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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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gegengetreten sei -- der Unterschied zwischen beiden ist nur der, daß der Meister
vom Stuhle und der Allvater dieses "Unsinns" zwar augenblicklich nicht anwesend
ist, aber doch dem Schooße der Körperschaft angehört, ans deren Mitte dieser
Keulenschlag auf ihn geführt wird, wenn anch sein Name unerwähnt bleibt und
die geistreichen Verirrungen des Jenenser Ritter allein mit Namensinschrift an
den Pranger gestellt werden. "Seitdem zuerst das kecke Schifflein strandete, das
buntbcwimpelte, der Naturphilosophie", ist ihr wol nicht mit solcher Energie zu
Leibe gegangen worden! und das von einem Kollegen! bei einem akademischen
Schauturnen! vor dem gesammten, lieben Publicum, das schon lange ans die
sechstehalbtausend Thaler räsonnirt, die jährlich dem langerwarteten zweiten Kind-
lein desselben Vaters, "der Offeubarnngspofitivphilosophie", uoch ungebvren und
doch vielverschlingend, geopfert werden. Aber wenn es dabei sein Bewenden
gehabt hätte. Mit einer geistreichen und lebendigen Schilderung der französischen
Kolonie zu Berlin, der Ermans wie Dubois Familien angehören, begann die
Rede, um einen Hintergrund für die Zeichnung der Persönlichkeit Ermans zu
gewinnen. Preisend wurde es hervorgehoben, daß "Dank ihrer presbyterianischer
Verfassung" sich in ihr ein straffer, unabhängiger Sinn, ein Republikanismus
inmitten der absolute" Monarchie zu den Zeiten des großen Königs erhalten
habe -- und Friedrich von Raumers Schatten, ein grauses Gespenst, in trübes
Nebelgrau gehüllt, schwebte halb lächelnd, halb drohend dnrch den Saal und die
ihn sahen von seinen ehemaligen Kollegen schlugen die Angen zu Boden: Raumer,
obwol er reichlich ebensoviele Ursache gehabt hätte, es zu thu", that es aber
nicht, sondern "i5vti,'/"i-or, wie der alte Homeros sagt, freute er sich des ziemlich
wohlfeilen und eontrs coeur errungenen Märtyrerthums.

Bald war der Eindruck der Erscheinung durch die frischen Farben verwischt,
die der Redner seinem Bilde lieh. Die Kolonie durste sich dazumals rühmen,
die gebildetsten Kreise der Hauptstadt zu umfassen; mit denen von Sanssouci
schnitten sie sich vielfach, ohne identisch zu sein: war es hier Voltaire, so waren
es dort Pascal und Bossuet, denen mau huldigte. Erman, Sohn eines Geist¬
lichen der Gemeinde, widmete sich gleichfalls theologischen und philosophischen
Studien; von jenen entfernte ihn das Thema einer Probepredigt: "Was ist
Wahrheit?",-- diese" ergab er sich bis in das Mannesalter hinein vorwiegend.
Sehr früh scho" war er i" das praktische Lebe" getreten: den achtzehnjährigen
finden wir schon als rvssent (Ordinarius) von Secunda desselben CoUc-Fv kran^aus,
aus dessen Bänken er noch vor kurzem als Schüler gesessen hatte. Und was
bemerkt dazu unser Mitglied der Akademie der Wissenschaften, das es trotzdem
und trotz seiner grandiosen Arbeiten und trotz seiner europäischen Berühmtheit bis dato
zu dem anspruchs- und einkommcnslosen Amte eines Privatdocenten gebracht hat?
Daß man es damals verstanden habe, die Kräfte, die sich darboten, zu benutzen
und an geeigneter Stelle zu verwenden, weil noch nicht jenes System von Prü-


gegengetreten sei — der Unterschied zwischen beiden ist nur der, daß der Meister
vom Stuhle und der Allvater dieses „Unsinns" zwar augenblicklich nicht anwesend
ist, aber doch dem Schooße der Körperschaft angehört, ans deren Mitte dieser
Keulenschlag auf ihn geführt wird, wenn anch sein Name unerwähnt bleibt und
die geistreichen Verirrungen des Jenenser Ritter allein mit Namensinschrift an
den Pranger gestellt werden. „Seitdem zuerst das kecke Schifflein strandete, das
buntbcwimpelte, der Naturphilosophie", ist ihr wol nicht mit solcher Energie zu
Leibe gegangen worden! und das von einem Kollegen! bei einem akademischen
Schauturnen! vor dem gesammten, lieben Publicum, das schon lange ans die
sechstehalbtausend Thaler räsonnirt, die jährlich dem langerwarteten zweiten Kind-
lein desselben Vaters, „der Offeubarnngspofitivphilosophie", uoch ungebvren und
doch vielverschlingend, geopfert werden. Aber wenn es dabei sein Bewenden
gehabt hätte. Mit einer geistreichen und lebendigen Schilderung der französischen
Kolonie zu Berlin, der Ermans wie Dubois Familien angehören, begann die
Rede, um einen Hintergrund für die Zeichnung der Persönlichkeit Ermans zu
gewinnen. Preisend wurde es hervorgehoben, daß „Dank ihrer presbyterianischer
Verfassung" sich in ihr ein straffer, unabhängiger Sinn, ein Republikanismus
inmitten der absolute» Monarchie zu den Zeiten des großen Königs erhalten
habe — und Friedrich von Raumers Schatten, ein grauses Gespenst, in trübes
Nebelgrau gehüllt, schwebte halb lächelnd, halb drohend dnrch den Saal und die
ihn sahen von seinen ehemaligen Kollegen schlugen die Angen zu Boden: Raumer,
obwol er reichlich ebensoviele Ursache gehabt hätte, es zu thu», that es aber
nicht, sondern «i5vti,'/«i-or, wie der alte Homeros sagt, freute er sich des ziemlich
wohlfeilen und eontrs coeur errungenen Märtyrerthums.

Bald war der Eindruck der Erscheinung durch die frischen Farben verwischt,
die der Redner seinem Bilde lieh. Die Kolonie durste sich dazumals rühmen,
die gebildetsten Kreise der Hauptstadt zu umfassen; mit denen von Sanssouci
schnitten sie sich vielfach, ohne identisch zu sein: war es hier Voltaire, so waren
es dort Pascal und Bossuet, denen mau huldigte. Erman, Sohn eines Geist¬
lichen der Gemeinde, widmete sich gleichfalls theologischen und philosophischen
Studien; von jenen entfernte ihn das Thema einer Probepredigt: „Was ist
Wahrheit?",— diese» ergab er sich bis in das Mannesalter hinein vorwiegend.
Sehr früh scho» war er i» das praktische Lebe» getreten: den achtzehnjährigen
finden wir schon als rvssent (Ordinarius) von Secunda desselben CoUc-Fv kran^aus,
aus dessen Bänken er noch vor kurzem als Schüler gesessen hatte. Und was
bemerkt dazu unser Mitglied der Akademie der Wissenschaften, das es trotzdem
und trotz seiner grandiosen Arbeiten und trotz seiner europäischen Berühmtheit bis dato
zu dem anspruchs- und einkommcnslosen Amte eines Privatdocenten gebracht hat?
Daß man es damals verstanden habe, die Kräfte, die sich darboten, zu benutzen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/136>, abgerufen am 23.07.2024.