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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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verbot er den Protestanten die Ausübung einer großen Anzahl von Gewerben,
und nun riß ein Gewaltschritt zum andern fort. Kinder wurden ihren Eltern
entrissen, und mit dem siebenten Jahre gezwungen, den katholischen Glauben
anzunehmen. Die Leiche einer Demoiselle de Montalembert wurde nackt durch
die Straßen von Angouleme geschleppt, weil sie früher deu Protestantismus ab¬
geschworen und ans dem Todtenbette die katholischen Sacramente zurückgewiesen
hatte. Die Penstonen reformirter Offiziere und ihrer Wittwen wurden eingezogen,
die ihnen ertheilten-Adelsbriefe für ungiltig erklärt, und endlich nahm man, da
die Gewalt nicht ausreichte, zum Gelde seine Zuflucht. 1667 gründete Ludwig XIV.
eine geheime Kasse, deren Gelder zum' Seelenkaus bestimmt waren. Pelisson
verwaltete diese Kasse; die Gelder wurden an die Bischöfe geschickt, welche Ab-
schwöruugSprotvkolle und Quittungen zurücksandten. Man gab 6 Livres für d^en
Kopf: man kann sich leicht denken, was für Seelen man dafür kaufte. Seltsamer
Weise haßte Ludwig XIV., von dem diese Verfolgung ausging, die Protestanten
nicht; er glaubte wirklich ihr Bestes zu wollen, und befahl stets sie mit Milde
zu behandeln. Aber die Vereinzelung des unumschränkten Herrschers rächte sich
hier bitter. Da es niemandem zu reden erlaubt war, horte er nnr die, welche
seine Maßregeln lobten, weil sie ihn, ohne daß er es fühlte, selbst dazu getrieben
hatten. Die engherzige Bigotterie der Frau von Maintanou, und der zu Gewalt¬
thätigkeiten geneigte Charakter Louvois, der die Protestanten haßte, weil sein
Nebenbuhler Colbert sie begünstigte, bildeten in der Umgebung des Königs eine
Art Verschwörung, welche ihm die gegen einen Theil seiner Unterthanen aus¬
geübte" Grausamkeiten verheimlichte, und ihm glauben machte, daß die Bekehrung
sämmtlicher Protestanten bereits vollendet sei. Durch falsche Berichte und Ueber¬
tritte, die durch Zwang oder Geld erlangt waren, getäuscht, glaubte Ludwig XIV.,
die Ketzer seien schon fast ausgerottet, und es bedürfe nur eines entscheidenden
Schlages, um den geringen Rest ganz zu vernichten. Zu diesem Zwecke wurde
am 22. Oct. 168S das Edict von Nantes aufgehoben, "weil der größte Theil
der zu der angeblich reformirten Kirche gehörigen Unterthanen sich bereits zur
katholischen Religion bekehrt habe, und das Edict daher unnöthig sei." Aber
nachdem der König dem französischen Protestantismus die Grabrede gehalten, be¬
handelt er ihn wieder wie einen gefährlichen Feind, bestehlt alle Kirchen einzu-
reißen, die Kinder katholisch zu taufen und die protestantischen Schulen zu schlie¬
ßen. Die Geistliche" mußten zum Katholicismus übertreten, oder Frankreich
binnen i z Tagen bei Galeerenstrafe verlassen; den Gemeindemitgliedern ließ man
aber nicht einmal die Wahl zwischen Bekehrung und Auswanderung: es war ihnen
bei harter Strafe verböte", das Königreich zu verlassen.

Die protestantischen Kirchen wurden unter dem Jubel des Volkes eingerissen,
denn die Verfolgung der reichen und thätigen Protestante" war nicht nur bei dem
Pöbel populär, und nur wenige Stimmen erhoben sich gegen diese unpolitische


. Grenzboten. III. 40

verbot er den Protestanten die Ausübung einer großen Anzahl von Gewerben,
und nun riß ein Gewaltschritt zum andern fort. Kinder wurden ihren Eltern
entrissen, und mit dem siebenten Jahre gezwungen, den katholischen Glauben
anzunehmen. Die Leiche einer Demoiselle de Montalembert wurde nackt durch
die Straßen von Angouleme geschleppt, weil sie früher deu Protestantismus ab¬
geschworen und ans dem Todtenbette die katholischen Sacramente zurückgewiesen
hatte. Die Penstonen reformirter Offiziere und ihrer Wittwen wurden eingezogen,
die ihnen ertheilten-Adelsbriefe für ungiltig erklärt, und endlich nahm man, da
die Gewalt nicht ausreichte, zum Gelde seine Zuflucht. 1667 gründete Ludwig XIV.
eine geheime Kasse, deren Gelder zum' Seelenkaus bestimmt waren. Pelisson
verwaltete diese Kasse; die Gelder wurden an die Bischöfe geschickt, welche Ab-
schwöruugSprotvkolle und Quittungen zurücksandten. Man gab 6 Livres für d^en
Kopf: man kann sich leicht denken, was für Seelen man dafür kaufte. Seltsamer
Weise haßte Ludwig XIV., von dem diese Verfolgung ausging, die Protestanten
nicht; er glaubte wirklich ihr Bestes zu wollen, und befahl stets sie mit Milde
zu behandeln. Aber die Vereinzelung des unumschränkten Herrschers rächte sich
hier bitter. Da es niemandem zu reden erlaubt war, horte er nnr die, welche
seine Maßregeln lobten, weil sie ihn, ohne daß er es fühlte, selbst dazu getrieben
hatten. Die engherzige Bigotterie der Frau von Maintanou, und der zu Gewalt¬
thätigkeiten geneigte Charakter Louvois, der die Protestanten haßte, weil sein
Nebenbuhler Colbert sie begünstigte, bildeten in der Umgebung des Königs eine
Art Verschwörung, welche ihm die gegen einen Theil seiner Unterthanen aus¬
geübte» Grausamkeiten verheimlichte, und ihm glauben machte, daß die Bekehrung
sämmtlicher Protestanten bereits vollendet sei. Durch falsche Berichte und Ueber¬
tritte, die durch Zwang oder Geld erlangt waren, getäuscht, glaubte Ludwig XIV.,
die Ketzer seien schon fast ausgerottet, und es bedürfe nur eines entscheidenden
Schlages, um den geringen Rest ganz zu vernichten. Zu diesem Zwecke wurde
am 22. Oct. 168S das Edict von Nantes aufgehoben, „weil der größte Theil
der zu der angeblich reformirten Kirche gehörigen Unterthanen sich bereits zur
katholischen Religion bekehrt habe, und das Edict daher unnöthig sei." Aber
nachdem der König dem französischen Protestantismus die Grabrede gehalten, be¬
handelt er ihn wieder wie einen gefährlichen Feind, bestehlt alle Kirchen einzu-
reißen, die Kinder katholisch zu taufen und die protestantischen Schulen zu schlie¬
ßen. Die Geistliche» mußten zum Katholicismus übertreten, oder Frankreich
binnen i z Tagen bei Galeerenstrafe verlassen; den Gemeindemitgliedern ließ man
aber nicht einmal die Wahl zwischen Bekehrung und Auswanderung: es war ihnen
bei harter Strafe verböte», das Königreich zu verlassen.

Die protestantischen Kirchen wurden unter dem Jubel des Volkes eingerissen,
denn die Verfolgung der reichen und thätigen Protestante» war nicht nur bei dem
Pöbel populär, und nur wenige Stimmen erhoben sich gegen diese unpolitische


. Grenzboten. III. 40
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[0319] verbot er den Protestanten die Ausübung einer großen Anzahl von Gewerben, und nun riß ein Gewaltschritt zum andern fort. Kinder wurden ihren Eltern entrissen, und mit dem siebenten Jahre gezwungen, den katholischen Glauben anzunehmen. Die Leiche einer Demoiselle de Montalembert wurde nackt durch die Straßen von Angouleme geschleppt, weil sie früher deu Protestantismus ab¬ geschworen und ans dem Todtenbette die katholischen Sacramente zurückgewiesen hatte. Die Penstonen reformirter Offiziere und ihrer Wittwen wurden eingezogen, die ihnen ertheilten-Adelsbriefe für ungiltig erklärt, und endlich nahm man, da die Gewalt nicht ausreichte, zum Gelde seine Zuflucht. 1667 gründete Ludwig XIV. eine geheime Kasse, deren Gelder zum' Seelenkaus bestimmt waren. Pelisson verwaltete diese Kasse; die Gelder wurden an die Bischöfe geschickt, welche Ab- schwöruugSprotvkolle und Quittungen zurücksandten. Man gab 6 Livres für d^en Kopf: man kann sich leicht denken, was für Seelen man dafür kaufte. Seltsamer Weise haßte Ludwig XIV., von dem diese Verfolgung ausging, die Protestanten nicht; er glaubte wirklich ihr Bestes zu wollen, und befahl stets sie mit Milde zu behandeln. Aber die Vereinzelung des unumschränkten Herrschers rächte sich hier bitter. Da es niemandem zu reden erlaubt war, horte er nnr die, welche seine Maßregeln lobten, weil sie ihn, ohne daß er es fühlte, selbst dazu getrieben hatten. Die engherzige Bigotterie der Frau von Maintanou, und der zu Gewalt¬ thätigkeiten geneigte Charakter Louvois, der die Protestanten haßte, weil sein Nebenbuhler Colbert sie begünstigte, bildeten in der Umgebung des Königs eine Art Verschwörung, welche ihm die gegen einen Theil seiner Unterthanen aus¬ geübte» Grausamkeiten verheimlichte, und ihm glauben machte, daß die Bekehrung sämmtlicher Protestanten bereits vollendet sei. Durch falsche Berichte und Ueber¬ tritte, die durch Zwang oder Geld erlangt waren, getäuscht, glaubte Ludwig XIV., die Ketzer seien schon fast ausgerottet, und es bedürfe nur eines entscheidenden Schlages, um den geringen Rest ganz zu vernichten. Zu diesem Zwecke wurde am 22. Oct. 168S das Edict von Nantes aufgehoben, „weil der größte Theil der zu der angeblich reformirten Kirche gehörigen Unterthanen sich bereits zur katholischen Religion bekehrt habe, und das Edict daher unnöthig sei." Aber nachdem der König dem französischen Protestantismus die Grabrede gehalten, be¬ handelt er ihn wieder wie einen gefährlichen Feind, bestehlt alle Kirchen einzu- reißen, die Kinder katholisch zu taufen und die protestantischen Schulen zu schlie¬ ßen. Die Geistliche» mußten zum Katholicismus übertreten, oder Frankreich binnen i z Tagen bei Galeerenstrafe verlassen; den Gemeindemitgliedern ließ man aber nicht einmal die Wahl zwischen Bekehrung und Auswanderung: es war ihnen bei harter Strafe verböte», das Königreich zu verlassen. Die protestantischen Kirchen wurden unter dem Jubel des Volkes eingerissen, denn die Verfolgung der reichen und thätigen Protestante» war nicht nur bei dem Pöbel populär, und nur wenige Stimmen erhoben sich gegen diese unpolitische . Grenzboten. III. 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/319>, abgerufen am 25.08.2024.