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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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der mit Frankreich abgeschlossene Vertrag wegen des literarischen Eigenthums zur so¬
fortigen Ratifikation vorgelegt, und diese trotz der dringenden Bitten des Ministers
des Auswärtigen seitens der Kammer nicht erfolgte, welche theils mit dem Inhalte
des Vertrages nicht einverstanden war, theils meinte, der Termin der Ratifi-
cation könne von Frankreich recht wohl verlängert werden. Als aber der Mi¬
nister gegen den Bonapartismus willfähriger war, als die Kammer, und diese
am 3. August zur Ratifikation des widerwärtigen Vertrages wieder zusammen¬
treten sollte, obgleich sie erst am 17. Julius auseinander gegangen, so erregte
dieses einen so großen Unwillen, daß die Kammer am 31. August nicht beschlu߬
fähig war, am i>. grade die erforderliche Zahl von 3ö Mitgliedern zählte, die
Bitte des Ministers die Sache im Comitö general zu verhandeln, ablehnte, und
den Vertrag selbst einstimmig verwarf. Der tiefere Grund dieser allgemeinen Er¬
bitterung war der Absehen des freisinnigen niederländischen Bürgerthums vor dem
Bonapartismus, von dem fast alle Parteien in den Niederlanden überzeugt sind,
daß er in Krieg oder Anarchie enden muß; lant klagte man über die Douanen-
uud Gensdarmcnrolle, welche den Niederländern durch die Bestimmung des Ver¬
trages zugemuthet sei, nach welchem dieselbe sich zum Verbote verpflichtete, im
Auslande nachgedruckte Werke bei sich einzuführen. Auch glaubte man, daß die
Interessen deS niederländischen Buchhandels so wenig gewahrt seien, als die Ehre
der Nation, und meinte einen Beweis geben zu müssen, daß die Niederlande von
Napoleon III. noch nicht so behandelt werden könne, wie 1810 von Napoleon I.
Die Folge dieser Abstimmung war der endliche Rücktritt des Ministers des Aus¬
wärtigen, nachdem er zuvor noch in der ersten Kammer eine Niederlage erlitten
hatte, durch Verwerfung des Gesetzvorschlages über die russische Schuldforderung.

Am 20. September ward das neue Sitzungsjahr der Generalstaaten mit
einer Thronrede eröffnet, welche sich höchst zufriedengestellt über die Lage des
Staates und sehr anerkennend über die Wirksamkeit der Kammern anstieß; die
zweite Kammer wählte zum Beweis ihrer Anhänglichkeit an das Ministerium
Thorbecke einen entschiedenen Anhänger desselben zum Präsidenten statt des bis¬
herigen, welcher demselben weniger unbedingt ergeben war, wobei inzwischen die
starke Minorität bewies, daß ein großer Theil der liberalen Kammermitglieder
nicht gesonnen war, dem Minister Thorbecke auch bei den demokratisirenden Ver¬
suchen zu folgen, die man ihm allgemein wol zutraute. Die Adressen beider
Kammern waren ein Wiederhall der Thronrede, nur daß an die Ausführung der
im Staatsgrundgesetz versprochenen organischen Gesetze gemahnt wurde. Der
Versuch des liberalsten Kammermitgliedes, Jongstra, ein Amendement über die Noth¬
wendigkeit einer schleunigen Revision des Steuersystems einzubringen, fiel mit 28 gegen
22, und das Amendement Groen van Prinsterers, welches die von der Kammer
angenommene Mahnung in halb tadelnden Ausdrücken formulirte, mit allen gegen
4 Stimme". Das Ministerium! erhielt in der Ernennung Zuylen von 'Nyeveldts


der mit Frankreich abgeschlossene Vertrag wegen des literarischen Eigenthums zur so¬
fortigen Ratifikation vorgelegt, und diese trotz der dringenden Bitten des Ministers
des Auswärtigen seitens der Kammer nicht erfolgte, welche theils mit dem Inhalte
des Vertrages nicht einverstanden war, theils meinte, der Termin der Ratifi-
cation könne von Frankreich recht wohl verlängert werden. Als aber der Mi¬
nister gegen den Bonapartismus willfähriger war, als die Kammer, und diese
am 3. August zur Ratifikation des widerwärtigen Vertrages wieder zusammen¬
treten sollte, obgleich sie erst am 17. Julius auseinander gegangen, so erregte
dieses einen so großen Unwillen, daß die Kammer am 31. August nicht beschlu߬
fähig war, am i>. grade die erforderliche Zahl von 3ö Mitgliedern zählte, die
Bitte des Ministers die Sache im Comitö general zu verhandeln, ablehnte, und
den Vertrag selbst einstimmig verwarf. Der tiefere Grund dieser allgemeinen Er¬
bitterung war der Absehen des freisinnigen niederländischen Bürgerthums vor dem
Bonapartismus, von dem fast alle Parteien in den Niederlanden überzeugt sind,
daß er in Krieg oder Anarchie enden muß; lant klagte man über die Douanen-
uud Gensdarmcnrolle, welche den Niederländern durch die Bestimmung des Ver¬
trages zugemuthet sei, nach welchem dieselbe sich zum Verbote verpflichtete, im
Auslande nachgedruckte Werke bei sich einzuführen. Auch glaubte man, daß die
Interessen deS niederländischen Buchhandels so wenig gewahrt seien, als die Ehre
der Nation, und meinte einen Beweis geben zu müssen, daß die Niederlande von
Napoleon III. noch nicht so behandelt werden könne, wie 1810 von Napoleon I.
Die Folge dieser Abstimmung war der endliche Rücktritt des Ministers des Aus¬
wärtigen, nachdem er zuvor noch in der ersten Kammer eine Niederlage erlitten
hatte, durch Verwerfung des Gesetzvorschlages über die russische Schuldforderung.

Am 20. September ward das neue Sitzungsjahr der Generalstaaten mit
einer Thronrede eröffnet, welche sich höchst zufriedengestellt über die Lage des
Staates und sehr anerkennend über die Wirksamkeit der Kammern anstieß; die
zweite Kammer wählte zum Beweis ihrer Anhänglichkeit an das Ministerium
Thorbecke einen entschiedenen Anhänger desselben zum Präsidenten statt des bis¬
herigen, welcher demselben weniger unbedingt ergeben war, wobei inzwischen die
starke Minorität bewies, daß ein großer Theil der liberalen Kammermitglieder
nicht gesonnen war, dem Minister Thorbecke auch bei den demokratisirenden Ver¬
suchen zu folgen, die man ihm allgemein wol zutraute. Die Adressen beider
Kammern waren ein Wiederhall der Thronrede, nur daß an die Ausführung der
im Staatsgrundgesetz versprochenen organischen Gesetze gemahnt wurde. Der
Versuch des liberalsten Kammermitgliedes, Jongstra, ein Amendement über die Noth¬
wendigkeit einer schleunigen Revision des Steuersystems einzubringen, fiel mit 28 gegen
22, und das Amendement Groen van Prinsterers, welches die von der Kammer
angenommene Mahnung in halb tadelnden Ausdrücken formulirte, mit allen gegen
4 Stimme«. Das Ministerium! erhielt in der Ernennung Zuylen von 'Nyeveldts


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/100>, abgerufen am 23.07.2024.