Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zum Minister des Auswärtigen eine höchst bedeutsame Unterstützung, indem dieser
von allen Parteien geachtete Staatsmann, der Prototypns des holländischen Libe¬
ralismus, sich dadurch offen dem immer noch im Verdachte der Demokratie stehen¬
den Thorbecke anschloß, dem er 18S0 erklärt hatte, überall folgen zu wollen,
"nur nicht zum allgemeinen Stimmrecht, zur Volkssouveränetät und zur Demo¬
kratie", und der jetzt als seine Loosung erklärte "das Staatsgrundgesetz, nicht
mehr und nicht weniger," was von nun an die Parole der liberalen Wählerverei-
nignngen ward.

Dagegen erregte vieles Mißtrauen die Entdeckung, daß der neue Kriegs¬
minister Mitglied, ja Mitvorstand der antirevolutionären .Wählervereinigung:
Niederland und Oranien, war, also ein Gesiuuuugsgeuosse Groen van Prinsterers
und Mackays. Es kam darüber zu ärgerlichen Interpellationen in der Kammer,
bei denen der Kriegsminister die Vereinbarkeit dieser Mitgliederschaft mit seinem
Eintritt in das liberale Ministerium zu beweisen suchte, lebhaft seine Anhäng¬
lichkeit an, das Staatsgrundgesetz betheuerte, und im ganzen nnr den alten Satz
bewies, daß alte Soldaten schlechte Kammerredner sind. Man ließ endlich die
Sache auf sich beruhen, als Thorbecke für die constitutionellen Gesinnungen seines
neuen College" sich verbürgte.

Am 27. September legte der Finanzminister das Budget sür 18S3 vor,
welches ungemein günstig war, indem nicht blos die Deficite früherer Jahre ge¬
schwunden waren, sondern mit den muthmaßlichen Ueberschüssen des laufenden
Dienstjahres ein Ucberschusz von 12 Millionen Fi. bestand, von welchem der
Minister eine Summe von 2,960,500 für, Amortisation zu verwenden vorschlug,
nämlich 880,000 Fi.Z für Tilgung der Beschwerden und Warnungen. Viele
forderten wiederum die sofortige Ablösung der 10 Mill. Fe., welche der
Staat der Handelsmaatschappy schulde, und die Kammer ließ sich nnr durch die
wiederholte Versicherung pes Finanzministers beschwichtigen, daß diese Ablösung
dnrch die Konversion nicht unmöglich würde. Vor allem aber erhob der indische
Neformfreund, der Nationalordman Baron Stock tot Oldhuis, seine Beschwerde¬
stimme über die ostindischen Angelegenheiten, wo man die schädlichsten Con-
tracte, Verpflichtungen zu 6^ Pret. eingehe, während man hier conservire,
und wo das ganze Budget von 80 Mill. Fi. der Cognition der Kammern
noch fast ganz entzogen sei; er warnte das Ministerium, die nach dem Negie-
rnngseutwurfe über Ostindien betretene Bahn der alten Colonialpolitik weiter
zu verfolgen; ein Ministerium, welches hier nicht entschieden resormirc, werde
die Unterstützung der liberalen Kammermehrheit nicht behalten.

Während man so hier dem Ministerium den Vorwurf des Klebens am
Alten machte, verschlimmerte sich das Verhältniß des Ministers Thorbecke zu den
altliberalen vornehmen Geschlechtern, die ihm Herrschsucht und demokratische Hin¬
neigungen vorwarfen; es kam so weit, daß Thorbecke, wie es wenigstens allge-


zum Minister des Auswärtigen eine höchst bedeutsame Unterstützung, indem dieser
von allen Parteien geachtete Staatsmann, der Prototypns des holländischen Libe¬
ralismus, sich dadurch offen dem immer noch im Verdachte der Demokratie stehen¬
den Thorbecke anschloß, dem er 18S0 erklärt hatte, überall folgen zu wollen,
„nur nicht zum allgemeinen Stimmrecht, zur Volkssouveränetät und zur Demo¬
kratie", und der jetzt als seine Loosung erklärte „das Staatsgrundgesetz, nicht
mehr und nicht weniger," was von nun an die Parole der liberalen Wählerverei-
nignngen ward.

Dagegen erregte vieles Mißtrauen die Entdeckung, daß der neue Kriegs¬
minister Mitglied, ja Mitvorstand der antirevolutionären .Wählervereinigung:
Niederland und Oranien, war, also ein Gesiuuuugsgeuosse Groen van Prinsterers
und Mackays. Es kam darüber zu ärgerlichen Interpellationen in der Kammer,
bei denen der Kriegsminister die Vereinbarkeit dieser Mitgliederschaft mit seinem
Eintritt in das liberale Ministerium zu beweisen suchte, lebhaft seine Anhäng¬
lichkeit an, das Staatsgrundgesetz betheuerte, und im ganzen nnr den alten Satz
bewies, daß alte Soldaten schlechte Kammerredner sind. Man ließ endlich die
Sache auf sich beruhen, als Thorbecke für die constitutionellen Gesinnungen seines
neuen College» sich verbürgte.

Am 27. September legte der Finanzminister das Budget sür 18S3 vor,
welches ungemein günstig war, indem nicht blos die Deficite früherer Jahre ge¬
schwunden waren, sondern mit den muthmaßlichen Ueberschüssen des laufenden
Dienstjahres ein Ucberschusz von 12 Millionen Fi. bestand, von welchem der
Minister eine Summe von 2,960,500 für, Amortisation zu verwenden vorschlug,
nämlich 880,000 Fi.Z für Tilgung der Beschwerden und Warnungen. Viele
forderten wiederum die sofortige Ablösung der 10 Mill. Fe., welche der
Staat der Handelsmaatschappy schulde, und die Kammer ließ sich nnr durch die
wiederholte Versicherung pes Finanzministers beschwichtigen, daß diese Ablösung
dnrch die Konversion nicht unmöglich würde. Vor allem aber erhob der indische
Neformfreund, der Nationalordman Baron Stock tot Oldhuis, seine Beschwerde¬
stimme über die ostindischen Angelegenheiten, wo man die schädlichsten Con-
tracte, Verpflichtungen zu 6^ Pret. eingehe, während man hier conservire,
und wo das ganze Budget von 80 Mill. Fi. der Cognition der Kammern
noch fast ganz entzogen sei; er warnte das Ministerium, die nach dem Negie-
rnngseutwurfe über Ostindien betretene Bahn der alten Colonialpolitik weiter
zu verfolgen; ein Ministerium, welches hier nicht entschieden resormirc, werde
die Unterstützung der liberalen Kammermehrheit nicht behalten.

Während man so hier dem Ministerium den Vorwurf des Klebens am
Alten machte, verschlimmerte sich das Verhältniß des Ministers Thorbecke zu den
altliberalen vornehmen Geschlechtern, die ihm Herrschsucht und demokratische Hin¬
neigungen vorwarfen; es kam so weit, daß Thorbecke, wie es wenigstens allge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0101" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96276"/>
            <p xml:id="ID_320" prev="#ID_319"> zum Minister des Auswärtigen eine höchst bedeutsame Unterstützung, indem dieser<lb/>
von allen Parteien geachtete Staatsmann, der Prototypns des holländischen Libe¬<lb/>
ralismus, sich dadurch offen dem immer noch im Verdachte der Demokratie stehen¬<lb/>
den Thorbecke anschloß, dem er 18S0 erklärt hatte, überall folgen zu wollen,<lb/>
&#x201E;nur nicht zum allgemeinen Stimmrecht, zur Volkssouveränetät und zur Demo¬<lb/>
kratie", und der jetzt als seine Loosung erklärte &#x201E;das Staatsgrundgesetz, nicht<lb/>
mehr und nicht weniger," was von nun an die Parole der liberalen Wählerverei-<lb/>
nignngen ward.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_321"> Dagegen erregte vieles Mißtrauen die Entdeckung, daß der neue Kriegs¬<lb/>
minister Mitglied, ja Mitvorstand der antirevolutionären .Wählervereinigung:<lb/>
Niederland und Oranien, war, also ein Gesiuuuugsgeuosse Groen van Prinsterers<lb/>
und Mackays. Es kam darüber zu ärgerlichen Interpellationen in der Kammer,<lb/>
bei denen der Kriegsminister die Vereinbarkeit dieser Mitgliederschaft mit seinem<lb/>
Eintritt in das liberale Ministerium zu beweisen suchte, lebhaft seine Anhäng¬<lb/>
lichkeit an, das Staatsgrundgesetz betheuerte, und im ganzen nnr den alten Satz<lb/>
bewies, daß alte Soldaten schlechte Kammerredner sind. Man ließ endlich die<lb/>
Sache auf sich beruhen, als Thorbecke für die constitutionellen Gesinnungen seines<lb/>
neuen College» sich verbürgte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_322"> Am 27. September legte der Finanzminister das Budget sür 18S3 vor,<lb/>
welches ungemein günstig war, indem nicht blos die Deficite früherer Jahre ge¬<lb/>
schwunden waren, sondern mit den muthmaßlichen Ueberschüssen des laufenden<lb/>
Dienstjahres ein Ucberschusz von 12 Millionen Fi. bestand, von welchem der<lb/>
Minister eine Summe von 2,960,500 für, Amortisation zu verwenden vorschlug,<lb/>
nämlich 880,000 Fi.Z für Tilgung der Beschwerden und Warnungen. Viele<lb/>
forderten wiederum die sofortige Ablösung der 10 Mill. Fe., welche der<lb/>
Staat der Handelsmaatschappy schulde, und die Kammer ließ sich nnr durch die<lb/>
wiederholte Versicherung pes Finanzministers beschwichtigen, daß diese Ablösung<lb/>
dnrch die Konversion nicht unmöglich würde. Vor allem aber erhob der indische<lb/>
Neformfreund, der Nationalordman Baron Stock tot Oldhuis, seine Beschwerde¬<lb/>
stimme über die ostindischen Angelegenheiten, wo man die schädlichsten Con-<lb/>
tracte, Verpflichtungen zu 6^ Pret. eingehe, während man hier conservire,<lb/>
und wo das ganze Budget von 80 Mill. Fi. der Cognition der Kammern<lb/>
noch fast ganz entzogen sei; er warnte das Ministerium, die nach dem Negie-<lb/>
rnngseutwurfe über Ostindien betretene Bahn der alten Colonialpolitik weiter<lb/>
zu verfolgen; ein Ministerium, welches hier nicht entschieden resormirc, werde<lb/>
die Unterstützung der liberalen Kammermehrheit nicht behalten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_323" next="#ID_324"> Während man so hier dem Ministerium den Vorwurf des Klebens am<lb/>
Alten machte, verschlimmerte sich das Verhältniß des Ministers Thorbecke zu den<lb/>
altliberalen vornehmen Geschlechtern, die ihm Herrschsucht und demokratische Hin¬<lb/>
neigungen vorwarfen; es kam so weit, daß Thorbecke, wie es wenigstens allge-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0101] zum Minister des Auswärtigen eine höchst bedeutsame Unterstützung, indem dieser von allen Parteien geachtete Staatsmann, der Prototypns des holländischen Libe¬ ralismus, sich dadurch offen dem immer noch im Verdachte der Demokratie stehen¬ den Thorbecke anschloß, dem er 18S0 erklärt hatte, überall folgen zu wollen, „nur nicht zum allgemeinen Stimmrecht, zur Volkssouveränetät und zur Demo¬ kratie", und der jetzt als seine Loosung erklärte „das Staatsgrundgesetz, nicht mehr und nicht weniger," was von nun an die Parole der liberalen Wählerverei- nignngen ward. Dagegen erregte vieles Mißtrauen die Entdeckung, daß der neue Kriegs¬ minister Mitglied, ja Mitvorstand der antirevolutionären .Wählervereinigung: Niederland und Oranien, war, also ein Gesiuuuugsgeuosse Groen van Prinsterers und Mackays. Es kam darüber zu ärgerlichen Interpellationen in der Kammer, bei denen der Kriegsminister die Vereinbarkeit dieser Mitgliederschaft mit seinem Eintritt in das liberale Ministerium zu beweisen suchte, lebhaft seine Anhäng¬ lichkeit an, das Staatsgrundgesetz betheuerte, und im ganzen nnr den alten Satz bewies, daß alte Soldaten schlechte Kammerredner sind. Man ließ endlich die Sache auf sich beruhen, als Thorbecke für die constitutionellen Gesinnungen seines neuen College» sich verbürgte. Am 27. September legte der Finanzminister das Budget sür 18S3 vor, welches ungemein günstig war, indem nicht blos die Deficite früherer Jahre ge¬ schwunden waren, sondern mit den muthmaßlichen Ueberschüssen des laufenden Dienstjahres ein Ucberschusz von 12 Millionen Fi. bestand, von welchem der Minister eine Summe von 2,960,500 für, Amortisation zu verwenden vorschlug, nämlich 880,000 Fi.Z für Tilgung der Beschwerden und Warnungen. Viele forderten wiederum die sofortige Ablösung der 10 Mill. Fe., welche der Staat der Handelsmaatschappy schulde, und die Kammer ließ sich nnr durch die wiederholte Versicherung pes Finanzministers beschwichtigen, daß diese Ablösung dnrch die Konversion nicht unmöglich würde. Vor allem aber erhob der indische Neformfreund, der Nationalordman Baron Stock tot Oldhuis, seine Beschwerde¬ stimme über die ostindischen Angelegenheiten, wo man die schädlichsten Con- tracte, Verpflichtungen zu 6^ Pret. eingehe, während man hier conservire, und wo das ganze Budget von 80 Mill. Fi. der Cognition der Kammern noch fast ganz entzogen sei; er warnte das Ministerium, die nach dem Negie- rnngseutwurfe über Ostindien betretene Bahn der alten Colonialpolitik weiter zu verfolgen; ein Ministerium, welches hier nicht entschieden resormirc, werde die Unterstützung der liberalen Kammermehrheit nicht behalten. Während man so hier dem Ministerium den Vorwurf des Klebens am Alten machte, verschlimmerte sich das Verhältniß des Ministers Thorbecke zu den altliberalen vornehmen Geschlechtern, die ihm Herrschsucht und demokratische Hin¬ neigungen vorwarfen; es kam so weit, daß Thorbecke, wie es wenigstens allge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/101
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/101>, abgerufen am 23.07.2024.