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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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die Arbeit und eine sich daran schließende Kritik der Theorie Adam Smiths, des
"Arbeit ist Wohlstand", fordernd, zeigt, daß die Akademie sich der Strömung des
Zeitgeistes nicht verschließt. Und daß sie einen guten Griff gethan, beweist das,
daß nicht weniger als fünf Bewerber um die Ehre des Preises aufgetreten sind.
Das Resultat freilich entspricht der dnrch so lebhafte Concurrenz erregten Erwar¬
tung uicht; zwei der Bearbeiter haben sich den ganzen Umfang der gro߬
artigen Aufgabe uicht einmal klar gemacht: der eine hat sein Motto: "Ums is
mure^", wie es scheint, so verstanden, als müsse er in möglichst kurzer Zeit den
Preis von 100 Dukaten verdienen, der zweite hat die Devise: "Trachtet am
ersten nach dem Reiche Gottes" in der bekannten Weise zum Aushängeschilde
vulgärer, in der Kreuzzeitung, in den Briefen des bückcbnrger Staatsmanns und
den Reden des schievelbeiucr Volksvertreters sattsam breitgctretener Restaurations-
ideen gebraucht und trotz aller Urbanität schimmert dnrch das Urtheil der Akademie
das Goethesche "Getretener Quark wird breit, uicht stark" hindurch.5- Vou den
drei anderen Bearbeitern ist die Aufgabe vom wissenschaftlichen Standpunkte aus
erfaßt werden, an jedem gibt es mancherlei zu loben und mancherlei zu tadeln,
der hat das Alterthum ganz ignorirt, der uicht aus den Quellen selbst oder aus
einem zu begrenzten Kreise von Quellen geschöpft, dem mangelt tiefere, philosophische
Begründung und Klarheit der Gedanken: taon eben ein Todtengericht und Ver¬
brennen der Leichen, keiner erhält den Preis, die Aufgabe wird unter Verdoppelung
desselben für 18S6 erneuert -- und Herr Trendelenburg schellt, um ein Autodafe"
nach §. 66, wenn wir nicht irren, des akademische" Statuts zu vollziehe". Eine
ehrwürdige, markige Gestalt mit silberweißem Haar, der alte Kastellan der Akademie
und akademische Buchdrucker Vogt tritt herein mit brennender Kerze und einer
Schale und mit gemessener Förmlichkeit vollzieht Herr Trendelenburg den Act des
Anbrennens der einzelnen versiegelten Zettel unter Verlesung der Devisen und
deponirt die lodernden Zeugen getäuschter Erwartung auf der Schale. Der alte
Vogt aber guckt behaglich und halbsatirisch drein. Der Mann verdiente einen
eigenen Artikel so gut wie mancher der gelehrten Herren in der Akademie selbst:
ein Kerumcnsch von altem Schrot und Korn, ein Achtziger fast, aber jugendfrisch
und rüstig an Körper und Geist. Durch langjährigen Verkehr ist er tief eingeweiht
in die Mysterien der gelehrten Körperschaft: tausenderlei gute Geschichte" weiß er
mit originellem Humor zu erzähle", vou seinen Gelehrten, von Buttmann und
Schleiermacher, von Link und Buch, und er schüttelt den Kopf vonwegen aller der
"jungen Leute", die jetzt auf die akademischen Sessel berufen werden und in die
er sich uicht so gut finden kann, als in die alten Herren, mit denen er so lauge
gelebt hatte und mit denen er alt geworden war.

Heute ist es wieder einer von diesen sogenannten "jungen Leuten", dem
sich die Pforten der Akademie offnen. Zur Linken Trendclenbnrgs hat er in der
vordersten Reihe seinen Platz eingenommen und fesselt den Blick durch die An-


die Arbeit und eine sich daran schließende Kritik der Theorie Adam Smiths, des
„Arbeit ist Wohlstand", fordernd, zeigt, daß die Akademie sich der Strömung des
Zeitgeistes nicht verschließt. Und daß sie einen guten Griff gethan, beweist das,
daß nicht weniger als fünf Bewerber um die Ehre des Preises aufgetreten sind.
Das Resultat freilich entspricht der dnrch so lebhafte Concurrenz erregten Erwar¬
tung uicht; zwei der Bearbeiter haben sich den ganzen Umfang der gro߬
artigen Aufgabe uicht einmal klar gemacht: der eine hat sein Motto: „Ums is
mure^", wie es scheint, so verstanden, als müsse er in möglichst kurzer Zeit den
Preis von 100 Dukaten verdienen, der zweite hat die Devise: „Trachtet am
ersten nach dem Reiche Gottes" in der bekannten Weise zum Aushängeschilde
vulgärer, in der Kreuzzeitung, in den Briefen des bückcbnrger Staatsmanns und
den Reden des schievelbeiucr Volksvertreters sattsam breitgctretener Restaurations-
ideen gebraucht und trotz aller Urbanität schimmert dnrch das Urtheil der Akademie
das Goethesche „Getretener Quark wird breit, uicht stark" hindurch.5- Vou den
drei anderen Bearbeitern ist die Aufgabe vom wissenschaftlichen Standpunkte aus
erfaßt werden, an jedem gibt es mancherlei zu loben und mancherlei zu tadeln,
der hat das Alterthum ganz ignorirt, der uicht aus den Quellen selbst oder aus
einem zu begrenzten Kreise von Quellen geschöpft, dem mangelt tiefere, philosophische
Begründung und Klarheit der Gedanken: taon eben ein Todtengericht und Ver¬
brennen der Leichen, keiner erhält den Preis, die Aufgabe wird unter Verdoppelung
desselben für 18S6 erneuert — und Herr Trendelenburg schellt, um ein Autodafe"
nach §. 66, wenn wir nicht irren, des akademische« Statuts zu vollziehe». Eine
ehrwürdige, markige Gestalt mit silberweißem Haar, der alte Kastellan der Akademie
und akademische Buchdrucker Vogt tritt herein mit brennender Kerze und einer
Schale und mit gemessener Förmlichkeit vollzieht Herr Trendelenburg den Act des
Anbrennens der einzelnen versiegelten Zettel unter Verlesung der Devisen und
deponirt die lodernden Zeugen getäuschter Erwartung auf der Schale. Der alte
Vogt aber guckt behaglich und halbsatirisch drein. Der Mann verdiente einen
eigenen Artikel so gut wie mancher der gelehrten Herren in der Akademie selbst:
ein Kerumcnsch von altem Schrot und Korn, ein Achtziger fast, aber jugendfrisch
und rüstig an Körper und Geist. Durch langjährigen Verkehr ist er tief eingeweiht
in die Mysterien der gelehrten Körperschaft: tausenderlei gute Geschichte» weiß er
mit originellem Humor zu erzähle«, vou seinen Gelehrten, von Buttmann und
Schleiermacher, von Link und Buch, und er schüttelt den Kopf vonwegen aller der
„jungen Leute", die jetzt auf die akademischen Sessel berufen werden und in die
er sich uicht so gut finden kann, als in die alten Herren, mit denen er so lauge
gelebt hatte und mit denen er alt geworden war.

Heute ist es wieder einer von diesen sogenannten „jungen Leuten", dem
sich die Pforten der Akademie offnen. Zur Linken Trendclenbnrgs hat er in der
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/132>, abgerufen am 22.07.2024.