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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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blick ihr seines Benehmen wieder ein, um die ganze Gesellschaft zur Ordnung und
zum Anstand zurückzurufen.

Der Tod macht dem Japanesen nicht weniger Umstände, als das Leben.
Häufig verstreicht zwischen dem Sterbetage und der Bestattung eine ziemlich
lange Zeit. Viele vornehme Japanesen sterben Naybnn (heimlich) -- entweder natür¬
lichen Todes, oder durch eigene Hand. Stirbt Einer, während er im Besitz eines
Amtes ist, so wird sein Tod verheimlicht -- er ist Naybun -- und das Leben seiner
Familie geht seinen gewöhnlichen Gang, bis der Sohn sich den Heimfall der
erledigten Stelle gesichert hat. Ist ein Beamter sehr verschuldet, so geschieht
dasselbe zu Gunsten seiner Gläubiger, welche seinen Gehalt bekommen, während
er, obgleich sein Tod Jedermann bekannt ist, dem Namen nach noch lebt. Auch
das früher erwähnte Bauchanfschlilzcn geschieht manchmal Naybun, wenn die
Familie aus der Verheimlichung des Todes Riesen zu ziehen hofft.

Zum ersten öffentlichen Zeichen der Trauer werden sämmtliche Thüren und
Läden auf den Kops gestellt und die Kleider umgewendet. Ein Priester nimmt
neben der Leiche Platz. Der Familie erlaubt die Sitte nicht, an den Vorberei¬
tungen zum Leichenbegängnisse Theil zu nehmen, da mau bei ihr einen zu großen
Schmerz über deu erlittenen Verlust voraussetzt, als daß sie sich um das kleinliche
Detail der Leichenbesorgung bekümmern könnte, und die vertrautesten Freunde
übernehmen daher diese Geschäfte, so wie das nicht weniger mühevolle des Em¬
pfängnis der Kondolenzbesuche, die aber nie die Schwelle überschreiten, da das
Haus vom Todestag an unrein ist. Bei der Ernst wird, wie bei den Chinesen,
besonders Sorge getragen, daß kein Wasser hineindringt. Die Trauerfarbe ist
weiß, und die nächsten Verwandten des Verstorbenen bleiben 13 Monate nach
seinem Tode unrein; die Trauer im Allgemeinen dauert aber blos 49 Tage.

Ueber das Schicksal des Verstorbenen jenseits des Grabes sind die An¬
sichten in jeder religiösen Secte verschieden. Denn obgleich der Sintnismns so
weit die anerkannte Staatsreligion ist, daß sich alle andern Seelen wenigstens
äußerlich ihr anschließen müssen, haben doch Buddha und Consuzius zahlreiche
Verehrer, und auch Mahomed und Brahma zählen nicht wenige Gläubige. Das
Christenthum ist, wie schon früher erwähnt, blutig ausgerottet worden, und auf
des Strengste verboten.

Da der Sintnismns die Gruudsäule der japanischen Staatsverfassung ist,
und der Mikado seine Herrschifft von ihm herleitet, müssen wir ihm einige Worte
widmen. Nach den Japanesen erhob sich aus dem ursprünglichen Chaos ein
höchster Gott, der im obersten Himmel wohnte -- wie sein etwas langathmiger
Name Ameno-mi-maka-n"sino-laeni besagt -- und viel zu groß war, um sich in
seiner göttlichen Ruhe durch irgendwelche Sorgen stören zu lassen. Nach ihm
entstanden zwei schaffende Götter, welche die Welt aus dem Chaos gestalteten,
aber die Erde noch ungeschaffen ließen. Sieben himmlische Götter hinter einander


blick ihr seines Benehmen wieder ein, um die ganze Gesellschaft zur Ordnung und
zum Anstand zurückzurufen.

Der Tod macht dem Japanesen nicht weniger Umstände, als das Leben.
Häufig verstreicht zwischen dem Sterbetage und der Bestattung eine ziemlich
lange Zeit. Viele vornehme Japanesen sterben Naybnn (heimlich) — entweder natür¬
lichen Todes, oder durch eigene Hand. Stirbt Einer, während er im Besitz eines
Amtes ist, so wird sein Tod verheimlicht — er ist Naybun — und das Leben seiner
Familie geht seinen gewöhnlichen Gang, bis der Sohn sich den Heimfall der
erledigten Stelle gesichert hat. Ist ein Beamter sehr verschuldet, so geschieht
dasselbe zu Gunsten seiner Gläubiger, welche seinen Gehalt bekommen, während
er, obgleich sein Tod Jedermann bekannt ist, dem Namen nach noch lebt. Auch
das früher erwähnte Bauchanfschlilzcn geschieht manchmal Naybun, wenn die
Familie aus der Verheimlichung des Todes Riesen zu ziehen hofft.

Zum ersten öffentlichen Zeichen der Trauer werden sämmtliche Thüren und
Läden auf den Kops gestellt und die Kleider umgewendet. Ein Priester nimmt
neben der Leiche Platz. Der Familie erlaubt die Sitte nicht, an den Vorberei¬
tungen zum Leichenbegängnisse Theil zu nehmen, da mau bei ihr einen zu großen
Schmerz über deu erlittenen Verlust voraussetzt, als daß sie sich um das kleinliche
Detail der Leichenbesorgung bekümmern könnte, und die vertrautesten Freunde
übernehmen daher diese Geschäfte, so wie das nicht weniger mühevolle des Em¬
pfängnis der Kondolenzbesuche, die aber nie die Schwelle überschreiten, da das
Haus vom Todestag an unrein ist. Bei der Ernst wird, wie bei den Chinesen,
besonders Sorge getragen, daß kein Wasser hineindringt. Die Trauerfarbe ist
weiß, und die nächsten Verwandten des Verstorbenen bleiben 13 Monate nach
seinem Tode unrein; die Trauer im Allgemeinen dauert aber blos 49 Tage.

Ueber das Schicksal des Verstorbenen jenseits des Grabes sind die An¬
sichten in jeder religiösen Secte verschieden. Denn obgleich der Sintnismns so
weit die anerkannte Staatsreligion ist, daß sich alle andern Seelen wenigstens
äußerlich ihr anschließen müssen, haben doch Buddha und Consuzius zahlreiche
Verehrer, und auch Mahomed und Brahma zählen nicht wenige Gläubige. Das
Christenthum ist, wie schon früher erwähnt, blutig ausgerottet worden, und auf
des Strengste verboten.

Da der Sintnismns die Gruudsäule der japanischen Staatsverfassung ist,
und der Mikado seine Herrschifft von ihm herleitet, müssen wir ihm einige Worte
widmen. Nach den Japanesen erhob sich aus dem ursprünglichen Chaos ein
höchster Gott, der im obersten Himmel wohnte — wie sein etwas langathmiger
Name Ameno-mi-maka-n»sino-laeni besagt — und viel zu groß war, um sich in
seiner göttlichen Ruhe durch irgendwelche Sorgen stören zu lassen. Nach ihm
entstanden zwei schaffende Götter, welche die Welt aus dem Chaos gestalteten,
aber die Erde noch ungeschaffen ließen. Sieben himmlische Götter hinter einander


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/502>, abgerufen am 24.07.2024.