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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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der Lage ihn anfänglich in tolle Heiterkeit versetzten, und daß er alle'Mühe
hatte, die Schuldigen nicht durch schallendes Gelächter aufzuhetzen und er fühlte
sein Unglück erst nach einiger Zeit. Die Ungetreue, die er statt aller Strafe ein
wenig verhöhnte, suchte ihn zu beugen, verlangte auf den Knien seine Verzeihung
und folgte ihm in dieser Attitüde durch eine lauge Galerie. Stolz verhinderte
ihn zu vergeben, nud er klagte sich später mit Bitterkeit deshalb an, indem er
sich der leidenschaftlichen Geberde von Madame 1'1'1' erinnerte. Nie war sie
ihm so begehrenswerth erschienen, nie hatte sie so viel Liebe gezeigt. Er hatte
dem Stolz das größte Vergnügen ^laisir, wie Merimie sagt) geopfert, das er
mit ihr hatte genießen können. Achtzehn Monate war er trostlos. "Ich war
verstummt," sagte er. "Ich dachte uicht mehr. Ich war unter einer unerträg¬
lichen Last gebeugt, ohne mir klare Rechenschaft geben zu können von dem, was
in mir vorging. Es ist das größte Unglück, es beraubt aller Energie. Später,
als ich ein wenig von dieser drückenden Schwäche mich erholt hatte, empfand ich
eine sonderbare Neugierde, alle ihre Andrenen zu kennen. Ich ließ mir alle
Einzelnheiten davon erzählen. Das verursachte mir ein schreckliches Leid, aber ich
empfand ein gewisses physisches Vergnügen, sie mir in allen Situationen vorzu¬
stellen, in denen mau sie mir beschrieb."

Beyle schien mir stets von der unter dem Kaiserreiche stark verbreiteten Idee
durchdrungen, daß jede Frau mit Sturm genommen werden könne und daß es
Pflicht eines jeden Mannes sei zu versuchen. "Besitzen Sie sie, das ist es, was
Sie ihr zunächst schuldig sind" -- sagte er mir, wenn ich ihm von einer Frau
sprach, in die ich verliebt gewesen. Eines Abends erzählte er mir, daß die
Gräfin " ihm voi statt Isi gesagt, und er fragte mich, ob er sie nicht mit Ge¬
walt nehmen müsse. Ich munterte ihn sehr dazu auf.

Ich habe niemand gekannt, der mit mehr Anständigkeit und Höflichkeit die
Kritiken seiner Werke aufnahm. Seine Freunde sprachen mit ihm immer ohne
alle Schonung. Mehre Male schickte er mir verschiedene Manuscripte, die er
schon Victor Jaquemont mitgetheilt hatte und welche mit Randnoten zurückge¬
kommen waren, wie diese: "Abscheulich, Hausmeisterstil u. s. w." Als er sein
Buch über die Liebe erscheinen ließ, machte man sich, und im Grunde sehr un¬
gerecht, um die Wette darüber lustig. Niemals änderten diese Kritiken etwas an
seinen Verbindungen mit seinen Freunden.

Er schrieb viel und arbeitete lange an seinen Werken. Aber statt deren
Ausführung zu verbessern, gestaltete er den Plan um. Wenn er die Fehler der
einen Bearbeitung wegließ, so geschah es nur, um andere zu machen, denn ich
wüßte nicht, daß er es je versucht habe, seinen Stil zu verbessern. So zerstrichen
anch seine Manuscripte gewesen, man kann sagen, daß sie stets im ersten Wurfe
geschrieben waren.

Seine Briefe sind reizend, es ist seine Conversation selbst.


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der Lage ihn anfänglich in tolle Heiterkeit versetzten, und daß er alle'Mühe
hatte, die Schuldigen nicht durch schallendes Gelächter aufzuhetzen und er fühlte
sein Unglück erst nach einiger Zeit. Die Ungetreue, die er statt aller Strafe ein
wenig verhöhnte, suchte ihn zu beugen, verlangte auf den Knien seine Verzeihung
und folgte ihm in dieser Attitüde durch eine lauge Galerie. Stolz verhinderte
ihn zu vergeben, nud er klagte sich später mit Bitterkeit deshalb an, indem er
sich der leidenschaftlichen Geberde von Madame 1'1'1' erinnerte. Nie war sie
ihm so begehrenswerth erschienen, nie hatte sie so viel Liebe gezeigt. Er hatte
dem Stolz das größte Vergnügen ^laisir, wie Merimie sagt) geopfert, das er
mit ihr hatte genießen können. Achtzehn Monate war er trostlos. „Ich war
verstummt," sagte er. „Ich dachte uicht mehr. Ich war unter einer unerträg¬
lichen Last gebeugt, ohne mir klare Rechenschaft geben zu können von dem, was
in mir vorging. Es ist das größte Unglück, es beraubt aller Energie. Später,
als ich ein wenig von dieser drückenden Schwäche mich erholt hatte, empfand ich
eine sonderbare Neugierde, alle ihre Andrenen zu kennen. Ich ließ mir alle
Einzelnheiten davon erzählen. Das verursachte mir ein schreckliches Leid, aber ich
empfand ein gewisses physisches Vergnügen, sie mir in allen Situationen vorzu¬
stellen, in denen mau sie mir beschrieb."

Beyle schien mir stets von der unter dem Kaiserreiche stark verbreiteten Idee
durchdrungen, daß jede Frau mit Sturm genommen werden könne und daß es
Pflicht eines jeden Mannes sei zu versuchen. „Besitzen Sie sie, das ist es, was
Sie ihr zunächst schuldig sind" — sagte er mir, wenn ich ihm von einer Frau
sprach, in die ich verliebt gewesen. Eines Abends erzählte er mir, daß die
Gräfin " ihm voi statt Isi gesagt, und er fragte mich, ob er sie nicht mit Ge¬
walt nehmen müsse. Ich munterte ihn sehr dazu auf.

Ich habe niemand gekannt, der mit mehr Anständigkeit und Höflichkeit die
Kritiken seiner Werke aufnahm. Seine Freunde sprachen mit ihm immer ohne
alle Schonung. Mehre Male schickte er mir verschiedene Manuscripte, die er
schon Victor Jaquemont mitgetheilt hatte und welche mit Randnoten zurückge¬
kommen waren, wie diese: „Abscheulich, Hausmeisterstil u. s. w." Als er sein
Buch über die Liebe erscheinen ließ, machte man sich, und im Grunde sehr un¬
gerecht, um die Wette darüber lustig. Niemals änderten diese Kritiken etwas an
seinen Verbindungen mit seinen Freunden.

Er schrieb viel und arbeitete lange an seinen Werken. Aber statt deren
Ausführung zu verbessern, gestaltete er den Plan um. Wenn er die Fehler der
einen Bearbeitung wegließ, so geschah es nur, um andere zu machen, denn ich
wüßte nicht, daß er es je versucht habe, seinen Stil zu verbessern. So zerstrichen
anch seine Manuscripte gewesen, man kann sagen, daß sie stets im ersten Wurfe
geschrieben waren.

Seine Briefe sind reizend, es ist seine Conversation selbst.


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[0345] der Lage ihn anfänglich in tolle Heiterkeit versetzten, und daß er alle'Mühe hatte, die Schuldigen nicht durch schallendes Gelächter aufzuhetzen und er fühlte sein Unglück erst nach einiger Zeit. Die Ungetreue, die er statt aller Strafe ein wenig verhöhnte, suchte ihn zu beugen, verlangte auf den Knien seine Verzeihung und folgte ihm in dieser Attitüde durch eine lauge Galerie. Stolz verhinderte ihn zu vergeben, nud er klagte sich später mit Bitterkeit deshalb an, indem er sich der leidenschaftlichen Geberde von Madame 1'1'1' erinnerte. Nie war sie ihm so begehrenswerth erschienen, nie hatte sie so viel Liebe gezeigt. Er hatte dem Stolz das größte Vergnügen ^laisir, wie Merimie sagt) geopfert, das er mit ihr hatte genießen können. Achtzehn Monate war er trostlos. „Ich war verstummt," sagte er. „Ich dachte uicht mehr. Ich war unter einer unerträg¬ lichen Last gebeugt, ohne mir klare Rechenschaft geben zu können von dem, was in mir vorging. Es ist das größte Unglück, es beraubt aller Energie. Später, als ich ein wenig von dieser drückenden Schwäche mich erholt hatte, empfand ich eine sonderbare Neugierde, alle ihre Andrenen zu kennen. Ich ließ mir alle Einzelnheiten davon erzählen. Das verursachte mir ein schreckliches Leid, aber ich empfand ein gewisses physisches Vergnügen, sie mir in allen Situationen vorzu¬ stellen, in denen mau sie mir beschrieb." Beyle schien mir stets von der unter dem Kaiserreiche stark verbreiteten Idee durchdrungen, daß jede Frau mit Sturm genommen werden könne und daß es Pflicht eines jeden Mannes sei zu versuchen. „Besitzen Sie sie, das ist es, was Sie ihr zunächst schuldig sind" — sagte er mir, wenn ich ihm von einer Frau sprach, in die ich verliebt gewesen. Eines Abends erzählte er mir, daß die Gräfin " ihm voi statt Isi gesagt, und er fragte mich, ob er sie nicht mit Ge¬ walt nehmen müsse. Ich munterte ihn sehr dazu auf. Ich habe niemand gekannt, der mit mehr Anständigkeit und Höflichkeit die Kritiken seiner Werke aufnahm. Seine Freunde sprachen mit ihm immer ohne alle Schonung. Mehre Male schickte er mir verschiedene Manuscripte, die er schon Victor Jaquemont mitgetheilt hatte und welche mit Randnoten zurückge¬ kommen waren, wie diese: „Abscheulich, Hausmeisterstil u. s. w." Als er sein Buch über die Liebe erscheinen ließ, machte man sich, und im Grunde sehr un¬ gerecht, um die Wette darüber lustig. Niemals änderten diese Kritiken etwas an seinen Verbindungen mit seinen Freunden. Er schrieb viel und arbeitete lange an seinen Werken. Aber statt deren Ausführung zu verbessern, gestaltete er den Plan um. Wenn er die Fehler der einen Bearbeitung wegließ, so geschah es nur, um andere zu machen, denn ich wüßte nicht, daß er es je versucht habe, seinen Stil zu verbessern. So zerstrichen anch seine Manuscripte gewesen, man kann sagen, daß sie stets im ersten Wurfe geschrieben waren. Seine Briefe sind reizend, es ist seine Conversation selbst. 43*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/345>, abgerufen am 23.07.2024.