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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Seine eigentliche Kraft liegt im Phantastischen n"d Hnmoristischen; er gick't uns
nicht die Welt, wie sie an sich ist, sondern wie sie für den Geist des Dichters ist,
"ut das ist ein gewaltiger Unterschied.

Wir wollen, weil in diesem Punkt die Begriffsbestimmung in der That ihre
Schwierigkeiten hat, an eine alte Anekdote erinnern. Ein Mathematiker hörte
ein Musikstück an und fragte nach dem Schlich desselben seinen Nachbar: "was
ist nnn aber eigentlich damit bewiesen?" In unsrem hochfliegende" Künstler
bewnßtsein haben wir über diese Frage gelacht; sie ist aber ganz in der Ordiinng
und ein Jeder legt sie sich vor, wenn anch in anderer Form. Ein jedes Kunst-
werk laßt uns kalt, von dem wir nicht genau wissen oder empfinden, welchen
Eindruck der Künstler damit machen, welche Stimmung er hervorrufen wollte.
Es ist das der Geist des Kunstwerks, dem alle realistische Darstellung nnr als
Mittel dient, und dessen Abwesenheit das Kunstwerk, und damit jeden Ein-
druck aufhebt.

Der reine Realist, und wenn er mit der Allwissenheit Gottes die Welt
portraitirte, erregt uns nnr Langeweile. Die Welt in ihrer ganzen Breite anzu¬
schauen und zu empfinden, ist dem endlichen Geist einmal nicht gegeben. Sei"
Interesse, sein Glaube, bezieht sich nnr auf homogene Gegenstände. Wissen¬
schaft und Kunst, jedes in seiner Sphäre, arbeitet an der Befriedigung dieses
Interesse.

Nun ist Thackeray allerdings nicht el" bloßer Naturalist, el" gedankenloser
Empiriker, seine Seele hat eine bestimmte Färbung, einen bestimmten Glaube";
aber dieser Glaube ist von der Art, daß er zu ebeu so imkünstlerische" Schöpfungen
führt, als die Gedankenlosigkeit. Seine Weltanschauung läuft nämlich auf den
Pessimismus aus -- nicht den gemeine" Pessimismus, der sich am Schlechten
gewissermaßen freut, sonder" jenen ätherische" Pessimismus, der eine nicht seltene
Krankheit bei Humoristen ist, weil die Form ihrer Empfindung sie daran gewöhnt
hat, die Unterschiede zu verwischen.

Thackeray nannte seinen ersten Roman: Van^-I'zur, d. h. der Jahrmarkt
der Eitelkeiten. Dieser Markt ist das Leben. Der Dichter hat in die Tiefen
der menschlichen Seele geschaut, er hat die Tugend analysirt wie das Laster, die
Kraft wie die Schwäche, und hat endlich gefunden, wie König Salomo, daß im
Grunde des Lebens Alles eitel ist. Er ist dabei keineswegs in die Verirrungen
unsres jungen Dentschland gerathen, das in der That Kraft mit Schwäche, Tu¬
gend mit Laster verwechselt; in, Gegentheil macht er in jedem Punkt einen sehr
strengen Unterschied, er freut sich über das Gute ""d Starke u"d trauert über
das Schlechte und Schwache, aber er kauu sich das Eine von dem Andern nicht
getrennt denken. Er zweifelt nicht an den Ideen, sondern "ur an den Thatsachen.
Für ihn sind alle Illusionen verloren, nud damit auch der Glaube an die Er¬
scheinung des Guten. Er genießt dieses Bewußtsein nicht wie ein lachender Phi-


Seine eigentliche Kraft liegt im Phantastischen n»d Hnmoristischen; er gick't uns
nicht die Welt, wie sie an sich ist, sondern wie sie für den Geist des Dichters ist,
»ut das ist ein gewaltiger Unterschied.

Wir wollen, weil in diesem Punkt die Begriffsbestimmung in der That ihre
Schwierigkeiten hat, an eine alte Anekdote erinnern. Ein Mathematiker hörte
ein Musikstück an und fragte nach dem Schlich desselben seinen Nachbar: „was
ist nnn aber eigentlich damit bewiesen?" In unsrem hochfliegende» Künstler
bewnßtsein haben wir über diese Frage gelacht; sie ist aber ganz in der Ordiinng
und ein Jeder legt sie sich vor, wenn anch in anderer Form. Ein jedes Kunst-
werk laßt uns kalt, von dem wir nicht genau wissen oder empfinden, welchen
Eindruck der Künstler damit machen, welche Stimmung er hervorrufen wollte.
Es ist das der Geist des Kunstwerks, dem alle realistische Darstellung nnr als
Mittel dient, und dessen Abwesenheit das Kunstwerk, und damit jeden Ein-
druck aufhebt.

Der reine Realist, und wenn er mit der Allwissenheit Gottes die Welt
portraitirte, erregt uns nnr Langeweile. Die Welt in ihrer ganzen Breite anzu¬
schauen und zu empfinden, ist dem endlichen Geist einmal nicht gegeben. Sei»
Interesse, sein Glaube, bezieht sich nnr auf homogene Gegenstände. Wissen¬
schaft und Kunst, jedes in seiner Sphäre, arbeitet an der Befriedigung dieses
Interesse.

Nun ist Thackeray allerdings nicht el» bloßer Naturalist, el» gedankenloser
Empiriker, seine Seele hat eine bestimmte Färbung, einen bestimmten Glaube»;
aber dieser Glaube ist von der Art, daß er zu ebeu so imkünstlerische» Schöpfungen
führt, als die Gedankenlosigkeit. Seine Weltanschauung läuft nämlich auf den
Pessimismus aus — nicht den gemeine» Pessimismus, der sich am Schlechten
gewissermaßen freut, sonder» jenen ätherische» Pessimismus, der eine nicht seltene
Krankheit bei Humoristen ist, weil die Form ihrer Empfindung sie daran gewöhnt
hat, die Unterschiede zu verwischen.

Thackeray nannte seinen ersten Roman: Van^-I'zur, d. h. der Jahrmarkt
der Eitelkeiten. Dieser Markt ist das Leben. Der Dichter hat in die Tiefen
der menschlichen Seele geschaut, er hat die Tugend analysirt wie das Laster, die
Kraft wie die Schwäche, und hat endlich gefunden, wie König Salomo, daß im
Grunde des Lebens Alles eitel ist. Er ist dabei keineswegs in die Verirrungen
unsres jungen Dentschland gerathen, das in der That Kraft mit Schwäche, Tu¬
gend mit Laster verwechselt; in, Gegentheil macht er in jedem Punkt einen sehr
strengen Unterschied, er freut sich über das Gute »»d Starke u»d trauert über
das Schlechte und Schwache, aber er kauu sich das Eine von dem Andern nicht
getrennt denken. Er zweifelt nicht an den Ideen, sondern »ur an den Thatsachen.
Für ihn sind alle Illusionen verloren, nud damit auch der Glaube an die Er¬
scheinung des Guten. Er genießt dieses Bewußtsein nicht wie ein lachender Phi-


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[0054] Seine eigentliche Kraft liegt im Phantastischen n»d Hnmoristischen; er gick't uns nicht die Welt, wie sie an sich ist, sondern wie sie für den Geist des Dichters ist, »ut das ist ein gewaltiger Unterschied. Wir wollen, weil in diesem Punkt die Begriffsbestimmung in der That ihre Schwierigkeiten hat, an eine alte Anekdote erinnern. Ein Mathematiker hörte ein Musikstück an und fragte nach dem Schlich desselben seinen Nachbar: „was ist nnn aber eigentlich damit bewiesen?" In unsrem hochfliegende» Künstler bewnßtsein haben wir über diese Frage gelacht; sie ist aber ganz in der Ordiinng und ein Jeder legt sie sich vor, wenn anch in anderer Form. Ein jedes Kunst- werk laßt uns kalt, von dem wir nicht genau wissen oder empfinden, welchen Eindruck der Künstler damit machen, welche Stimmung er hervorrufen wollte. Es ist das der Geist des Kunstwerks, dem alle realistische Darstellung nnr als Mittel dient, und dessen Abwesenheit das Kunstwerk, und damit jeden Ein- druck aufhebt. Der reine Realist, und wenn er mit der Allwissenheit Gottes die Welt portraitirte, erregt uns nnr Langeweile. Die Welt in ihrer ganzen Breite anzu¬ schauen und zu empfinden, ist dem endlichen Geist einmal nicht gegeben. Sei» Interesse, sein Glaube, bezieht sich nnr auf homogene Gegenstände. Wissen¬ schaft und Kunst, jedes in seiner Sphäre, arbeitet an der Befriedigung dieses Interesse. Nun ist Thackeray allerdings nicht el» bloßer Naturalist, el» gedankenloser Empiriker, seine Seele hat eine bestimmte Färbung, einen bestimmten Glaube»; aber dieser Glaube ist von der Art, daß er zu ebeu so imkünstlerische» Schöpfungen führt, als die Gedankenlosigkeit. Seine Weltanschauung läuft nämlich auf den Pessimismus aus — nicht den gemeine» Pessimismus, der sich am Schlechten gewissermaßen freut, sonder» jenen ätherische» Pessimismus, der eine nicht seltene Krankheit bei Humoristen ist, weil die Form ihrer Empfindung sie daran gewöhnt hat, die Unterschiede zu verwischen. Thackeray nannte seinen ersten Roman: Van^-I'zur, d. h. der Jahrmarkt der Eitelkeiten. Dieser Markt ist das Leben. Der Dichter hat in die Tiefen der menschlichen Seele geschaut, er hat die Tugend analysirt wie das Laster, die Kraft wie die Schwäche, und hat endlich gefunden, wie König Salomo, daß im Grunde des Lebens Alles eitel ist. Er ist dabei keineswegs in die Verirrungen unsres jungen Dentschland gerathen, das in der That Kraft mit Schwäche, Tu¬ gend mit Laster verwechselt; in, Gegentheil macht er in jedem Punkt einen sehr strengen Unterschied, er freut sich über das Gute »»d Starke u»d trauert über das Schlechte und Schwache, aber er kauu sich das Eine von dem Andern nicht getrennt denken. Er zweifelt nicht an den Ideen, sondern »ur an den Thatsachen. Für ihn sind alle Illusionen verloren, nud damit auch der Glaube an die Er¬ scheinung des Guten. Er genießt dieses Bewußtsein nicht wie ein lachender Phi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/54>, abgerufen am 24.07.2024.