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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Wir sind fest überzeugt, daß der Socialismus noch einmal eine gewaltige Erhebung
nach sich ziehen wird, wir rechnen aber ebenso fest darauf, daß hier die gesammte
Bildung auf Seiten des Christenthums stehen wird, denn der Socialismus ist
die ausgesprochene Barbarei. Daß übrigens auch dieses neue Evangelium nicht
ungeschickt in der Anwendung christlicher Phrasen gewesen ist, zeigen die Schriften
von Lamennais. In Deutschland hat diese Tendenz bisher noch wenig Boden
gefunden, und es ist ein sehr erfreuliches Zeichen, daß neuerdings auch die
demokratische Partei anfängt, sich sehr entschieden dagegen auszusprechen, obgleich
wir nicht daran zweifeln, daß auch für Deutschland der Socialismus noch eine
Zukunft hat. Am verwandtesten mit diesen französischen Neligionsversnchen dürften
Danaer's Schriften sein, in denen zwar nichts von jenem wilden revolutionären
Geist zu finden ist, der dem französischen Socialismus seinen bestimmten Charakter
gibt, wol aber jene krankhafte Verehrung der Sinnlichkeit, die aus Danaer
sogar einen erklärten Mahomedaner gemacht hat.

Der dritte Religionsversnch ist specifisch deutscher Art. Er ist aus der
deutschen Philosophie hervorgegangen, und namentlich aus der Wendung, die ihr
Feuerbach gegeben hat. Feuerbach hat sich mit den positiven Idealen des Christen¬
thums, mit den Eigenschaften, die Gott beigelegt wurden, im wesentlichen ein¬
verstanden erklärt; er hat den Irrthum des Christenthums nur darin gefunden,
daß es diese Eigenschaften, die eigentlich der Menschheit zukämen, einem über¬
irdischen Wesen beigelegt, daß es, um Gott und den Himmel zu bereichern und
zu verherrlichen, die Erde und die Menschheit arm und elend gemacht habe. Es
ist diese Richtung also eigentlich durchaus kritisch. Zwar hat Feuerbach sein
umgekehrtes Christenthum bis auf die Sacramente hin ausgemalt; er macht z. B.
aus der Taufe ein Symbol der erfrischenden Kraft des Wassers und ans dem
Abendmahl eine Anerkennung der wohlthätige" Wirkungen deö Brodes und des
Weins; allein diese Symbolik ist zu nüchtern und inhaltlos, um die Menschen
mit sich fortzureißen. An dieser Nüchternheit sind unter andern auch die
sogenannten freien Gemeinden zu Grunde gegangen. Zwar ist in den demokra¬
tischen Bewegungen des vorigen Jahrzehends mehrfach der Versuch gemacht
worden, den politischen Bestrebungen durch die Religion des Humanismus eine
gewisse Weihe zu geben, und die Idee der Volkssouveränetät, des allgemeinen
Wahlrechts, der Geschwornen ze. zu Symbolen und zu Dogmen zu verklären;
allein alle diese Forderungen fallen zu sehr in das Gebiet des Verstandes und
des Raisonnements, als daß sie eine Symbolik zuließen. Die sogenannte Religion
des Humanismus, abgesehen von der mit ihr verbundenen kritischen Thätigkeit,
ist also unschädlich, aber anch unfruchtbar, weil sie eigentlich inhaltlos ist, oder
vielmehr weil sie dem menschlichen Bewußtsein keinen neuen überraschende" Inhalt
zuführt, weil sie nicht die Kraft hat, jene" elektrischen Funken hervorzubringen,
der an eine Schöpfung aus den. Nichts erinnert, und das gilt in "och viel


Wir sind fest überzeugt, daß der Socialismus noch einmal eine gewaltige Erhebung
nach sich ziehen wird, wir rechnen aber ebenso fest darauf, daß hier die gesammte
Bildung auf Seiten des Christenthums stehen wird, denn der Socialismus ist
die ausgesprochene Barbarei. Daß übrigens auch dieses neue Evangelium nicht
ungeschickt in der Anwendung christlicher Phrasen gewesen ist, zeigen die Schriften
von Lamennais. In Deutschland hat diese Tendenz bisher noch wenig Boden
gefunden, und es ist ein sehr erfreuliches Zeichen, daß neuerdings auch die
demokratische Partei anfängt, sich sehr entschieden dagegen auszusprechen, obgleich
wir nicht daran zweifeln, daß auch für Deutschland der Socialismus noch eine
Zukunft hat. Am verwandtesten mit diesen französischen Neligionsversnchen dürften
Danaer's Schriften sein, in denen zwar nichts von jenem wilden revolutionären
Geist zu finden ist, der dem französischen Socialismus seinen bestimmten Charakter
gibt, wol aber jene krankhafte Verehrung der Sinnlichkeit, die aus Danaer
sogar einen erklärten Mahomedaner gemacht hat.

Der dritte Religionsversnch ist specifisch deutscher Art. Er ist aus der
deutschen Philosophie hervorgegangen, und namentlich aus der Wendung, die ihr
Feuerbach gegeben hat. Feuerbach hat sich mit den positiven Idealen des Christen¬
thums, mit den Eigenschaften, die Gott beigelegt wurden, im wesentlichen ein¬
verstanden erklärt; er hat den Irrthum des Christenthums nur darin gefunden,
daß es diese Eigenschaften, die eigentlich der Menschheit zukämen, einem über¬
irdischen Wesen beigelegt, daß es, um Gott und den Himmel zu bereichern und
zu verherrlichen, die Erde und die Menschheit arm und elend gemacht habe. Es
ist diese Richtung also eigentlich durchaus kritisch. Zwar hat Feuerbach sein
umgekehrtes Christenthum bis auf die Sacramente hin ausgemalt; er macht z. B.
aus der Taufe ein Symbol der erfrischenden Kraft des Wassers und ans dem
Abendmahl eine Anerkennung der wohlthätige» Wirkungen deö Brodes und des
Weins; allein diese Symbolik ist zu nüchtern und inhaltlos, um die Menschen
mit sich fortzureißen. An dieser Nüchternheit sind unter andern auch die
sogenannten freien Gemeinden zu Grunde gegangen. Zwar ist in den demokra¬
tischen Bewegungen des vorigen Jahrzehends mehrfach der Versuch gemacht
worden, den politischen Bestrebungen durch die Religion des Humanismus eine
gewisse Weihe zu geben, und die Idee der Volkssouveränetät, des allgemeinen
Wahlrechts, der Geschwornen ze. zu Symbolen und zu Dogmen zu verklären;
allein alle diese Forderungen fallen zu sehr in das Gebiet des Verstandes und
des Raisonnements, als daß sie eine Symbolik zuließen. Die sogenannte Religion
des Humanismus, abgesehen von der mit ihr verbundenen kritischen Thätigkeit,
ist also unschädlich, aber anch unfruchtbar, weil sie eigentlich inhaltlos ist, oder
vielmehr weil sie dem menschlichen Bewußtsein keinen neuen überraschende» Inhalt
zuführt, weil sie nicht die Kraft hat, jene» elektrischen Funken hervorzubringen,
der an eine Schöpfung aus den. Nichts erinnert, und das gilt in »och viel


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[0352] Wir sind fest überzeugt, daß der Socialismus noch einmal eine gewaltige Erhebung nach sich ziehen wird, wir rechnen aber ebenso fest darauf, daß hier die gesammte Bildung auf Seiten des Christenthums stehen wird, denn der Socialismus ist die ausgesprochene Barbarei. Daß übrigens auch dieses neue Evangelium nicht ungeschickt in der Anwendung christlicher Phrasen gewesen ist, zeigen die Schriften von Lamennais. In Deutschland hat diese Tendenz bisher noch wenig Boden gefunden, und es ist ein sehr erfreuliches Zeichen, daß neuerdings auch die demokratische Partei anfängt, sich sehr entschieden dagegen auszusprechen, obgleich wir nicht daran zweifeln, daß auch für Deutschland der Socialismus noch eine Zukunft hat. Am verwandtesten mit diesen französischen Neligionsversnchen dürften Danaer's Schriften sein, in denen zwar nichts von jenem wilden revolutionären Geist zu finden ist, der dem französischen Socialismus seinen bestimmten Charakter gibt, wol aber jene krankhafte Verehrung der Sinnlichkeit, die aus Danaer sogar einen erklärten Mahomedaner gemacht hat. Der dritte Religionsversnch ist specifisch deutscher Art. Er ist aus der deutschen Philosophie hervorgegangen, und namentlich aus der Wendung, die ihr Feuerbach gegeben hat. Feuerbach hat sich mit den positiven Idealen des Christen¬ thums, mit den Eigenschaften, die Gott beigelegt wurden, im wesentlichen ein¬ verstanden erklärt; er hat den Irrthum des Christenthums nur darin gefunden, daß es diese Eigenschaften, die eigentlich der Menschheit zukämen, einem über¬ irdischen Wesen beigelegt, daß es, um Gott und den Himmel zu bereichern und zu verherrlichen, die Erde und die Menschheit arm und elend gemacht habe. Es ist diese Richtung also eigentlich durchaus kritisch. Zwar hat Feuerbach sein umgekehrtes Christenthum bis auf die Sacramente hin ausgemalt; er macht z. B. aus der Taufe ein Symbol der erfrischenden Kraft des Wassers und ans dem Abendmahl eine Anerkennung der wohlthätige» Wirkungen deö Brodes und des Weins; allein diese Symbolik ist zu nüchtern und inhaltlos, um die Menschen mit sich fortzureißen. An dieser Nüchternheit sind unter andern auch die sogenannten freien Gemeinden zu Grunde gegangen. Zwar ist in den demokra¬ tischen Bewegungen des vorigen Jahrzehends mehrfach der Versuch gemacht worden, den politischen Bestrebungen durch die Religion des Humanismus eine gewisse Weihe zu geben, und die Idee der Volkssouveränetät, des allgemeinen Wahlrechts, der Geschwornen ze. zu Symbolen und zu Dogmen zu verklären; allein alle diese Forderungen fallen zu sehr in das Gebiet des Verstandes und des Raisonnements, als daß sie eine Symbolik zuließen. Die sogenannte Religion des Humanismus, abgesehen von der mit ihr verbundenen kritischen Thätigkeit, ist also unschädlich, aber anch unfruchtbar, weil sie eigentlich inhaltlos ist, oder vielmehr weil sie dem menschlichen Bewußtsein keinen neuen überraschende» Inhalt zuführt, weil sie nicht die Kraft hat, jene» elektrischen Funken hervorzubringen, der an eine Schöpfung aus den. Nichts erinnert, und das gilt in »och viel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/352>, abgerufen am 01.10.2024.