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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Der Phaeton aber ging, während der Statthalter die thätigsten Vorbereitungen
zur Eröffnung des Kampfes traf, nud von allen Seiten Truppen zusammenzog,
unter Segel, und verließ die Bucht ohne Lotsen, wie er gekommen war.

Die Holländer durften jetzt nach Desima zurückkehren, und für sie war alle
Gefahr vorbei. Anders war es mit den Japanesen. Der Statthalter hatte,
allerdings ohne es zu beabsichtigen, seine Instructionen verletzt, indem er den
fremden Eindringling hatte entschlüpfen lassen, und er fühlte, daß er seine Pflicht
versäumt hatte, weil er den Zustand der Küstenwache nicht untersuchte. Aür einen
Japanesen giebt es über den unter solchen Umständen einzuschlagenden Weg kein
Besinnen.. Die Katastrophe wird von Docff folgendermaßen erzählt:

"Der Statthalter kannte das seiner wartende Schicksal so gut, daß er, als
wir kaum eine halbe Stunde fort waren, sein Haus um sich versammelte, und
sich in der Anwesenheit aller seiner Angehörigen den Leib aufschlitzte. Die Be¬
fehlshaber der nachlässig befundenen Posten, die nicht Offiziere deö Sjvguns,
sondern des Fürsten von Fizen waren, folgten seinem Beispiel, und rettete" so
ihre Verwandten vor unausbleiblicher Entehrung. Daß ihre Pflichtversäumniß
die strengste Strafe gefunden hätte, geht daraus hervor, daß der Fürst vou Fizen,
obgleich er sich nicht in seiner Provinz, sondern ans Befehl des Sjognn in Jeddo
aufhielt, 100 Tage Gefängniß erhielt, weil die von ihm eingesetzten Beamten
seinen Befehlen nicht gehörig nachgekommen waren. Der junge Sohn des Si.ttt-
Halters von Nangasaki steht dagegen jetzt in hoher Gunst bei Hofe, und begleitet
ein ehrenvolles Amt. Um ihn einigermaßen für den Verlust seines Vaters zu
entschädigen, bat der Fürst von Fizen, da die Pflichtvcrsänmniß der unter seinem
Befehl stehenden Posten hauptsächlich an dem tragischen Vorfall Schuld war, den
Staatsrath um Erlaubniß, dem Sohne des unglücklichen Statthalters vou Nan¬
gasaki 2000 Kohls (ungefähr 17000 Thaler) schenken zu dürfen. Es wurde ihm
nicht nur dieß gestattet, sondern auch die eben so unerwartete wie unerbetene Er.
lanbniß hinzugefügt, ein wiederholtes Ansuchen ihm zu ersparen, und das Geschenk
jährlich zu erneuern. Diese Erlaubniß, die einem Befehl gleich zu achten war, zwang den
Fürsten vou Fizen, den verwaisten Kindern des Statthalters, eine Leibrente auszuzahlen."

Folgender Vorfall aus der japanesischen Geschichte giebt ein gutes Beispiel
von dem wilden Heroismus und der standhaften Dankbarkeit des Volks. Wäh¬
rend des Bürgerkriegs zwischen Görger und dem Gatten seiner Enkelin Hydcjosi
war der Fürst von Toza ein getreuer Anhänger des letzter", und hatte bei der
Besiegung desselben das Unglück in des Usurpators Hand zu fallen. Dieser ließ
ihm erst die Hände abhacken -- in den Augen der Japanesen die entehrendste
Strafe die es giebt -- und dann enthaupten. Der Fürst hatte einen neunjäh¬
rigen Sohn, Marabvzi Tschuja, der sogleich beschloß den Tod seines Vaters zu
rächen, fühlte aber, daß bei seiner zarten Jugend die Ausführung seines Ent¬
schlusses für jetzt unmöglich sei. Mit der Zähigkeit eines Japanesen wartete er


63 *

Der Phaeton aber ging, während der Statthalter die thätigsten Vorbereitungen
zur Eröffnung des Kampfes traf, nud von allen Seiten Truppen zusammenzog,
unter Segel, und verließ die Bucht ohne Lotsen, wie er gekommen war.

Die Holländer durften jetzt nach Desima zurückkehren, und für sie war alle
Gefahr vorbei. Anders war es mit den Japanesen. Der Statthalter hatte,
allerdings ohne es zu beabsichtigen, seine Instructionen verletzt, indem er den
fremden Eindringling hatte entschlüpfen lassen, und er fühlte, daß er seine Pflicht
versäumt hatte, weil er den Zustand der Küstenwache nicht untersuchte. Aür einen
Japanesen giebt es über den unter solchen Umständen einzuschlagenden Weg kein
Besinnen.. Die Katastrophe wird von Docff folgendermaßen erzählt:

„Der Statthalter kannte das seiner wartende Schicksal so gut, daß er, als
wir kaum eine halbe Stunde fort waren, sein Haus um sich versammelte, und
sich in der Anwesenheit aller seiner Angehörigen den Leib aufschlitzte. Die Be¬
fehlshaber der nachlässig befundenen Posten, die nicht Offiziere deö Sjvguns,
sondern des Fürsten von Fizen waren, folgten seinem Beispiel, und rettete» so
ihre Verwandten vor unausbleiblicher Entehrung. Daß ihre Pflichtversäumniß
die strengste Strafe gefunden hätte, geht daraus hervor, daß der Fürst vou Fizen,
obgleich er sich nicht in seiner Provinz, sondern ans Befehl des Sjognn in Jeddo
aufhielt, 100 Tage Gefängniß erhielt, weil die von ihm eingesetzten Beamten
seinen Befehlen nicht gehörig nachgekommen waren. Der junge Sohn des Si.ttt-
Halters von Nangasaki steht dagegen jetzt in hoher Gunst bei Hofe, und begleitet
ein ehrenvolles Amt. Um ihn einigermaßen für den Verlust seines Vaters zu
entschädigen, bat der Fürst von Fizen, da die Pflichtvcrsänmniß der unter seinem
Befehl stehenden Posten hauptsächlich an dem tragischen Vorfall Schuld war, den
Staatsrath um Erlaubniß, dem Sohne des unglücklichen Statthalters vou Nan¬
gasaki 2000 Kohls (ungefähr 17000 Thaler) schenken zu dürfen. Es wurde ihm
nicht nur dieß gestattet, sondern auch die eben so unerwartete wie unerbetene Er.
lanbniß hinzugefügt, ein wiederholtes Ansuchen ihm zu ersparen, und das Geschenk
jährlich zu erneuern. Diese Erlaubniß, die einem Befehl gleich zu achten war, zwang den
Fürsten vou Fizen, den verwaisten Kindern des Statthalters, eine Leibrente auszuzahlen."

Folgender Vorfall aus der japanesischen Geschichte giebt ein gutes Beispiel
von dem wilden Heroismus und der standhaften Dankbarkeit des Volks. Wäh¬
rend des Bürgerkriegs zwischen Görger und dem Gatten seiner Enkelin Hydcjosi
war der Fürst von Toza ein getreuer Anhänger des letzter», und hatte bei der
Besiegung desselben das Unglück in des Usurpators Hand zu fallen. Dieser ließ
ihm erst die Hände abhacken — in den Augen der Japanesen die entehrendste
Strafe die es giebt — und dann enthaupten. Der Fürst hatte einen neunjäh¬
rigen Sohn, Marabvzi Tschuja, der sogleich beschloß den Tod seines Vaters zu
rächen, fühlte aber, daß bei seiner zarten Jugend die Ausführung seines Ent¬
schlusses für jetzt unmöglich sei. Mit der Zähigkeit eines Japanesen wartete er


63 *
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/507>, abgerufen am 04.07.2024.