Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

losoph, er ist weit entfernt von jener romantischen Ironie, die dem Geier gleich
auf Morgenwolken über dieser Welt der Verwesung schwebt. Sei" Schmerz
über das Schlechte ist ganz aufrichtig, aber um so nntünstlerischer ist der Eindruck,
den er macht; denn wenn z. N, eine Schrift wie Voltaires "Candide" uns
auch nicht erbauen wird, so lassen wir mis doch für einen Augenblick diese um¬
gekehrte Weltanschauung gefallen, eben weil mit ihr kein Ernst gemacht wird;
wenn aber unsre ganze Seele von dem Gefühl der menschlichen Unvollkommen-
heit niedergedrückt werden soll, so haben wir keinen Grund mehr, ans der in
Widersprüchen befangenen Welt in das harmonische Reich der Kunst zu flüchten.

Und diese erdichtete Welt ist auch nicht einmal ein wahres Gegenbild der
wirklichen. Allerdings werden wir im wirklichen Leben das Kleine stets hart
neben dem Großen antreffen, aber das Leben giebt uns andere Perspektiven, als
der enge Nahmen der Dichtung. Mit Recht hat zu allen Zeiten die Kunst aus
der Unendlichkeit des Zeitlaufs eine bestimmte einzelne That ausgewählt, nus
dafür erwärmt, die Zufälligkeiten des sogenannten wirklichen Lebens, die damit
nicht zusammenhängen, davon gesondert, und sie hat ihr Bild abgeschlossen,
sobald das Ziel erreicht war. Thackeray dagegen bemüht sich stets, einen ganzen
Lebenslauf in die Dichtung aufzunehmen. Indem er nun ohne Unterschied alle
Züge darin aufnimmt, die in der Wirklichkeit vorkommen, sobald sie ihm nur zu
psychologische" Studien Stoff geben, bringt er dadurch auch die Wirklichkeit in
el" falsches Verhältniß. Es ist sehr wahr, wir werden mit der Zeit alt und
gran, unser Jugendmuth hört ans, eine Illusion uach der andern geht verloren,
ein Gedanke verdrängt den andern, aber das Alles geschieht in größeren Zwischen-
räumen, es finden allmähliche Uebergänge statt, die das Gefühl des Widerspruchs
uicht aufkommen lassen. Giebt man nun aber die Widersprüche ohne diese Ver¬
mittelungen, so wird daraus nicht ein Portrait, sondern ein Zerrbild, wie wenn
man sich i" einer krummen Fläche spiegelt. Kleine Schwächen, die auch im Leben
des größten Menschen vorkommen, nehme" i" dieser Verkleinerung einen Umfang
an, der dem gauzeu Bild einen schiefen Ausdruck giebt. Diese Verzerrung wird
noch vermehrt dnrch die Manier des Dichters, jede neue psychologische Entdeckung
mit einem lebhaften Gefühlsansbrnch zu begleiten, "ut dagegen die Umstände, die
uns einigermaßen aufklären könnten, entweder ganz auszulassen, oder mir obenhin
rnzndenten. Wir tonnen uns nicht helfen, so sehr wir die WahrheitSlielw des
Dichters anerkenne", i" dieser Mamer ist doch ein entschiedenes Streben
"ach Esse et.

Wie reich auch der Dichter in seinen Anschauungen sein mag, hei einer
solchen Methode der Darstellung ist doch eine gewisse Einförmigkeit nicht zu ver¬
meiden. Schon das einzelne Werk ermüdet zuletzt, vor Allem aber wird jeder
Leser, wenn er an ein zweites Werk geht, dasselbe schwächer finden, als das erste,
das er zufällig gelesen hat. Der Nerv wird nach dem häufigen Genuß starker


losoph, er ist weit entfernt von jener romantischen Ironie, die dem Geier gleich
auf Morgenwolken über dieser Welt der Verwesung schwebt. Sei» Schmerz
über das Schlechte ist ganz aufrichtig, aber um so nntünstlerischer ist der Eindruck,
den er macht; denn wenn z. N, eine Schrift wie Voltaires „Candide" uns
auch nicht erbauen wird, so lassen wir mis doch für einen Augenblick diese um¬
gekehrte Weltanschauung gefallen, eben weil mit ihr kein Ernst gemacht wird;
wenn aber unsre ganze Seele von dem Gefühl der menschlichen Unvollkommen-
heit niedergedrückt werden soll, so haben wir keinen Grund mehr, ans der in
Widersprüchen befangenen Welt in das harmonische Reich der Kunst zu flüchten.

Und diese erdichtete Welt ist auch nicht einmal ein wahres Gegenbild der
wirklichen. Allerdings werden wir im wirklichen Leben das Kleine stets hart
neben dem Großen antreffen, aber das Leben giebt uns andere Perspektiven, als
der enge Nahmen der Dichtung. Mit Recht hat zu allen Zeiten die Kunst aus
der Unendlichkeit des Zeitlaufs eine bestimmte einzelne That ausgewählt, nus
dafür erwärmt, die Zufälligkeiten des sogenannten wirklichen Lebens, die damit
nicht zusammenhängen, davon gesondert, und sie hat ihr Bild abgeschlossen,
sobald das Ziel erreicht war. Thackeray dagegen bemüht sich stets, einen ganzen
Lebenslauf in die Dichtung aufzunehmen. Indem er nun ohne Unterschied alle
Züge darin aufnimmt, die in der Wirklichkeit vorkommen, sobald sie ihm nur zu
psychologische» Studien Stoff geben, bringt er dadurch auch die Wirklichkeit in
el» falsches Verhältniß. Es ist sehr wahr, wir werden mit der Zeit alt und
gran, unser Jugendmuth hört ans, eine Illusion uach der andern geht verloren,
ein Gedanke verdrängt den andern, aber das Alles geschieht in größeren Zwischen-
räumen, es finden allmähliche Uebergänge statt, die das Gefühl des Widerspruchs
uicht aufkommen lassen. Giebt man nun aber die Widersprüche ohne diese Ver¬
mittelungen, so wird daraus nicht ein Portrait, sondern ein Zerrbild, wie wenn
man sich i„ einer krummen Fläche spiegelt. Kleine Schwächen, die auch im Leben
des größten Menschen vorkommen, nehme» i» dieser Verkleinerung einen Umfang
an, der dem gauzeu Bild einen schiefen Ausdruck giebt. Diese Verzerrung wird
noch vermehrt dnrch die Manier des Dichters, jede neue psychologische Entdeckung
mit einem lebhaften Gefühlsansbrnch zu begleiten, »ut dagegen die Umstände, die
uns einigermaßen aufklären könnten, entweder ganz auszulassen, oder mir obenhin
rnzndenten. Wir tonnen uns nicht helfen, so sehr wir die WahrheitSlielw des
Dichters anerkenne», i» dieser Mamer ist doch ein entschiedenes Streben
»ach Esse et.

Wie reich auch der Dichter in seinen Anschauungen sein mag, hei einer
solchen Methode der Darstellung ist doch eine gewisse Einförmigkeit nicht zu ver¬
meiden. Schon das einzelne Werk ermüdet zuletzt, vor Allem aber wird jeder
Leser, wenn er an ein zweites Werk geht, dasselbe schwächer finden, als das erste,
das er zufällig gelesen hat. Der Nerv wird nach dem häufigen Genuß starker


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0055" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185931"/>
          <p xml:id="ID_149" prev="#ID_148"> losoph, er ist weit entfernt von jener romantischen Ironie, die dem Geier gleich<lb/>
auf Morgenwolken über dieser Welt der Verwesung schwebt. Sei» Schmerz<lb/>
über das Schlechte ist ganz aufrichtig, aber um so nntünstlerischer ist der Eindruck,<lb/>
den er macht; denn wenn z. N, eine Schrift wie Voltaires &#x201E;Candide" uns<lb/>
auch nicht erbauen wird, so lassen wir mis doch für einen Augenblick diese um¬<lb/>
gekehrte Weltanschauung gefallen, eben weil mit ihr kein Ernst gemacht wird;<lb/>
wenn aber unsre ganze Seele von dem Gefühl der menschlichen Unvollkommen-<lb/>
heit niedergedrückt werden soll, so haben wir keinen Grund mehr, ans der in<lb/>
Widersprüchen befangenen Welt in das harmonische Reich der Kunst zu flüchten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_150"> Und diese erdichtete Welt ist auch nicht einmal ein wahres Gegenbild der<lb/>
wirklichen. Allerdings werden wir im wirklichen Leben das Kleine stets hart<lb/>
neben dem Großen antreffen, aber das Leben giebt uns andere Perspektiven, als<lb/>
der enge Nahmen der Dichtung. Mit Recht hat zu allen Zeiten die Kunst aus<lb/>
der Unendlichkeit des Zeitlaufs eine bestimmte einzelne That ausgewählt, nus<lb/>
dafür erwärmt, die Zufälligkeiten des sogenannten wirklichen Lebens, die damit<lb/>
nicht zusammenhängen, davon gesondert, und sie hat ihr Bild abgeschlossen,<lb/>
sobald das Ziel erreicht war. Thackeray dagegen bemüht sich stets, einen ganzen<lb/>
Lebenslauf in die Dichtung aufzunehmen. Indem er nun ohne Unterschied alle<lb/>
Züge darin aufnimmt, die in der Wirklichkeit vorkommen, sobald sie ihm nur zu<lb/>
psychologische» Studien Stoff geben, bringt er dadurch auch die Wirklichkeit in<lb/>
el» falsches Verhältniß. Es ist sehr wahr, wir werden mit der Zeit alt und<lb/>
gran, unser Jugendmuth hört ans, eine Illusion uach der andern geht verloren,<lb/>
ein Gedanke verdrängt den andern, aber das Alles geschieht in größeren Zwischen-<lb/>
räumen, es finden allmähliche Uebergänge statt, die das Gefühl des Widerspruchs<lb/>
uicht aufkommen lassen. Giebt man nun aber die Widersprüche ohne diese Ver¬<lb/>
mittelungen, so wird daraus nicht ein Portrait, sondern ein Zerrbild, wie wenn<lb/>
man sich i&#x201E; einer krummen Fläche spiegelt. Kleine Schwächen, die auch im Leben<lb/>
des größten Menschen vorkommen, nehme» i» dieser Verkleinerung einen Umfang<lb/>
an, der dem gauzeu Bild einen schiefen Ausdruck giebt. Diese Verzerrung wird<lb/>
noch vermehrt dnrch die Manier des Dichters, jede neue psychologische Entdeckung<lb/>
mit einem lebhaften Gefühlsansbrnch zu begleiten, »ut dagegen die Umstände, die<lb/>
uns einigermaßen aufklären könnten, entweder ganz auszulassen, oder mir obenhin<lb/>
rnzndenten. Wir tonnen uns nicht helfen, so sehr wir die WahrheitSlielw des<lb/>
Dichters anerkenne», i» dieser Mamer ist doch ein entschiedenes Streben<lb/>
»ach Esse et.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_151" next="#ID_152"> Wie reich auch der Dichter in seinen Anschauungen sein mag, hei einer<lb/>
solchen Methode der Darstellung ist doch eine gewisse Einförmigkeit nicht zu ver¬<lb/>
meiden. Schon das einzelne Werk ermüdet zuletzt, vor Allem aber wird jeder<lb/>
Leser, wenn er an ein zweites Werk geht, dasselbe schwächer finden, als das erste,<lb/>
das er zufällig gelesen hat.  Der Nerv wird nach dem häufigen Genuß starker</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0055] losoph, er ist weit entfernt von jener romantischen Ironie, die dem Geier gleich auf Morgenwolken über dieser Welt der Verwesung schwebt. Sei» Schmerz über das Schlechte ist ganz aufrichtig, aber um so nntünstlerischer ist der Eindruck, den er macht; denn wenn z. N, eine Schrift wie Voltaires „Candide" uns auch nicht erbauen wird, so lassen wir mis doch für einen Augenblick diese um¬ gekehrte Weltanschauung gefallen, eben weil mit ihr kein Ernst gemacht wird; wenn aber unsre ganze Seele von dem Gefühl der menschlichen Unvollkommen- heit niedergedrückt werden soll, so haben wir keinen Grund mehr, ans der in Widersprüchen befangenen Welt in das harmonische Reich der Kunst zu flüchten. Und diese erdichtete Welt ist auch nicht einmal ein wahres Gegenbild der wirklichen. Allerdings werden wir im wirklichen Leben das Kleine stets hart neben dem Großen antreffen, aber das Leben giebt uns andere Perspektiven, als der enge Nahmen der Dichtung. Mit Recht hat zu allen Zeiten die Kunst aus der Unendlichkeit des Zeitlaufs eine bestimmte einzelne That ausgewählt, nus dafür erwärmt, die Zufälligkeiten des sogenannten wirklichen Lebens, die damit nicht zusammenhängen, davon gesondert, und sie hat ihr Bild abgeschlossen, sobald das Ziel erreicht war. Thackeray dagegen bemüht sich stets, einen ganzen Lebenslauf in die Dichtung aufzunehmen. Indem er nun ohne Unterschied alle Züge darin aufnimmt, die in der Wirklichkeit vorkommen, sobald sie ihm nur zu psychologische» Studien Stoff geben, bringt er dadurch auch die Wirklichkeit in el» falsches Verhältniß. Es ist sehr wahr, wir werden mit der Zeit alt und gran, unser Jugendmuth hört ans, eine Illusion uach der andern geht verloren, ein Gedanke verdrängt den andern, aber das Alles geschieht in größeren Zwischen- räumen, es finden allmähliche Uebergänge statt, die das Gefühl des Widerspruchs uicht aufkommen lassen. Giebt man nun aber die Widersprüche ohne diese Ver¬ mittelungen, so wird daraus nicht ein Portrait, sondern ein Zerrbild, wie wenn man sich i„ einer krummen Fläche spiegelt. Kleine Schwächen, die auch im Leben des größten Menschen vorkommen, nehme» i» dieser Verkleinerung einen Umfang an, der dem gauzeu Bild einen schiefen Ausdruck giebt. Diese Verzerrung wird noch vermehrt dnrch die Manier des Dichters, jede neue psychologische Entdeckung mit einem lebhaften Gefühlsansbrnch zu begleiten, »ut dagegen die Umstände, die uns einigermaßen aufklären könnten, entweder ganz auszulassen, oder mir obenhin rnzndenten. Wir tonnen uns nicht helfen, so sehr wir die WahrheitSlielw des Dichters anerkenne», i» dieser Mamer ist doch ein entschiedenes Streben »ach Esse et. Wie reich auch der Dichter in seinen Anschauungen sein mag, hei einer solchen Methode der Darstellung ist doch eine gewisse Einförmigkeit nicht zu ver¬ meiden. Schon das einzelne Werk ermüdet zuletzt, vor Allem aber wird jeder Leser, wenn er an ein zweites Werk geht, dasselbe schwächer finden, als das erste, das er zufällig gelesen hat. Der Nerv wird nach dem häufigen Genuß starker

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/55
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/55>, abgerufen am 24.07.2024.