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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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seinen verstorbenen Freund, drucken, welche nur in sieben oder acht Exemplaren
für die intimen Bekannten des Verstorbenen ausgegeben worden. Wir sind in
den Besitz dieser Schrift gekommen und wollen sie in einer wörtlichen Uebersetzung
den Lesern der Grenzboten mittheilen. Diese wenigen Blätter haben uicht blos
Interesse, weil sie von einem der talentvollsten Schriftsteller der neuern franzö¬
sischen Literatur handeln, sondern auch weil sie einen Blick in die Anschauungs¬
weise Merimies gönnen. Wir begegnen hier dem geistvollen Schriftsteller, wie
er sich in seineu vertraulichen Plaudereien zeigt, und der Leser kann sich einen
vortrefflichen Begriff machen von der Art Merimie's, im kleinen Cirkel zu erzählen,
es ist als ob ein Stenograph dem liebenswürdigen Erzähler nachgeschrieben hätte.

Beyle selbst hätte ein besseres Denkmal verdient, auch hat Balzac einen sehr
anerkennenden Artikel über Stendhal und seiue Werke geschreiben. Stendhal
ist ans Balzacs Schule und kann unter den neuern Romanschriftstellern mit
viel Recht neben Balzac genannt werden, obgleich er nur zwei Romane veröffent¬
licht hatte: La et-rrti-eusv as ?arm<z und Kouxv et noir. Seine Schrift ne
und seine Reisen kommen jetzt wieder neu heraus, sowie seine Broschüre über
Mozart und Shakespeare. Beyle war der erste, welcher gegen Racine in die
Schranken trat und dem französisch-klassischen Zopf den Krieg machte. Seine
Schriften verdienten eine ausführlichere Besprechung, und wir wollen einmal
darauf zurückkommen, obgleich, wenn wir uicht irren, die Grenzboten schou einmal
von ttouxe et noir gesprochen haben. Wir wollen dann auch über Beyle selbst
einiges nachtragen, was für den deutscheu Leser Interesse haben konnte. Für
heute begnügen wir uns mit der Anekdvtensammlnng Merimies und möchten blos
im Vorbeigehen die deutschen Verleger ans die beiden Romane aufmerksam macheu,
vou denen unseres Wissens noch keine deutsche Uebersetzung erschienen ist, und
die doch verdienten, dem größern deutschen Lesepublicum vorgeführt zu werdeu.

"Es gibt eine Stelle in der Odyssee, die mir oft ins Gedächtniß zurück¬
kommt. Der Geist Elpenvrs erscheint Ulysses und verlangt von ihm die letzte
Ehre:


"x^ttkvrov, "A"?rrov, "nov omAtv ""rttXktTrktv.
Nicht unbeweint. unbegraben verlaß mich, wann du hinweggehst.

Dank sei es den Polizciverordnnngen, heute fehlt das Begräbniß niemandem
mehr; allein uns Heiden liegen auch Pflichten ob gegen unsere Todten, die nichts
mit einer Verordnung der Straßenpolizei gemein haben. Ich habe drei heidnischen
Begräbnissen beigewohnt:- jenem von 1"!', der sich eine Kugel durch das Hirn
geraunt. Sein Lehrer, ein großer Philosoph, und seine Freunde hatten Angst
vor den ehrlichen Leuten und wagten es nicht zu sprechen; jenem von Ur. '!"!',
der sich die Leichenreden verboten, und endlich jenem von Beyle. Wir fanden
uns daselbst drei ein, aber so schlecht vorbereitet, daß uns sein letzter Wille un¬
bekannt war. Ich fühlte jedesmal seither, daß wir gefehlt haben, wenn auch


seinen verstorbenen Freund, drucken, welche nur in sieben oder acht Exemplaren
für die intimen Bekannten des Verstorbenen ausgegeben worden. Wir sind in
den Besitz dieser Schrift gekommen und wollen sie in einer wörtlichen Uebersetzung
den Lesern der Grenzboten mittheilen. Diese wenigen Blätter haben uicht blos
Interesse, weil sie von einem der talentvollsten Schriftsteller der neuern franzö¬
sischen Literatur handeln, sondern auch weil sie einen Blick in die Anschauungs¬
weise Merimies gönnen. Wir begegnen hier dem geistvollen Schriftsteller, wie
er sich in seineu vertraulichen Plaudereien zeigt, und der Leser kann sich einen
vortrefflichen Begriff machen von der Art Merimie's, im kleinen Cirkel zu erzählen,
es ist als ob ein Stenograph dem liebenswürdigen Erzähler nachgeschrieben hätte.

Beyle selbst hätte ein besseres Denkmal verdient, auch hat Balzac einen sehr
anerkennenden Artikel über Stendhal und seiue Werke geschreiben. Stendhal
ist ans Balzacs Schule und kann unter den neuern Romanschriftstellern mit
viel Recht neben Balzac genannt werden, obgleich er nur zwei Romane veröffent¬
licht hatte: La et-rrti-eusv as ?arm<z und Kouxv et noir. Seine Schrift ne
und seine Reisen kommen jetzt wieder neu heraus, sowie seine Broschüre über
Mozart und Shakespeare. Beyle war der erste, welcher gegen Racine in die
Schranken trat und dem französisch-klassischen Zopf den Krieg machte. Seine
Schriften verdienten eine ausführlichere Besprechung, und wir wollen einmal
darauf zurückkommen, obgleich, wenn wir uicht irren, die Grenzboten schou einmal
von ttouxe et noir gesprochen haben. Wir wollen dann auch über Beyle selbst
einiges nachtragen, was für den deutscheu Leser Interesse haben konnte. Für
heute begnügen wir uns mit der Anekdvtensammlnng Merimies und möchten blos
im Vorbeigehen die deutschen Verleger ans die beiden Romane aufmerksam macheu,
vou denen unseres Wissens noch keine deutsche Uebersetzung erschienen ist, und
die doch verdienten, dem größern deutschen Lesepublicum vorgeführt zu werdeu.

„Es gibt eine Stelle in der Odyssee, die mir oft ins Gedächtniß zurück¬
kommt. Der Geist Elpenvrs erscheint Ulysses und verlangt von ihm die letzte
Ehre:


«x^ttkvrov, «A«?rrov, »nov omAtv ««rttXktTrktv.
Nicht unbeweint. unbegraben verlaß mich, wann du hinweggehst.

Dank sei es den Polizciverordnnngen, heute fehlt das Begräbniß niemandem
mehr; allein uns Heiden liegen auch Pflichten ob gegen unsere Todten, die nichts
mit einer Verordnung der Straßenpolizei gemein haben. Ich habe drei heidnischen
Begräbnissen beigewohnt:- jenem von 1"!', der sich eine Kugel durch das Hirn
geraunt. Sein Lehrer, ein großer Philosoph, und seine Freunde hatten Angst
vor den ehrlichen Leuten und wagten es nicht zu sprechen; jenem von Ur. '!"!',
der sich die Leichenreden verboten, und endlich jenem von Beyle. Wir fanden
uns daselbst drei ein, aber so schlecht vorbereitet, daß uns sein letzter Wille un¬
bekannt war. Ich fühlte jedesmal seither, daß wir gefehlt haben, wenn auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/340>, abgerufen am 23.07.2024.