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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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verneur der Insel behandelte die Fremdlinge schlecht, die sich bei ihrer Rückkehr
nach Japan darüber beklagten, und Genugthuung für den nicht allein ihnen, son¬
dern auch ihrem Fürsten angethanen Schimpf forderten. Da der Fürst sich außer
Stande sah, die gewünschte Rache zu nehmen, redete ihn seine Leibwache folgen¬
dermaßen an: "Wir wollen Eure Person nicht länger bewachen, wofern uns nicht
verstattet wird, Eure Ehre wieder herzustellen; nichts als das Blut des Über¬
treters kann diesen Fleck abwaschen; befiehl, und wir wollen den Kopf des Verbrechers
abhauen, oder ihn lebendig hierher bringen, damit er nach Euerm Gutdünken und
seinem Verdienste bestraft werde. Sieben vou uns sind genug; weder die Ge¬
fahren des Meeres, noch die Stärke der Besatzung, noch die Anzahl seiner Leib¬
wache sollen ihn vor unserm Zorn schützen." Nach erhaltener Erlaubniß und vor¬
sichtig angestellter Ueberlegung kamen die Rächer nach Formosa. Wie sie zur
Audienz beim Gouverneur Einlaß erhielten, zogen alle sieben auf einmal ihre
Säbel, nahmen den Gouverneur gefangen, und brachten ihn rasch auf ihr Schiff.
Dies tollkühne Unternehmen geschah mitten am hellen Tage, im Angesicht der
Wache und der Leute im Hanse, ohne daß einer von diesen ans Bestürzung es
wagte, sich zur Befreiung seines Herrn zu rühren, dessen Kops die Japanesen in
demselben Augenblick gespaltet hatten.

Wie schwach der Faden ist, an dem das Leben jedes japanesischen Beamten
hängt, geht aus folgendem Vorfall hervor. Im Jahre 1808 faßte Capirän
Pellew von dem englischen Kriegsschiff Phaeton den Plan, die jährlich nach
Japan segelnden holländischen Handelsschiffe zu kapern. Als er sich der Bucht
von Nangasaki näherte, und man sein Schiff vom Lande ans erblickte, näher¬
ten sich ihm wie gewöhnlich zwei Boote, das eine von holländischer, um die
vermeintlichen Landsleute zu begrüße", das andere ein japanesisches, um die Geißeln,
die jedes in den Hafen segelndes fremde Schiff geben muß, in Empfang zu
nehmen. Das holländische Boot war eine kleine Strecke voraus, und segelte
arglos auf das die holländische Flagge führende Schiff los, als ihm von da ans
ein Boot entgegen kam, es unerwartet enterte, und die holländischen Beamten
auf das Schiff entführte. Der japanesische Polizeibeamte und die Dolmetscher,
auf das Aeußerste bestürzt über eine so unerwartete und unbegreifliche Katastrophe,
kehrten zurück, um Bericht abzustatten. Der Statthalter von Nangasaki, dem
das Verschwinden von zwei seiner Obhut anvertrauten Fremden den Kopf kosten
mußte, befahl den beiden Gobanvgosis, die gefangenen Holländer wiederzubringen,
oder lebendig nicht wiederzukommen, nud schickte dann nach dem damaligen hollän¬
dischen Oberfaktor Doeff, um Aufklärung über den Vorfall, und die Mittel, die
Gefangenen zu befreien, zu erlangen. Doeff erwiederte, daß das Schiff wahr¬
scheinlich ein englisches Kriegsschiff, die Freilassung der Holländer aber, als Ci¬
vilisten, wahrscheinlich durch Unterhandlungen zu erlangen sei. Unterdessen aber
segelte der Phaeton ohne Lotsen in den Hafen, und die Japanesen, ganz bestürzt


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verneur der Insel behandelte die Fremdlinge schlecht, die sich bei ihrer Rückkehr
nach Japan darüber beklagten, und Genugthuung für den nicht allein ihnen, son¬
dern auch ihrem Fürsten angethanen Schimpf forderten. Da der Fürst sich außer
Stande sah, die gewünschte Rache zu nehmen, redete ihn seine Leibwache folgen¬
dermaßen an: „Wir wollen Eure Person nicht länger bewachen, wofern uns nicht
verstattet wird, Eure Ehre wieder herzustellen; nichts als das Blut des Über¬
treters kann diesen Fleck abwaschen; befiehl, und wir wollen den Kopf des Verbrechers
abhauen, oder ihn lebendig hierher bringen, damit er nach Euerm Gutdünken und
seinem Verdienste bestraft werde. Sieben vou uns sind genug; weder die Ge¬
fahren des Meeres, noch die Stärke der Besatzung, noch die Anzahl seiner Leib¬
wache sollen ihn vor unserm Zorn schützen." Nach erhaltener Erlaubniß und vor¬
sichtig angestellter Ueberlegung kamen die Rächer nach Formosa. Wie sie zur
Audienz beim Gouverneur Einlaß erhielten, zogen alle sieben auf einmal ihre
Säbel, nahmen den Gouverneur gefangen, und brachten ihn rasch auf ihr Schiff.
Dies tollkühne Unternehmen geschah mitten am hellen Tage, im Angesicht der
Wache und der Leute im Hanse, ohne daß einer von diesen ans Bestürzung es
wagte, sich zur Befreiung seines Herrn zu rühren, dessen Kops die Japanesen in
demselben Augenblick gespaltet hatten.

Wie schwach der Faden ist, an dem das Leben jedes japanesischen Beamten
hängt, geht aus folgendem Vorfall hervor. Im Jahre 1808 faßte Capirän
Pellew von dem englischen Kriegsschiff Phaeton den Plan, die jährlich nach
Japan segelnden holländischen Handelsschiffe zu kapern. Als er sich der Bucht
von Nangasaki näherte, und man sein Schiff vom Lande ans erblickte, näher¬
ten sich ihm wie gewöhnlich zwei Boote, das eine von holländischer, um die
vermeintlichen Landsleute zu begrüße», das andere ein japanesisches, um die Geißeln,
die jedes in den Hafen segelndes fremde Schiff geben muß, in Empfang zu
nehmen. Das holländische Boot war eine kleine Strecke voraus, und segelte
arglos auf das die holländische Flagge führende Schiff los, als ihm von da ans
ein Boot entgegen kam, es unerwartet enterte, und die holländischen Beamten
auf das Schiff entführte. Der japanesische Polizeibeamte und die Dolmetscher,
auf das Aeußerste bestürzt über eine so unerwartete und unbegreifliche Katastrophe,
kehrten zurück, um Bericht abzustatten. Der Statthalter von Nangasaki, dem
das Verschwinden von zwei seiner Obhut anvertrauten Fremden den Kopf kosten
mußte, befahl den beiden Gobanvgosis, die gefangenen Holländer wiederzubringen,
oder lebendig nicht wiederzukommen, nud schickte dann nach dem damaligen hollän¬
dischen Oberfaktor Doeff, um Aufklärung über den Vorfall, und die Mittel, die
Gefangenen zu befreien, zu erlangen. Doeff erwiederte, daß das Schiff wahr¬
scheinlich ein englisches Kriegsschiff, die Freilassung der Holländer aber, als Ci¬
vilisten, wahrscheinlich durch Unterhandlungen zu erlangen sei. Unterdessen aber
segelte der Phaeton ohne Lotsen in den Hafen, und die Japanesen, ganz bestürzt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/505>, abgerufen am 04.07.2024.