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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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wie wenige Landestheile sich hierzu im Grunde genommen eignen; der in Rede
stehende ist dazu wie geschaffen. Dereinst wird man die eingemachten Früchte
dieser El'alte in Wie", Paris, Berlin, Petersburg und London verzehren.

Sie wissen, welchen Werth Rußland seit seiner Besitzergreifung von Polen
auf die Fruchtbarkeit dieser Provinz gelegt hat. Sie war hier Ergänzung für
die Wüstheit und Leerheit des Jnnern vom eigentlichen Rußland, und zwar auf
der Stelle, wo dieser Ersatz am meisten bedurft wurde: auf der Europa zuge¬
wendeten Fronte des Reiches. Alle Kriege, die Rußland im Westen geführt,
wäre", was die Ernährung seiner Streitkräfte anlangt, auf Polen basirt.

Nun wohl! was Polen für die ganze Hälfte der Contincntalbreitc unseres
Welttheils den russischen OperatiouScntwürfen gegen Westen bedeutet, das bedeutet
ihnen die Wallachei für die andere Hälfte. Keine Provinz -- und wenn Ru߬
land sich selber den Raum auf der Karte auszuwählen hätte -- könnte ihm besser
gelegen sein, um im Süden Europas alle möglichen Kriege nach den in Frage
kommenden Richtungen zu ermöglichen. Nicht nur läßt sich ans das wallachische
Land ein, Angriffskrieg gegen die Türkei, sondern auch gegen Oestreich basirc",
und zwar auf der für dieses Kaiserreich gefährlichsten Fronte (der südlichen); ja
es wird eine Erörterung verdienen, ob der feste Besitz der Donaufürstenthümer
Rußland nicht einen dominirenden Einfluß bis zur Ebene des Po sichern würde.

Es ist nämlich bei allen militärischen Unternehmungen nicht sowol die Schaf¬
fung und Ausbildung der zur Action bestimmten Kräfte, als vielmehr ihre Con-
centrirung und demnächst die Möglichkeit ihrer Ernährung dasjenige, worin die
Schwierigkeiten zu suchen sind. Rußland hat, allen Angabe" nach, über achtmal-
huuderttausend Man" ""ter den Waffen; aber was diese von keinem andern Reiche er¬
reichte Streitmacht, und die, wenn sie erreicht wäre, bald alles erdrücken müßte,
verhältnißmäßig nur wenig furchtbar macht, das sind die Hindernisse, welche ihrer
Vereinigung entgegen stehen, -- Hindernisse, die zum Theil, es ist wahr, auf
der Nothwendigkeit beruhen, die Ruhe und Sicherheit im Inneren sowol wie an
den außereuropäischen Grenzen mittelst des Bajonetts sicher zu stelle"; die aber
andere" Theils, und uicht zur geringeren Hälfte, aus der Unmöglichkeit hervor¬
gehe", mehr als 130,000 Ma"" im Süde", d. h. in weitester Entfernung von
Pole", concentrirt zu ernähren. Was die Ukraine n"d Podolien zur Lösung
eiuer solchen Aufgabe leiste", ist verhältmßmäßig nur gering.

Man mag aus dieser Darlegung schließen, welche Bedeutung es für Europas
weitschauende Staatsmänner hat, wenn nun wiederum Rußlands Doppeladler sich
zu Bucharest niederläßt. Der interimistische Besitz, den es damit antritt, kann
leicht möglich zu einem definitiven werden. Unter solchen Umständen darf man
auf Redensarten in Proclamationen und diplomatische" Actcustückeu nur geringen
Werth legen. Wo der Vortheil so laut redet, werden Versprechungen leicht ver¬
gessen, und wenn sie im Angesicht des Welttheils gethan wären!


wie wenige Landestheile sich hierzu im Grunde genommen eignen; der in Rede
stehende ist dazu wie geschaffen. Dereinst wird man die eingemachten Früchte
dieser El'alte in Wie», Paris, Berlin, Petersburg und London verzehren.

Sie wissen, welchen Werth Rußland seit seiner Besitzergreifung von Polen
auf die Fruchtbarkeit dieser Provinz gelegt hat. Sie war hier Ergänzung für
die Wüstheit und Leerheit des Jnnern vom eigentlichen Rußland, und zwar auf
der Stelle, wo dieser Ersatz am meisten bedurft wurde: auf der Europa zuge¬
wendeten Fronte des Reiches. Alle Kriege, die Rußland im Westen geführt,
wäre», was die Ernährung seiner Streitkräfte anlangt, auf Polen basirt.

Nun wohl! was Polen für die ganze Hälfte der Contincntalbreitc unseres
Welttheils den russischen OperatiouScntwürfen gegen Westen bedeutet, das bedeutet
ihnen die Wallachei für die andere Hälfte. Keine Provinz — und wenn Ru߬
land sich selber den Raum auf der Karte auszuwählen hätte — könnte ihm besser
gelegen sein, um im Süden Europas alle möglichen Kriege nach den in Frage
kommenden Richtungen zu ermöglichen. Nicht nur läßt sich ans das wallachische
Land ein, Angriffskrieg gegen die Türkei, sondern auch gegen Oestreich basirc»,
und zwar auf der für dieses Kaiserreich gefährlichsten Fronte (der südlichen); ja
es wird eine Erörterung verdienen, ob der feste Besitz der Donaufürstenthümer
Rußland nicht einen dominirenden Einfluß bis zur Ebene des Po sichern würde.

Es ist nämlich bei allen militärischen Unternehmungen nicht sowol die Schaf¬
fung und Ausbildung der zur Action bestimmten Kräfte, als vielmehr ihre Con-
centrirung und demnächst die Möglichkeit ihrer Ernährung dasjenige, worin die
Schwierigkeiten zu suchen sind. Rußland hat, allen Angabe» nach, über achtmal-
huuderttausend Man» »»ter den Waffen; aber was diese von keinem andern Reiche er¬
reichte Streitmacht, und die, wenn sie erreicht wäre, bald alles erdrücken müßte,
verhältnißmäßig nur wenig furchtbar macht, das sind die Hindernisse, welche ihrer
Vereinigung entgegen stehen, — Hindernisse, die zum Theil, es ist wahr, auf
der Nothwendigkeit beruhen, die Ruhe und Sicherheit im Inneren sowol wie an
den außereuropäischen Grenzen mittelst des Bajonetts sicher zu stelle»; die aber
andere» Theils, und uicht zur geringeren Hälfte, aus der Unmöglichkeit hervor¬
gehe», mehr als 130,000 Ma»» im Süde», d. h. in weitester Entfernung von
Pole», concentrirt zu ernähren. Was die Ukraine n»d Podolien zur Lösung
eiuer solchen Aufgabe leiste», ist verhältmßmäßig nur gering.

Man mag aus dieser Darlegung schließen, welche Bedeutung es für Europas
weitschauende Staatsmänner hat, wenn nun wiederum Rußlands Doppeladler sich
zu Bucharest niederläßt. Der interimistische Besitz, den es damit antritt, kann
leicht möglich zu einem definitiven werden. Unter solchen Umständen darf man
auf Redensarten in Proclamationen und diplomatische» Actcustückeu nur geringen
Werth legen. Wo der Vortheil so laut redet, werden Versprechungen leicht ver¬
gessen, und wenn sie im Angesicht des Welttheils gethan wären!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/310>, abgerufen am 03.07.2024.