Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Flusses und des Oceans. Breite Sandbänke, von den Schiffern ig. Karr"
genannt, verschließen die Mündung des Adonr und geben der Brandung die
fürchterliche Gewalt, von der das Ufer in weitem Umkreise erzittert. Mit schäu¬
menden Kämmen rollen die Meereswogen heran, zornig stürzt ihnen der Fluß
entgegen, sie spritzen gegeneinander ans, brechen sich ächzend, strömen grollend,
brausend, brüllend ineinander über und werden nicht müde, sich zu bekämpfe",
obwol seit Jahrtausenden Fluß und Meer ihr Recht behaupten.

Der Kampf dieser Gewaltigen hat manches reiche, befrachtete Schiff ver¬
schlungen und manches Menschenopfer gefordert. Urraca wollte die Seufzer und
Flüche der Ertrunkenen zwischen dem Wellengebranse vernehmen; sie bekreuzte
sich einmal über das andre und bat uns zu eilen, damit nicht die' böse Zauberin
Margot in ihrer Felsenkammer erwache und uns, wie sie schon manchem Neu¬
gierigen gethan, Krankheit oder Tod anhauche.

Wir wendeten uns links, und ritten im feuchten Sande den Strand entlang.
Lange war es, als rollte die Braudung hinter uns her, um uns zu verschlingen,
aber neben uns verliefen die Wellen leiser rauschend und wie ein Bild glückseliger
Ruhe lag die wallende Flut im Sonnenschein. Und welche Lebensfülle in dieser
Ruhe, welche Kraft in dieser gleichmäßigen Bewegung, welche Pracht und Majestät.
Sehnsüchtig hebt sich jede Woge, als wollte sie das Licht umfassen, mit dem
Lichte verschmelzen. Wie ein glänzender Smaragd rollt sie über die dunkelgrüne
Fläche, bis sie lichtgesättigt sich schäumend überstürzt und in purpurnen Tiefen
verschwindet.

Je weiter wir uns vom Adour entfernen, je mehr verklingt das Drohen und
Grollen der Brandung. Wie ein gewaltiges, tausendstimmiges Lied kommt das
Rauschen der Wellen ans Ufer gezogen, der Wind antwortet in langgedehnten
Tönen und mit drolliger Keckheit schrillen die Möven dazwischen. Wie große Wasser¬
vögel fliegen die Fischerboote mit geschwellten Segeln zwischen den Wogen auf
und nieder; hier und da fallen leichte Wolkenschatten auf Meer und Strand,
aber der Wind trägt sie schnell vorüber und immer blendender leuchten
Himmel und Meer, die am Saume des Horizontes ineinander zu verschwimmen
scheinen.

Aber der Wandrer lebt nicht vom Schauen allein.-- Bewegung und Seeluft
hatten unsern Appetit mächtig gereizt; in Angelet sollte gefrühstückt werden, wir
zogen landeinwärts, dem Fischerdorfe zu. ES liegt unweit der Dünen und
besteht, wie alle Ortschaften der Umgegend aus einstöckigen weißen Häusern, die
zwischen Gemüsegärten, Obstbäumen und Weinpflanzungen zerstreut siud. Auf¬
gespannte Netze, Fischkörbe, Angclruthen, Tauwerk und Ruder verrathen die Haupt-
beschäftigung seiner Bewohner. Die Männer waren wol alle zum Fischfang ausgezogen,
denn nur neugierig grüßende Frauen und Mädchen erschienen auf den Schwellen und
an den Fenstern. Aber kaum waren wir an den ersten Häusern vorüber, als uns


31"

Flusses und des Oceans. Breite Sandbänke, von den Schiffern ig. Karr«
genannt, verschließen die Mündung des Adonr und geben der Brandung die
fürchterliche Gewalt, von der das Ufer in weitem Umkreise erzittert. Mit schäu¬
menden Kämmen rollen die Meereswogen heran, zornig stürzt ihnen der Fluß
entgegen, sie spritzen gegeneinander ans, brechen sich ächzend, strömen grollend,
brausend, brüllend ineinander über und werden nicht müde, sich zu bekämpfe»,
obwol seit Jahrtausenden Fluß und Meer ihr Recht behaupten.

Der Kampf dieser Gewaltigen hat manches reiche, befrachtete Schiff ver¬
schlungen und manches Menschenopfer gefordert. Urraca wollte die Seufzer und
Flüche der Ertrunkenen zwischen dem Wellengebranse vernehmen; sie bekreuzte
sich einmal über das andre und bat uns zu eilen, damit nicht die' böse Zauberin
Margot in ihrer Felsenkammer erwache und uns, wie sie schon manchem Neu¬
gierigen gethan, Krankheit oder Tod anhauche.

Wir wendeten uns links, und ritten im feuchten Sande den Strand entlang.
Lange war es, als rollte die Braudung hinter uns her, um uns zu verschlingen,
aber neben uns verliefen die Wellen leiser rauschend und wie ein Bild glückseliger
Ruhe lag die wallende Flut im Sonnenschein. Und welche Lebensfülle in dieser
Ruhe, welche Kraft in dieser gleichmäßigen Bewegung, welche Pracht und Majestät.
Sehnsüchtig hebt sich jede Woge, als wollte sie das Licht umfassen, mit dem
Lichte verschmelzen. Wie ein glänzender Smaragd rollt sie über die dunkelgrüne
Fläche, bis sie lichtgesättigt sich schäumend überstürzt und in purpurnen Tiefen
verschwindet.

Je weiter wir uns vom Adour entfernen, je mehr verklingt das Drohen und
Grollen der Brandung. Wie ein gewaltiges, tausendstimmiges Lied kommt das
Rauschen der Wellen ans Ufer gezogen, der Wind antwortet in langgedehnten
Tönen und mit drolliger Keckheit schrillen die Möven dazwischen. Wie große Wasser¬
vögel fliegen die Fischerboote mit geschwellten Segeln zwischen den Wogen auf
und nieder; hier und da fallen leichte Wolkenschatten auf Meer und Strand,
aber der Wind trägt sie schnell vorüber und immer blendender leuchten
Himmel und Meer, die am Saume des Horizontes ineinander zu verschwimmen
scheinen.

Aber der Wandrer lebt nicht vom Schauen allein.— Bewegung und Seeluft
hatten unsern Appetit mächtig gereizt; in Angelet sollte gefrühstückt werden, wir
zogen landeinwärts, dem Fischerdorfe zu. ES liegt unweit der Dünen und
besteht, wie alle Ortschaften der Umgegend aus einstöckigen weißen Häusern, die
zwischen Gemüsegärten, Obstbäumen und Weinpflanzungen zerstreut siud. Auf¬
gespannte Netze, Fischkörbe, Angclruthen, Tauwerk und Ruder verrathen die Haupt-
beschäftigung seiner Bewohner. Die Männer waren wol alle zum Fischfang ausgezogen,
denn nur neugierig grüßende Frauen und Mädchen erschienen auf den Schwellen und
an den Fenstern. Aber kaum waren wir an den ersten Häusern vorüber, als uns


31"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0251" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96426"/>
            <p xml:id="ID_805" prev="#ID_804"> Flusses und des Oceans. Breite Sandbänke, von den Schiffern ig. Karr«<lb/>
genannt, verschließen die Mündung des Adonr und geben der Brandung die<lb/>
fürchterliche Gewalt, von der das Ufer in weitem Umkreise erzittert. Mit schäu¬<lb/>
menden Kämmen rollen die Meereswogen heran, zornig stürzt ihnen der Fluß<lb/>
entgegen, sie spritzen gegeneinander ans, brechen sich ächzend, strömen grollend,<lb/>
brausend, brüllend ineinander über und werden nicht müde, sich zu bekämpfe»,<lb/>
obwol seit Jahrtausenden Fluß und Meer ihr Recht behaupten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_806"> Der Kampf dieser Gewaltigen hat manches reiche, befrachtete Schiff ver¬<lb/>
schlungen und manches Menschenopfer gefordert. Urraca wollte die Seufzer und<lb/>
Flüche der Ertrunkenen zwischen dem Wellengebranse vernehmen; sie bekreuzte<lb/>
sich einmal über das andre und bat uns zu eilen, damit nicht die' böse Zauberin<lb/>
Margot in ihrer Felsenkammer erwache und uns, wie sie schon manchem Neu¬<lb/>
gierigen gethan, Krankheit oder Tod anhauche.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_807"> Wir wendeten uns links, und ritten im feuchten Sande den Strand entlang.<lb/>
Lange war es, als rollte die Braudung hinter uns her, um uns zu verschlingen,<lb/>
aber neben uns verliefen die Wellen leiser rauschend und wie ein Bild glückseliger<lb/>
Ruhe lag die wallende Flut im Sonnenschein. Und welche Lebensfülle in dieser<lb/>
Ruhe, welche Kraft in dieser gleichmäßigen Bewegung, welche Pracht und Majestät.<lb/>
Sehnsüchtig hebt sich jede Woge, als wollte sie das Licht umfassen, mit dem<lb/>
Lichte verschmelzen. Wie ein glänzender Smaragd rollt sie über die dunkelgrüne<lb/>
Fläche, bis sie lichtgesättigt sich schäumend überstürzt und in purpurnen Tiefen<lb/>
verschwindet.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_808"> Je weiter wir uns vom Adour entfernen, je mehr verklingt das Drohen und<lb/>
Grollen der Brandung. Wie ein gewaltiges, tausendstimmiges Lied kommt das<lb/>
Rauschen der Wellen ans Ufer gezogen, der Wind antwortet in langgedehnten<lb/>
Tönen und mit drolliger Keckheit schrillen die Möven dazwischen. Wie große Wasser¬<lb/>
vögel fliegen die Fischerboote mit geschwellten Segeln zwischen den Wogen auf<lb/>
und nieder; hier und da fallen leichte Wolkenschatten auf Meer und Strand,<lb/>
aber der Wind trägt sie schnell vorüber und immer blendender leuchten<lb/>
Himmel und Meer, die am Saume des Horizontes ineinander zu verschwimmen<lb/>
scheinen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_809" next="#ID_810"> Aber der Wandrer lebt nicht vom Schauen allein.&#x2014; Bewegung und Seeluft<lb/>
hatten unsern Appetit mächtig gereizt; in Angelet sollte gefrühstückt werden, wir<lb/>
zogen landeinwärts, dem Fischerdorfe zu. ES liegt unweit der Dünen und<lb/>
besteht, wie alle Ortschaften der Umgegend aus einstöckigen weißen Häusern, die<lb/>
zwischen Gemüsegärten, Obstbäumen und Weinpflanzungen zerstreut siud. Auf¬<lb/>
gespannte Netze, Fischkörbe, Angclruthen, Tauwerk und Ruder verrathen die Haupt-<lb/>
beschäftigung seiner Bewohner. Die Männer waren wol alle zum Fischfang ausgezogen,<lb/>
denn nur neugierig grüßende Frauen und Mädchen erschienen auf den Schwellen und<lb/>
an den Fenstern.  Aber kaum waren wir an den ersten Häusern vorüber, als uns</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 31"</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0251] Flusses und des Oceans. Breite Sandbänke, von den Schiffern ig. Karr« genannt, verschließen die Mündung des Adonr und geben der Brandung die fürchterliche Gewalt, von der das Ufer in weitem Umkreise erzittert. Mit schäu¬ menden Kämmen rollen die Meereswogen heran, zornig stürzt ihnen der Fluß entgegen, sie spritzen gegeneinander ans, brechen sich ächzend, strömen grollend, brausend, brüllend ineinander über und werden nicht müde, sich zu bekämpfe», obwol seit Jahrtausenden Fluß und Meer ihr Recht behaupten. Der Kampf dieser Gewaltigen hat manches reiche, befrachtete Schiff ver¬ schlungen und manches Menschenopfer gefordert. Urraca wollte die Seufzer und Flüche der Ertrunkenen zwischen dem Wellengebranse vernehmen; sie bekreuzte sich einmal über das andre und bat uns zu eilen, damit nicht die' böse Zauberin Margot in ihrer Felsenkammer erwache und uns, wie sie schon manchem Neu¬ gierigen gethan, Krankheit oder Tod anhauche. Wir wendeten uns links, und ritten im feuchten Sande den Strand entlang. Lange war es, als rollte die Braudung hinter uns her, um uns zu verschlingen, aber neben uns verliefen die Wellen leiser rauschend und wie ein Bild glückseliger Ruhe lag die wallende Flut im Sonnenschein. Und welche Lebensfülle in dieser Ruhe, welche Kraft in dieser gleichmäßigen Bewegung, welche Pracht und Majestät. Sehnsüchtig hebt sich jede Woge, als wollte sie das Licht umfassen, mit dem Lichte verschmelzen. Wie ein glänzender Smaragd rollt sie über die dunkelgrüne Fläche, bis sie lichtgesättigt sich schäumend überstürzt und in purpurnen Tiefen verschwindet. Je weiter wir uns vom Adour entfernen, je mehr verklingt das Drohen und Grollen der Brandung. Wie ein gewaltiges, tausendstimmiges Lied kommt das Rauschen der Wellen ans Ufer gezogen, der Wind antwortet in langgedehnten Tönen und mit drolliger Keckheit schrillen die Möven dazwischen. Wie große Wasser¬ vögel fliegen die Fischerboote mit geschwellten Segeln zwischen den Wogen auf und nieder; hier und da fallen leichte Wolkenschatten auf Meer und Strand, aber der Wind trägt sie schnell vorüber und immer blendender leuchten Himmel und Meer, die am Saume des Horizontes ineinander zu verschwimmen scheinen. Aber der Wandrer lebt nicht vom Schauen allein.— Bewegung und Seeluft hatten unsern Appetit mächtig gereizt; in Angelet sollte gefrühstückt werden, wir zogen landeinwärts, dem Fischerdorfe zu. ES liegt unweit der Dünen und besteht, wie alle Ortschaften der Umgegend aus einstöckigen weißen Häusern, die zwischen Gemüsegärten, Obstbäumen und Weinpflanzungen zerstreut siud. Auf¬ gespannte Netze, Fischkörbe, Angclruthen, Tauwerk und Ruder verrathen die Haupt- beschäftigung seiner Bewohner. Die Männer waren wol alle zum Fischfang ausgezogen, denn nur neugierig grüßende Frauen und Mädchen erschienen auf den Schwellen und an den Fenstern. Aber kaum waren wir an den ersten Häusern vorüber, als uns 31"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/251
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/251>, abgerufen am 03.07.2024.