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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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nicht wirksam gewesen ist. Die Zunfteinrichtungen bestanden in Frankreich noch
in ihrer ganzen Strenge. Jedem Gewerbe war das Fabrikationsverfahren auf
das genaueste vorgeschrieben, was jede Vervollkommnung unmöglich machte. Die
Arbeitsstunden, die Verwendung der Rohstoffe, die Zahl der Meister und der
Gesellen jedes Meisters waren ebenso streng geregelt. Schwere Zuustabgaben
verzehrten einen großen Theil des Verdienstes, und die vielen Fest- und Feier¬
tage, das Verbot bei Licht zu arbeiten ?c. viel Zeit. Weiß gibt an, daß die
Protestanten 34 0 Arbeitstage im Jahre hatten, die Katholiken nur 260, wodurch
die erstern einen Vorsprung von sast einem Sechstel Jahre gewannen. Die Zünfte
nahmen aber nur gute Katholiken auf, und da die Protestanten als Hugenotten
freies Associationsrecht hatten, so waren sie die ersten, welche, frei von dem jeden
Fortschritt verhindernden Zunftzwang, Capitalien und Arbeitskräfte associirten und
Fabriken gründeten. Die Freiheit schuf ihnen den Wohlstand, und bald war.es
zum Sprichwort geworden: "Reich wie ein Protestant". Ueberall wo man hin¬
sah, erblickte man in Frankreich die reichen Früchte ihrer Thätigkeit und Energie.
Die ungeheuern Ebenen von Bearn und in dem westliche" Provinzen, wo der
Protestantismus herrschend war, waren mit den reichsten Ernten bedeckt; die von
ihnen bewohnten Theile Languedocs gehörte", trotz der ursprünglichen Unfrucht¬
barkeit des Bodens, zu den gesegnetsten, und in den unwirthlichen Cevennen, in
den Diöcesen Nismes, Uzes, Berry wiederholte sich dieselbe Erscheinung. Die Be¬
richte, welche die verschiedenen Beamten über sie ans Befehl des Königs vor der
Widerrufung des Edicts von Nantes abstatteten, erklären sie einstimmig aller
Orten für die reichsten und angesehensten Bürger, in deren Händen sich überall
Handel und Gewerbe fast ausschließlich befinden. Die Tuchfabriken in Rheims,
Abbeville, Sedan, Elboenf, Louviers, Rouen, und zahlreichen andern Orte
verdankten ihre Entstehung und ihre Blüte den Protestanten. Die Protestanten
im Gevaudan führten jährlich für 2--3 Millionen Serge und andere leichte
Stoffe ans. Die Fabrikation von seidenen Waaren und Strümpfen, von Eisen
und Stahlwaaren, von Gold- und Silbertressen und namentlich von Papier befand
sich in protestantischen Händen. In der Touraine allein besaßen sie i00 Ger¬
bereien. Die Seide- und Sammctfabriken in Tours und Lyon verdankten ihre
Blüte fast ausschließlich den Protestanten. Diese hohe materielle Blüte weckte
ihnen aber noch andere Feinde als den blinden Fanatismus der Geistlichkeit und
den Glaubenseifer eines von seiner Umgebung getäuschten Königs. Die einen
fürchteten sie als gefährliche Concurrenten, die andern blickten mit Habgier nach
ihren wichtigen Fabriken und reichen Besitzungen und sahen in dem gezwungenen
Verkauf derselben eine vortheilhafte Speculation.

Die Verfolgungen gegen die französischen Protestanten begannen um das
Jahr 1660, ohne daß von ihrer Seite ein Anlaß dazu gegeben worden wäre.
1662 ließ Ludwig XIV. 52 protestantische Kirchen im Lande Gex einreißen; 166t


nicht wirksam gewesen ist. Die Zunfteinrichtungen bestanden in Frankreich noch
in ihrer ganzen Strenge. Jedem Gewerbe war das Fabrikationsverfahren auf
das genaueste vorgeschrieben, was jede Vervollkommnung unmöglich machte. Die
Arbeitsstunden, die Verwendung der Rohstoffe, die Zahl der Meister und der
Gesellen jedes Meisters waren ebenso streng geregelt. Schwere Zuustabgaben
verzehrten einen großen Theil des Verdienstes, und die vielen Fest- und Feier¬
tage, das Verbot bei Licht zu arbeiten ?c. viel Zeit. Weiß gibt an, daß die
Protestanten 34 0 Arbeitstage im Jahre hatten, die Katholiken nur 260, wodurch
die erstern einen Vorsprung von sast einem Sechstel Jahre gewannen. Die Zünfte
nahmen aber nur gute Katholiken auf, und da die Protestanten als Hugenotten
freies Associationsrecht hatten, so waren sie die ersten, welche, frei von dem jeden
Fortschritt verhindernden Zunftzwang, Capitalien und Arbeitskräfte associirten und
Fabriken gründeten. Die Freiheit schuf ihnen den Wohlstand, und bald war.es
zum Sprichwort geworden: „Reich wie ein Protestant". Ueberall wo man hin¬
sah, erblickte man in Frankreich die reichen Früchte ihrer Thätigkeit und Energie.
Die ungeheuern Ebenen von Bearn und in dem westliche» Provinzen, wo der
Protestantismus herrschend war, waren mit den reichsten Ernten bedeckt; die von
ihnen bewohnten Theile Languedocs gehörte», trotz der ursprünglichen Unfrucht¬
barkeit des Bodens, zu den gesegnetsten, und in den unwirthlichen Cevennen, in
den Diöcesen Nismes, Uzes, Berry wiederholte sich dieselbe Erscheinung. Die Be¬
richte, welche die verschiedenen Beamten über sie ans Befehl des Königs vor der
Widerrufung des Edicts von Nantes abstatteten, erklären sie einstimmig aller
Orten für die reichsten und angesehensten Bürger, in deren Händen sich überall
Handel und Gewerbe fast ausschließlich befinden. Die Tuchfabriken in Rheims,
Abbeville, Sedan, Elboenf, Louviers, Rouen, und zahlreichen andern Orte
verdankten ihre Entstehung und ihre Blüte den Protestanten. Die Protestanten
im Gevaudan führten jährlich für 2—3 Millionen Serge und andere leichte
Stoffe ans. Die Fabrikation von seidenen Waaren und Strümpfen, von Eisen
und Stahlwaaren, von Gold- und Silbertressen und namentlich von Papier befand
sich in protestantischen Händen. In der Touraine allein besaßen sie i00 Ger¬
bereien. Die Seide- und Sammctfabriken in Tours und Lyon verdankten ihre
Blüte fast ausschließlich den Protestanten. Diese hohe materielle Blüte weckte
ihnen aber noch andere Feinde als den blinden Fanatismus der Geistlichkeit und
den Glaubenseifer eines von seiner Umgebung getäuschten Königs. Die einen
fürchteten sie als gefährliche Concurrenten, die andern blickten mit Habgier nach
ihren wichtigen Fabriken und reichen Besitzungen und sahen in dem gezwungenen
Verkauf derselben eine vortheilhafte Speculation.

Die Verfolgungen gegen die französischen Protestanten begannen um das
Jahr 1660, ohne daß von ihrer Seite ein Anlaß dazu gegeben worden wäre.
1662 ließ Ludwig XIV. 52 protestantische Kirchen im Lande Gex einreißen; 166t


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/318>, abgerufen am 23.07.2024.