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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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frühster Jugend auf an Abstraction und Analyse gewöhnt, ihre Studien, ihre
Beschäftigungen, ja selbst die Interessen ihres Ehrgeizes und die Gebote ihrer
Pflicht beziehen sich immer ans allgemeine Regeln und ans Zergliederungen. So
widerfährt es ihnen in der Regel, daß die Stimme ihres Instincts, oder wenn
man will, ihr unmittelbares Urtheil, i" den Hintergrund tritt, und daß sie es
erst mit einer gewissen Anstrengung wieder hervorrufen müssen. Darum hat ein
tüchtiger, fester, harmonisch gebildeter und in sich selbst klarer Frauencharakter in
der Regel vollkommen recht, wenn er in Fragen, die allgemein menschlicher
Natur sind, und die sich auf individuelle, nahe liegende Verhältnisse beziehen,
ruhig seinem Jnstinct folgt und sich durch kein Raisonnement beirren läßt, weil
im Raisonnement ein Rechnungsfehler sein kann, während das Gefühl, wenn
mau ihm nur einen freien und natürlichen Ausdruck verstattet, nie irrt.

Ganz anders aber wird das Verhältniß, wenn sich die Frauen ans Reflexio¬
nen, auf Raisonnements, auf allgemeine Regeln und auf Analyse einlassen. Auch
hier gelingt es ihnen häufig, die Männer zum Schweigen zu bringen. Der
Grund davon liegt aber, abgesehen von der Höflichkeit, die man Frauen gegen¬
über doch selteu ganz aus deu Augen läßt, in der Regel darin, daß es absolut
.unmöglich ist, ihrem Gedankengang zu folgen. Die Logik der Frauen ist eine
ganz andere, als die der Männer. Der Mann wird von der frühsten Jugend
an Folgerichtigkeit und Gewissenhaftigkeit im Denken gewöhnt, und es gehört
schon ein ziemlicher Grad von natürlicher Geistesschwache dazu, wenn diese
Erziehung ganz ohne Wirkung bleiben soll. Die Frau dagegen wird, wie es auch
ihrer Natur ganz angemessen ist, mehr durch Beispiele, als durch Regeln gebildet,
und die Form ihres Schließen" ist daher im besten Falle die Induction, in der
Regel aber die Ideenassociation. Sie sind von einer wunderbare", unerschöpf¬
lichen Schlagfertigkeit in der Herbeiziehung von Vergleichungen und Combinationen,
und wenn man sich im Gespräch erst jedesmal überlegen will, inwiefern der
Vergleich paßt und inwiefern nicht, gibt man seine Sache schon verloren, denn
ehe mau noch damit fertig ist, das Unpassende eines Vergleichs gründlich nach¬
zuweisen, ist schon ein andrer bei der Hand, der häufig uicht im geringste"
Zusammenhang mit jenem steht, und wenn man dasselbe Experiment mehrmals
hintereinander wiederholen wollte, so würde mau Langeweile erregen und ganz
und gar verloren sein. Die Romane der Gräfin Hahn sind übervoll von solchen
Beispielen weiblichen Raisonnements. Andre Frauen siud darin freilich nicht so
übermüthig, selbstgefällig und impertinent, im Grunde ist aber die Verschiedenheit
nicht groß. Darum ist es auch ganz vergeblich, eine Frau durch Raisonnement
überführen zu wollen, weil ihr Raisonnement nur eine scheinbare Waffe ist,
während sie eigentlich immer durch ihr Gefühl bestimmt wird. Nur durch Ein¬
wirkung auf ihr Gefühl oder ihre Phantasie kann man über sie Herr werden.

Es liegt nun nahe, daß die Frauen, wenn sie schriftstellerisches Talent habe",


frühster Jugend auf an Abstraction und Analyse gewöhnt, ihre Studien, ihre
Beschäftigungen, ja selbst die Interessen ihres Ehrgeizes und die Gebote ihrer
Pflicht beziehen sich immer ans allgemeine Regeln und ans Zergliederungen. So
widerfährt es ihnen in der Regel, daß die Stimme ihres Instincts, oder wenn
man will, ihr unmittelbares Urtheil, i» den Hintergrund tritt, und daß sie es
erst mit einer gewissen Anstrengung wieder hervorrufen müssen. Darum hat ein
tüchtiger, fester, harmonisch gebildeter und in sich selbst klarer Frauencharakter in
der Regel vollkommen recht, wenn er in Fragen, die allgemein menschlicher
Natur sind, und die sich auf individuelle, nahe liegende Verhältnisse beziehen,
ruhig seinem Jnstinct folgt und sich durch kein Raisonnement beirren läßt, weil
im Raisonnement ein Rechnungsfehler sein kann, während das Gefühl, wenn
mau ihm nur einen freien und natürlichen Ausdruck verstattet, nie irrt.

Ganz anders aber wird das Verhältniß, wenn sich die Frauen ans Reflexio¬
nen, auf Raisonnements, auf allgemeine Regeln und auf Analyse einlassen. Auch
hier gelingt es ihnen häufig, die Männer zum Schweigen zu bringen. Der
Grund davon liegt aber, abgesehen von der Höflichkeit, die man Frauen gegen¬
über doch selteu ganz aus deu Augen läßt, in der Regel darin, daß es absolut
.unmöglich ist, ihrem Gedankengang zu folgen. Die Logik der Frauen ist eine
ganz andere, als die der Männer. Der Mann wird von der frühsten Jugend
an Folgerichtigkeit und Gewissenhaftigkeit im Denken gewöhnt, und es gehört
schon ein ziemlicher Grad von natürlicher Geistesschwache dazu, wenn diese
Erziehung ganz ohne Wirkung bleiben soll. Die Frau dagegen wird, wie es auch
ihrer Natur ganz angemessen ist, mehr durch Beispiele, als durch Regeln gebildet,
und die Form ihres Schließen« ist daher im besten Falle die Induction, in der
Regel aber die Ideenassociation. Sie sind von einer wunderbare«, unerschöpf¬
lichen Schlagfertigkeit in der Herbeiziehung von Vergleichungen und Combinationen,
und wenn man sich im Gespräch erst jedesmal überlegen will, inwiefern der
Vergleich paßt und inwiefern nicht, gibt man seine Sache schon verloren, denn
ehe mau noch damit fertig ist, das Unpassende eines Vergleichs gründlich nach¬
zuweisen, ist schon ein andrer bei der Hand, der häufig uicht im geringste»
Zusammenhang mit jenem steht, und wenn man dasselbe Experiment mehrmals
hintereinander wiederholen wollte, so würde mau Langeweile erregen und ganz
und gar verloren sein. Die Romane der Gräfin Hahn sind übervoll von solchen
Beispielen weiblichen Raisonnements. Andre Frauen siud darin freilich nicht so
übermüthig, selbstgefällig und impertinent, im Grunde ist aber die Verschiedenheit
nicht groß. Darum ist es auch ganz vergeblich, eine Frau durch Raisonnement
überführen zu wollen, weil ihr Raisonnement nur eine scheinbare Waffe ist,
während sie eigentlich immer durch ihr Gefühl bestimmt wird. Nur durch Ein¬
wirkung auf ihr Gefühl oder ihre Phantasie kann man über sie Herr werden.

Es liegt nun nahe, daß die Frauen, wenn sie schriftstellerisches Talent habe»,


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[0368] frühster Jugend auf an Abstraction und Analyse gewöhnt, ihre Studien, ihre Beschäftigungen, ja selbst die Interessen ihres Ehrgeizes und die Gebote ihrer Pflicht beziehen sich immer ans allgemeine Regeln und ans Zergliederungen. So widerfährt es ihnen in der Regel, daß die Stimme ihres Instincts, oder wenn man will, ihr unmittelbares Urtheil, i» den Hintergrund tritt, und daß sie es erst mit einer gewissen Anstrengung wieder hervorrufen müssen. Darum hat ein tüchtiger, fester, harmonisch gebildeter und in sich selbst klarer Frauencharakter in der Regel vollkommen recht, wenn er in Fragen, die allgemein menschlicher Natur sind, und die sich auf individuelle, nahe liegende Verhältnisse beziehen, ruhig seinem Jnstinct folgt und sich durch kein Raisonnement beirren läßt, weil im Raisonnement ein Rechnungsfehler sein kann, während das Gefühl, wenn mau ihm nur einen freien und natürlichen Ausdruck verstattet, nie irrt. Ganz anders aber wird das Verhältniß, wenn sich die Frauen ans Reflexio¬ nen, auf Raisonnements, auf allgemeine Regeln und auf Analyse einlassen. Auch hier gelingt es ihnen häufig, die Männer zum Schweigen zu bringen. Der Grund davon liegt aber, abgesehen von der Höflichkeit, die man Frauen gegen¬ über doch selteu ganz aus deu Augen läßt, in der Regel darin, daß es absolut .unmöglich ist, ihrem Gedankengang zu folgen. Die Logik der Frauen ist eine ganz andere, als die der Männer. Der Mann wird von der frühsten Jugend an Folgerichtigkeit und Gewissenhaftigkeit im Denken gewöhnt, und es gehört schon ein ziemlicher Grad von natürlicher Geistesschwache dazu, wenn diese Erziehung ganz ohne Wirkung bleiben soll. Die Frau dagegen wird, wie es auch ihrer Natur ganz angemessen ist, mehr durch Beispiele, als durch Regeln gebildet, und die Form ihres Schließen« ist daher im besten Falle die Induction, in der Regel aber die Ideenassociation. Sie sind von einer wunderbare«, unerschöpf¬ lichen Schlagfertigkeit in der Herbeiziehung von Vergleichungen und Combinationen, und wenn man sich im Gespräch erst jedesmal überlegen will, inwiefern der Vergleich paßt und inwiefern nicht, gibt man seine Sache schon verloren, denn ehe mau noch damit fertig ist, das Unpassende eines Vergleichs gründlich nach¬ zuweisen, ist schon ein andrer bei der Hand, der häufig uicht im geringste» Zusammenhang mit jenem steht, und wenn man dasselbe Experiment mehrmals hintereinander wiederholen wollte, so würde mau Langeweile erregen und ganz und gar verloren sein. Die Romane der Gräfin Hahn sind übervoll von solchen Beispielen weiblichen Raisonnements. Andre Frauen siud darin freilich nicht so übermüthig, selbstgefällig und impertinent, im Grunde ist aber die Verschiedenheit nicht groß. Darum ist es auch ganz vergeblich, eine Frau durch Raisonnement überführen zu wollen, weil ihr Raisonnement nur eine scheinbare Waffe ist, während sie eigentlich immer durch ihr Gefühl bestimmt wird. Nur durch Ein¬ wirkung auf ihr Gefühl oder ihre Phantasie kann man über sie Herr werden. Es liegt nun nahe, daß die Frauen, wenn sie schriftstellerisches Talent habe»,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/368>, abgerufen am 03.07.2024.