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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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sie stellten dasselbe daher als ein Attentat gegen die Religion dar, und Ali Pascha
fiel. So hatte sich denn der Sultan wieder mit Frankreich und England verun¬
einigt, und bemühte sich daher durch das neue Ministerium sich wieder den,
russischen Kaiser zu nähern. Diesen Sinn hatte die Wahl Fuad Effeudis, von
dem man glaubte, er wäre Rußland eine sehr angenehme Persönlichkeit.

Als nämlich 1848 der Aufstand in der Moldau und Wallachei ausbrach,
waren die Russe" von der einen Seite, ans der andern Seite Suleimau Pascha
mit den Türken eingerückt. Da der letztere dem Liberalismus einige Concessionen
machen wollte, so wurde er von Se. Petersburg aus als Revelutivnär und als
Schüler Palmcrstvns bezeichnet. Die Pforte ließ ihn fallen und beauftragte
Fuad Effendi, Rußland zu beschwichtigen, der infolge dessen den Bertrag von
Balta-Liman abschloß. Auch bei den Streitigkeiten wegen der ungarischen
Flüchtlinge, als kein türkischer Botschafter es wagen wollte, dem Zorne des
Zaren entgegenzutreten, mußte wieder Fuad Effendi den Vermittler spielen.
Wider alles Erwarten wurde er sehr gnädig aufgenommen und mit reichen Ge¬
schenken bedacht. Man glaubte also seinen Credit in Se. Petersburg völlig sicher
gestellt. Wie die Sendung LciniugeuS wegen Mouteuegrv, Meuschikvffs wegen
der heiligen Orte diese Voraussetzung widerlegt haben, ist früher von uns aus¬
führlich dargestellt worden. Wir fügen hier nur noch einige Bemerkungen über
die türkischen Kräfte hinzu.

Einer der Hauptgründe für die Schwäche der Türkei liegt in der Unmög¬
lichkeit, die Christen, also den größeren Theil der türkischen Unterthanen, zum
militärischen Dienst zu verwenden. Die Janitscharen bestanden früher bekanntlich
zum größten Theil aus geraubten Christenkindern; eine solche Methode der Aus¬
hebung würde jetzt nicht mehr statthaft sein. Ueberall geht man von der Vor¬
aussetzung aus, daß die beiden Elemente miteinander unverträglich siud. Im
Königreich Griechenland, in den Donaufürstenthümern und in Serbien (in letz¬
terem mit Ausnahme der Festnngsgarnison) darf sich kein Türke aufhalten. Die
griechische Kirche unter der Leitung des Patriarchen vou Konstantinopel erfreut
sich einer Autonomie, wie sie in keinem andern Staat wieder vorkommt. Man
hatte zwar zuweilen den Vorsatz gefaßt, die Provinzialverwaltnug so einzurichten,
daß die verschiedenen Elemente nebeneinander bestehe" könnten. Dies war der
Inhalt des Hattischcrif vo" Gnlhaueh> der von Neschid Pascha ausging. Nach
diesem sollte die militärische Gewalt von der Civilverwaltnng und der Erhebung
der Steuern getrennt und mit der letzteren ein Gouverneur beauftragt werden,
der einer berathende" Versammlung, in welcher Abgeordnete von den Städten,
vom Land, sowie der griechische oder armenische Bischof saßen, Rechenschaft ab¬
legen sollte; indeß dieses Edict, wie die meisten türkischen, blieb auf dem Papier.
Nach Bulgarien kam z. B. der erste bürgerliche Zolleinnehmer, und die Bevölke¬
rung war sehr damit zufrieden, daß jetzt regelmäßige Abgaben an Stelle der


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sie stellten dasselbe daher als ein Attentat gegen die Religion dar, und Ali Pascha
fiel. So hatte sich denn der Sultan wieder mit Frankreich und England verun¬
einigt, und bemühte sich daher durch das neue Ministerium sich wieder den,
russischen Kaiser zu nähern. Diesen Sinn hatte die Wahl Fuad Effeudis, von
dem man glaubte, er wäre Rußland eine sehr angenehme Persönlichkeit.

Als nämlich 1848 der Aufstand in der Moldau und Wallachei ausbrach,
waren die Russe» von der einen Seite, ans der andern Seite Suleimau Pascha
mit den Türken eingerückt. Da der letztere dem Liberalismus einige Concessionen
machen wollte, so wurde er von Se. Petersburg aus als Revelutivnär und als
Schüler Palmcrstvns bezeichnet. Die Pforte ließ ihn fallen und beauftragte
Fuad Effendi, Rußland zu beschwichtigen, der infolge dessen den Bertrag von
Balta-Liman abschloß. Auch bei den Streitigkeiten wegen der ungarischen
Flüchtlinge, als kein türkischer Botschafter es wagen wollte, dem Zorne des
Zaren entgegenzutreten, mußte wieder Fuad Effendi den Vermittler spielen.
Wider alles Erwarten wurde er sehr gnädig aufgenommen und mit reichen Ge¬
schenken bedacht. Man glaubte also seinen Credit in Se. Petersburg völlig sicher
gestellt. Wie die Sendung LciniugeuS wegen Mouteuegrv, Meuschikvffs wegen
der heiligen Orte diese Voraussetzung widerlegt haben, ist früher von uns aus¬
führlich dargestellt worden. Wir fügen hier nur noch einige Bemerkungen über
die türkischen Kräfte hinzu.

Einer der Hauptgründe für die Schwäche der Türkei liegt in der Unmög¬
lichkeit, die Christen, also den größeren Theil der türkischen Unterthanen, zum
militärischen Dienst zu verwenden. Die Janitscharen bestanden früher bekanntlich
zum größten Theil aus geraubten Christenkindern; eine solche Methode der Aus¬
hebung würde jetzt nicht mehr statthaft sein. Ueberall geht man von der Vor¬
aussetzung aus, daß die beiden Elemente miteinander unverträglich siud. Im
Königreich Griechenland, in den Donaufürstenthümern und in Serbien (in letz¬
terem mit Ausnahme der Festnngsgarnison) darf sich kein Türke aufhalten. Die
griechische Kirche unter der Leitung des Patriarchen vou Konstantinopel erfreut
sich einer Autonomie, wie sie in keinem andern Staat wieder vorkommt. Man
hatte zwar zuweilen den Vorsatz gefaßt, die Provinzialverwaltnug so einzurichten,
daß die verschiedenen Elemente nebeneinander bestehe» könnten. Dies war der
Inhalt des Hattischcrif vo» Gnlhaueh> der von Neschid Pascha ausging. Nach
diesem sollte die militärische Gewalt von der Civilverwaltnng und der Erhebung
der Steuern getrennt und mit der letzteren ein Gouverneur beauftragt werden,
der einer berathende» Versammlung, in welcher Abgeordnete von den Städten,
vom Land, sowie der griechische oder armenische Bischof saßen, Rechenschaft ab¬
legen sollte; indeß dieses Edict, wie die meisten türkischen, blieb auf dem Papier.
Nach Bulgarien kam z. B. der erste bürgerliche Zolleinnehmer, und die Bevölke¬
rung war sehr damit zufrieden, daß jetzt regelmäßige Abgaben an Stelle der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/235>, abgerufen am 23.07.2024.