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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Schön ist die dämmerdust'ge Tropennacht,
Wenn feurig, groß, die Sterne uiedcrglänzen,
Doch schöner noch Guaras Gliedcrpracht
In ihren fünfzehn sommerglcichen Lenzen.

Man versteht wol, was der Dichter mit dem letztem hat sagen wollen,
aber das Bild ist nicht richtig ausgedrückt, denn man denkt zunächst daran, daß
die Gliederpracht in fünfzehn verschiedene Lenze zerfällt, welcher falsche Eindruck
noch dadurch verstärkt wird, daß "zu Lenz ein Prädicat hinzugefügt ist. -- So
heißt es gleich darauf!


Ihr voller Busen wallt in üppiger Glut,
Frei von Europas licbesflechem Wimmern,

wobei mau zunächst nicht recht versteht, was eigentlich für ein Gegensatz damit
ausgedrückt werden soll, und wo das Wimmern an sich eine häßliche und störende
Vorstellung enthält. -- Solcher Ausstellungen würden wir noch mehre antreffen,
indessen es spricht sich im ganzen doch ein beachtenswerthes Talent aus. --
Herr Bornhauser ist in den entgegengesetzten Fehler verfallen. Er hat das
ganze, sehr lauge Gedicht (4-11 enggedruckte Seiten, jede Seite zu 4 Strophen)
in einem und demselben Balladenversmaß gehalten, welches sogar einen ziemlich
auffallenden Rythmus hat:


Trag, Emma, die Harfe, geh aber gemach.
Mein Stab -- ach! -- muß mich stützen,
Wiefern ich unter dem laubigen Dach
Des Baumes am Hügel will sitzen.
Einst hatt ich der Gemse geflügelten Lauf,
Ich kletterte kühn bis zum Gletscher hinaus.
Nun wart ich so schwach durch die Matten,
Bin blos noch mein eigener Schatten.

Dadurch kommt in das Gedicht eine große Eintönigkeit, und es wird fast un¬
möglich es von Anfang bis zu Ende ununterbrochen durchzulesen. Allein der
nationale Stoff, detaillirte und mit großer Liebe ausgeführte Beschreibung, der
frische, lebensfrohe Humor thut doch wohl und läßt deu Leser vergessen, daß er
in vielen Fällen die Frage ausstellen könnte, ob er, es mit Prosa oder mit Poesie
zu thun hat.

Von den andern lyrischen Gedichtsammlungen ist keine ganz ohne Verdienst.
Im allgemeinen möchten wir nur unsere Lyriker davor warnen, Epigramme zu
macheu. Es ist uus nicht erinnerlich, in irgend einer Form, der Prosa oder der
Poesie, soviel leeres Gefasel gelesen zu haben, als in dieser leidigen Dichtungs¬
art. So hat unter andern Herr Hartmann über Hegel zwei Epigramme
gemacht:


^S^Ä^M^ .
Wie es der Drucker gedruckt, so muß es der Binder auch binden:
Nun, du bandest das Buch, aber man las nicht mehr drin-

Schön ist die dämmerdust'ge Tropennacht,
Wenn feurig, groß, die Sterne uiedcrglänzen,
Doch schöner noch Guaras Gliedcrpracht
In ihren fünfzehn sommerglcichen Lenzen.

Man versteht wol, was der Dichter mit dem letztem hat sagen wollen,
aber das Bild ist nicht richtig ausgedrückt, denn man denkt zunächst daran, daß
die Gliederpracht in fünfzehn verschiedene Lenze zerfällt, welcher falsche Eindruck
noch dadurch verstärkt wird, daß "zu Lenz ein Prädicat hinzugefügt ist. — So
heißt es gleich darauf!


Ihr voller Busen wallt in üppiger Glut,
Frei von Europas licbesflechem Wimmern,

wobei mau zunächst nicht recht versteht, was eigentlich für ein Gegensatz damit
ausgedrückt werden soll, und wo das Wimmern an sich eine häßliche und störende
Vorstellung enthält. — Solcher Ausstellungen würden wir noch mehre antreffen,
indessen es spricht sich im ganzen doch ein beachtenswerthes Talent aus. —
Herr Bornhauser ist in den entgegengesetzten Fehler verfallen. Er hat das
ganze, sehr lauge Gedicht (4-11 enggedruckte Seiten, jede Seite zu 4 Strophen)
in einem und demselben Balladenversmaß gehalten, welches sogar einen ziemlich
auffallenden Rythmus hat:


Trag, Emma, die Harfe, geh aber gemach.
Mein Stab — ach! — muß mich stützen,
Wiefern ich unter dem laubigen Dach
Des Baumes am Hügel will sitzen.
Einst hatt ich der Gemse geflügelten Lauf,
Ich kletterte kühn bis zum Gletscher hinaus.
Nun wart ich so schwach durch die Matten,
Bin blos noch mein eigener Schatten.

Dadurch kommt in das Gedicht eine große Eintönigkeit, und es wird fast un¬
möglich es von Anfang bis zu Ende ununterbrochen durchzulesen. Allein der
nationale Stoff, detaillirte und mit großer Liebe ausgeführte Beschreibung, der
frische, lebensfrohe Humor thut doch wohl und läßt deu Leser vergessen, daß er
in vielen Fällen die Frage ausstellen könnte, ob er, es mit Prosa oder mit Poesie
zu thun hat.

Von den andern lyrischen Gedichtsammlungen ist keine ganz ohne Verdienst.
Im allgemeinen möchten wir nur unsere Lyriker davor warnen, Epigramme zu
macheu. Es ist uus nicht erinnerlich, in irgend einer Form, der Prosa oder der
Poesie, soviel leeres Gefasel gelesen zu haben, als in dieser leidigen Dichtungs¬
art. So hat unter andern Herr Hartmann über Hegel zwei Epigramme
gemacht:


^S^Ä^M^ .
Wie es der Drucker gedruckt, so muß es der Binder auch binden:
Nun, du bandest das Buch, aber man las nicht mehr drin-

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[0304] Schön ist die dämmerdust'ge Tropennacht, Wenn feurig, groß, die Sterne uiedcrglänzen, Doch schöner noch Guaras Gliedcrpracht In ihren fünfzehn sommerglcichen Lenzen. Man versteht wol, was der Dichter mit dem letztem hat sagen wollen, aber das Bild ist nicht richtig ausgedrückt, denn man denkt zunächst daran, daß die Gliederpracht in fünfzehn verschiedene Lenze zerfällt, welcher falsche Eindruck noch dadurch verstärkt wird, daß "zu Lenz ein Prädicat hinzugefügt ist. — So heißt es gleich darauf! Ihr voller Busen wallt in üppiger Glut, Frei von Europas licbesflechem Wimmern, wobei mau zunächst nicht recht versteht, was eigentlich für ein Gegensatz damit ausgedrückt werden soll, und wo das Wimmern an sich eine häßliche und störende Vorstellung enthält. — Solcher Ausstellungen würden wir noch mehre antreffen, indessen es spricht sich im ganzen doch ein beachtenswerthes Talent aus. — Herr Bornhauser ist in den entgegengesetzten Fehler verfallen. Er hat das ganze, sehr lauge Gedicht (4-11 enggedruckte Seiten, jede Seite zu 4 Strophen) in einem und demselben Balladenversmaß gehalten, welches sogar einen ziemlich auffallenden Rythmus hat: Trag, Emma, die Harfe, geh aber gemach. Mein Stab — ach! — muß mich stützen, Wiefern ich unter dem laubigen Dach Des Baumes am Hügel will sitzen. Einst hatt ich der Gemse geflügelten Lauf, Ich kletterte kühn bis zum Gletscher hinaus. Nun wart ich so schwach durch die Matten, Bin blos noch mein eigener Schatten. Dadurch kommt in das Gedicht eine große Eintönigkeit, und es wird fast un¬ möglich es von Anfang bis zu Ende ununterbrochen durchzulesen. Allein der nationale Stoff, detaillirte und mit großer Liebe ausgeführte Beschreibung, der frische, lebensfrohe Humor thut doch wohl und läßt deu Leser vergessen, daß er in vielen Fällen die Frage ausstellen könnte, ob er, es mit Prosa oder mit Poesie zu thun hat. Von den andern lyrischen Gedichtsammlungen ist keine ganz ohne Verdienst. Im allgemeinen möchten wir nur unsere Lyriker davor warnen, Epigramme zu macheu. Es ist uus nicht erinnerlich, in irgend einer Form, der Prosa oder der Poesie, soviel leeres Gefasel gelesen zu haben, als in dieser leidigen Dichtungs¬ art. So hat unter andern Herr Hartmann über Hegel zwei Epigramme gemacht: ^S^Ä^M^ . Wie es der Drucker gedruckt, so muß es der Binder auch binden: Nun, du bandest das Buch, aber man las nicht mehr drin-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/304>, abgerufen am 23.07.2024.