wenn sie uns einmal die kleinen endlichen Bedingungen dieses
Lebens mit Wärme und Gewissenhaftigkeit schildern wollten; aber sie fassen in der
Regel nur die ideale, d. h. unwirkliche Seite auf: entweder lassen sie Jlda
Schvnholm vor den Augen ihres Anbeters, der vor ihren fabelhaft kleinen Füßchen
ans den Knien liegt, ans einem rothen Shawl und in transparenter Abend-
beleuchtung gen Himmel fahren, oder sie geben uns nnr ihre Meinungen, An¬
sichten und literarischen Principien und dergleichen, die wir ebenso gut ans ihren
Büchern uns abstrahiren könnten. In dem wirklichen Leben einer Schriftstellerin
liegen viel interessantere Momente, viel Sorge, Kummer und Noth, viel Krän¬
kungen und zerstörte Illusionen, aber anch viel stille Frende und heimliches Glück.
Und das alles deutlich vor die Seele zu führen, würde eine sehr dankenswerthe
Aufgabe sei», und es würde auch in diesem speciellen Fall für den- interessant
angelegten Charakter ein passender Abschluß gewesen sein. Es mußte uns gezeigt
werden, wie Cornelie mit der Feder ihr täglich Brot verdient und dadurch aus
ihren Visionen herausgerissen wird; sonst bleibt sie doch nur gnädige Frau, was
sie früher war, und ihre geistige Entwickelung fällt dem Zufall anheim.

Der vortrefflichste Theil des Romans ist die Schilderung der aristokratischen
Familie. Sie ist in allen ihren Theilen richtig, menschlich wahr und sogar mit
einer gewissen Wärme durchgeführt, obgleich die Principien der Familie mit denen
der Dichterin im schroffsten Widerspruch stehen, wenigstens scheinbar, denn eigent¬
lich glauben wir wol nicht zu irren, wenn wir in ihrer Seele mehr aristokratische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/371>, abgerufen am 23.07.2024.