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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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gewesen, überall für die Entwickelung des constitutionellen Lebens in Deutschland
einzutreten; nnr möchten wir noch stärker hervorheben als der Verfasser, daß der
Constitutionalismus der einzige Weg zur Bildung einer allgemeinen Gesinnung
ist, ans der allein die Einigung Deutschlands hervorgehen kann. -- Auch was
er über die Gothaer Partei sagt, ist vollkommen richtig. Er formulirt als ihren
Grundgedanken: "die Staatskräfte Preußens in deu Dienst der Revolution zu
ziehen, die organisirte preußische Macht zum Werkzeuge der politischen Einigung
Deutschlands zu machen." Weil sie mit falschen Thatsachen rechneten und zwei¬
mal zugestehen mußten, sich getäuscht zu haben, sind sie nach der Ansicht des
Verfassers für die Gegenwart unmöglich geworden, ohne daß damit ihre Ele¬
mente und ihre leitenden Gedanken für die Zukunft verbraucht wären. Einen
Umstand hat der Versasser bei dieser Kritik vergessen. Der scheinbare Mittel¬
punkt der gothaischen Partei war allerdings in Frankfurt, aber hier konnte ihre
Aufgabe lediglich die sein, die öffentliche Meinung Deutschlands für die Hegemonie
Preußens zu gewinnen. Dieser Theil der Ausgabe ist zur Noth gelöst worden,
der schwerere Theil derselben bestand aber darin, sich der preußischen Staatskräfte
zu bemächtigen. Das konnte von Frankfurt aus nicht geschehen und darum war
der Mittelpunkt der Partei nicht in Frankfurt, soudern in Berlin. Die Schuld
an dem Scheitern der Parteizwecke fällt nicht auf Gagern und seine Freunde,
sondern ans die beiden liberalen Ministerien Camphausen und Auerswald. Mit
der Schwäche und Hilflosigkeit dieser beiden Ministerien war eigentlich der Unter¬
gang der deutschen Sache schon entschieden, denn unter dem absolutistischen
Ministerium war die parlamentarische Partei auf bloße Bitten und Ermahnungen
eingeschränkt, sie hatte der Kraft keine Kraft entgegenzusetzen und es war mir
dnrch eine Verkettung der seltsamsten Zufälle möglich, daß man überhaupt noch
an die Ausführung der Idee denken konnte. Wenn wir also mit dem Versasser
darin übereinstimmen, daß die Führer der gothaischen Partei für jetzt verbraucht
sind, weil sie sowol bei den Regierungen als bei dem Publicum das Vertrauen
verloren haben, so müssen wir doch behaupten, daß nicht nnr möglicherweise, son¬
dern ganz nothwendig der Partei, wie der Verfasser sie definirt, die Zukunft
gehört, und wir werden finden, daß der Verfasser zu dem nämlichen Resultat
kommt, ohne es offen auszusprechen.

Auch die Fehlgriffe der Demokratie werden unparteiisch charakterisirt. Sie
hat die revolutionäre Bedeutung der Märzereignisse überschätzt, sie hat die eigenen
Ansichten, Leidenschaften und Zwecke dem deutschen Volke in Masse untergelegt.
"Dieser Fehler hängt zusammen mit dem sonderbaren Glauben an eine selbststän¬
dige Macht von Ideen und Principien, die doch alle ihre Macht nur von den
Menschen leihen und die vollkommen ohnmächtig sind einem Parlament oder
einem Volk gegenüber, welches ihnen, gleichviel ob aus richtiger Erkenntniß oder


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gewesen, überall für die Entwickelung des constitutionellen Lebens in Deutschland
einzutreten; nnr möchten wir noch stärker hervorheben als der Verfasser, daß der
Constitutionalismus der einzige Weg zur Bildung einer allgemeinen Gesinnung
ist, ans der allein die Einigung Deutschlands hervorgehen kann. — Auch was
er über die Gothaer Partei sagt, ist vollkommen richtig. Er formulirt als ihren
Grundgedanken: „die Staatskräfte Preußens in deu Dienst der Revolution zu
ziehen, die organisirte preußische Macht zum Werkzeuge der politischen Einigung
Deutschlands zu machen." Weil sie mit falschen Thatsachen rechneten und zwei¬
mal zugestehen mußten, sich getäuscht zu haben, sind sie nach der Ansicht des
Verfassers für die Gegenwart unmöglich geworden, ohne daß damit ihre Ele¬
mente und ihre leitenden Gedanken für die Zukunft verbraucht wären. Einen
Umstand hat der Versasser bei dieser Kritik vergessen. Der scheinbare Mittel¬
punkt der gothaischen Partei war allerdings in Frankfurt, aber hier konnte ihre
Aufgabe lediglich die sein, die öffentliche Meinung Deutschlands für die Hegemonie
Preußens zu gewinnen. Dieser Theil der Ausgabe ist zur Noth gelöst worden,
der schwerere Theil derselben bestand aber darin, sich der preußischen Staatskräfte
zu bemächtigen. Das konnte von Frankfurt aus nicht geschehen und darum war
der Mittelpunkt der Partei nicht in Frankfurt, soudern in Berlin. Die Schuld
an dem Scheitern der Parteizwecke fällt nicht auf Gagern und seine Freunde,
sondern ans die beiden liberalen Ministerien Camphausen und Auerswald. Mit
der Schwäche und Hilflosigkeit dieser beiden Ministerien war eigentlich der Unter¬
gang der deutschen Sache schon entschieden, denn unter dem absolutistischen
Ministerium war die parlamentarische Partei auf bloße Bitten und Ermahnungen
eingeschränkt, sie hatte der Kraft keine Kraft entgegenzusetzen und es war mir
dnrch eine Verkettung der seltsamsten Zufälle möglich, daß man überhaupt noch
an die Ausführung der Idee denken konnte. Wenn wir also mit dem Versasser
darin übereinstimmen, daß die Führer der gothaischen Partei für jetzt verbraucht
sind, weil sie sowol bei den Regierungen als bei dem Publicum das Vertrauen
verloren haben, so müssen wir doch behaupten, daß nicht nnr möglicherweise, son¬
dern ganz nothwendig der Partei, wie der Verfasser sie definirt, die Zukunft
gehört, und wir werden finden, daß der Verfasser zu dem nämlichen Resultat
kommt, ohne es offen auszusprechen.

Auch die Fehlgriffe der Demokratie werden unparteiisch charakterisirt. Sie
hat die revolutionäre Bedeutung der Märzereignisse überschätzt, sie hat die eigenen
Ansichten, Leidenschaften und Zwecke dem deutschen Volke in Masse untergelegt.
„Dieser Fehler hängt zusammen mit dem sonderbaren Glauben an eine selbststän¬
dige Macht von Ideen und Principien, die doch alle ihre Macht nur von den
Menschen leihen und die vollkommen ohnmächtig sind einem Parlament oder
einem Volk gegenüber, welches ihnen, gleichviel ob aus richtiger Erkenntniß oder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/361>, abgerufen am 23.07.2024.