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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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ausgewaschene Stellen. In dem mäßigen Schritt, zu dem sich beim Besteigen
größerer Anhöhen bald auch der jugendlichste Ungestüm bequemt, aber ohne die
mindeste Rast setzten wir unsren Weg fort, und kamen nach etwa anderthalb
Stunden aus dem Walde heraus, der sich um Rücken des Zwiselbergs hinanzieht,
Auf einer mit Tannen bestandenen Abdachung, wenige Fuß über uus, sahen wir.
die Sennhütte stehn, darüber erhob sich der kahle brcitabgeplattete Kegel des
Berges, uach der bekannten optischen Täuschung scheinbar sehr nahe, doch in
Wirklichkeit fast noch eine Stunde entfernt. Ein Blick auf die jetzt schou enthüllten
Theile der Aussicht, die Schneegipfel und Gletscher des Dachsteins hoch über uns,
die grünen Gosausecn tief unter uns, verlieh uns neue Kräfte, und schweigend
klommen wir die letzte Strecke' hinaus. Eine fast völlig klare Aussicht entschädigt
uns reichlich für die kleine Anstrengung. Nur der Westen zu dem sich die Sonne
schon hinabneigte, war etwas umwölkt. Ein Bild besonders aus dieser reichen
und großartigen Rnndumsicht, muß jeden, der es gesehn hat, unvergeßlich bleiben.
Gerade über uus ragen nackte zerklüftete Felsklippen und Hörner, Schneelager in
ihren Schluchten und Spalten, tiefer hinab ein mächtiges wcithinstarrendes Eis¬
feld, eine grauenvolle Einöde von der furchtbarsten Wildheit; das ist der Gipfel
des Dachsteins. schroffsten fallen die nackten braunen Gebirgswände ab, erst in
beträchtlicher Tiefe sind sie sanfter geneigt und mit unermeßlichen schwarzen Tannen¬
wäldern bewachsen. Und mitten ans diesen düstern Wäldern schimmert wie ein Smaragd
eine Wasserfläche vom schönste" sanften Hellgrün, und von einer Klarheit, daß
wir von unsrer Höhe aus deutlich die Bäume am Ufer sich in ihr spiegeln sahn;
es ist der Hintere Gosausee. Die wundervolle Farbe, die tiefe Abgeschiedenheit
und die gewaltige Umgebung giebt diesem Anblick etwas Zauberisches, und unwill¬
kürlich mußte ich an den verzauberten See denken, auf dessen Grnnde die
Grafentochtcr, die den verwünschten Prinzen geheirathet hat, in einem Glaspalast
sitzt und spinnt. Eine Viertelstunde etwa genossen wir diese einzige Aussicht,
dann begannen Wolken sich vor den Hohen des Dachsteins zu lagern und sich
allmählich tiefer und tiefer zu senken, so daß ein Theil der Landschaft nach dem andern
eingehüllt wurde, und wir verließen den Gipfel. Der Bube war schou, ohne uns aus
die Hohe zu begleiten, mit unsrem Gepäck uach der Sennhütte vorausgegangen,
wo wir zu übernachten gedachten, und hatte uns angemeldet. Bald hatten
auch wir sie erreicht. Die langen grauen moosbewachsenen Hütten, die hohen
schwarzgrünen Tannen, das wohlgenährte schwerfällige Vieh, der ziehende
Nebel, der hin und wieder zerriß, um eine steile Wand oder ein ragendes
Horn aus der Ferne durchblicken zu lassen -- alles das gab ein Bild
wie es Seidl in München wahr und schlagend auf eine kleine Leinwand zu werfen
versteht. Die Sennerin war noch bei ihren Kühen, und wir richteten uns in ihrer
Abwesenheit in der Hütte häuslich ein.

Ueber nichts, glaube ich, sind in der norddeutschen Ebene so viele schiefe


ausgewaschene Stellen. In dem mäßigen Schritt, zu dem sich beim Besteigen
größerer Anhöhen bald auch der jugendlichste Ungestüm bequemt, aber ohne die
mindeste Rast setzten wir unsren Weg fort, und kamen nach etwa anderthalb
Stunden aus dem Walde heraus, der sich um Rücken des Zwiselbergs hinanzieht,
Auf einer mit Tannen bestandenen Abdachung, wenige Fuß über uus, sahen wir.
die Sennhütte stehn, darüber erhob sich der kahle brcitabgeplattete Kegel des
Berges, uach der bekannten optischen Täuschung scheinbar sehr nahe, doch in
Wirklichkeit fast noch eine Stunde entfernt. Ein Blick auf die jetzt schou enthüllten
Theile der Aussicht, die Schneegipfel und Gletscher des Dachsteins hoch über uns,
die grünen Gosausecn tief unter uns, verlieh uns neue Kräfte, und schweigend
klommen wir die letzte Strecke' hinaus. Eine fast völlig klare Aussicht entschädigt
uns reichlich für die kleine Anstrengung. Nur der Westen zu dem sich die Sonne
schon hinabneigte, war etwas umwölkt. Ein Bild besonders aus dieser reichen
und großartigen Rnndumsicht, muß jeden, der es gesehn hat, unvergeßlich bleiben.
Gerade über uus ragen nackte zerklüftete Felsklippen und Hörner, Schneelager in
ihren Schluchten und Spalten, tiefer hinab ein mächtiges wcithinstarrendes Eis¬
feld, eine grauenvolle Einöde von der furchtbarsten Wildheit; das ist der Gipfel
des Dachsteins. schroffsten fallen die nackten braunen Gebirgswände ab, erst in
beträchtlicher Tiefe sind sie sanfter geneigt und mit unermeßlichen schwarzen Tannen¬
wäldern bewachsen. Und mitten ans diesen düstern Wäldern schimmert wie ein Smaragd
eine Wasserfläche vom schönste» sanften Hellgrün, und von einer Klarheit, daß
wir von unsrer Höhe aus deutlich die Bäume am Ufer sich in ihr spiegeln sahn;
es ist der Hintere Gosausee. Die wundervolle Farbe, die tiefe Abgeschiedenheit
und die gewaltige Umgebung giebt diesem Anblick etwas Zauberisches, und unwill¬
kürlich mußte ich an den verzauberten See denken, auf dessen Grnnde die
Grafentochtcr, die den verwünschten Prinzen geheirathet hat, in einem Glaspalast
sitzt und spinnt. Eine Viertelstunde etwa genossen wir diese einzige Aussicht,
dann begannen Wolken sich vor den Hohen des Dachsteins zu lagern und sich
allmählich tiefer und tiefer zu senken, so daß ein Theil der Landschaft nach dem andern
eingehüllt wurde, und wir verließen den Gipfel. Der Bube war schou, ohne uns aus
die Hohe zu begleiten, mit unsrem Gepäck uach der Sennhütte vorausgegangen,
wo wir zu übernachten gedachten, und hatte uns angemeldet. Bald hatten
auch wir sie erreicht. Die langen grauen moosbewachsenen Hütten, die hohen
schwarzgrünen Tannen, das wohlgenährte schwerfällige Vieh, der ziehende
Nebel, der hin und wieder zerriß, um eine steile Wand oder ein ragendes
Horn aus der Ferne durchblicken zu lassen — alles das gab ein Bild
wie es Seidl in München wahr und schlagend auf eine kleine Leinwand zu werfen
versteht. Die Sennerin war noch bei ihren Kühen, und wir richteten uns in ihrer
Abwesenheit in der Hütte häuslich ein.

Ueber nichts, glaube ich, sind in der norddeutschen Ebene so viele schiefe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/62>, abgerufen am 04.07.2024.