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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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werden sollten, keinen andern Zweck habe, als zur Rückkehr des Absolutismus
die Wege zu bahnen. Durch solche Ansichten sind die Grafen Limburg und Zie-
then in eine principielle Differenz mit der ministeriellen Fraction Mater gerathen
und haben sich in Folge dessen veranlaßt gefühlt, aus derselben auszuscheiden.
Wie im verflossenen Jahre die Opposition der Fraction Bethmann-Hollwcg sich
consolidirte, wie in dieser Session schon bei mehrern Abstimmungen in der Fraction
Hohenlohe-Danzin oppositionelle Elemente hervorgetreten sind, so findet jetzt anch
noch weiter rechts die Einsicht Boden, daß die rastlose Fortentwickelung des jetzi¬
gen Negiernngösystems der conservativen Sache keinen Dienst leistet, daß nicht
Alles als wohlgethan zu betrachten ist, was von dem gegenwärtigen Ministerium
ausgeht. Und die Sache der constitutionellen Partei steht jetzt so, das sich Je¬
der ihr zuwendet, der sich nur überhaupt zum Besinnen, zur Prüfung entschließt.

Die größte Begebenheit der auswärtigen Politik, der Handelsvertrag mit
Oestreich, wird in der Presse von den verschiedensten Standpunkten aus beleuchtet.
Wenn man mit all diesen entgegengesetzten Ansichten "och die ebenso weit aus¬
einandergehenden Urtheile unserer Sachverständigen, der großen Kaufleute und
Industriellen, vergleicht, so erhält man als letztes weises Resultat den einfachen
Satz, daß sich die Folgen dieses Vertrages noch gar nicht übersehen und von
der größten Weisheit auch nicht einmal annähernd berechnen lassen. In der
That ist die Vergrößerung des deutschen Marktes um 30 bis 50 Millionen Pro¬
ducenten und Consumenten eine so ungeheure Begebenheit, daß sie die deutsche
und preußische Entwickelung in ganz neue Bahnen führen muß. In der preu-
ßischen Handelswelt lebt im Allgemeinen ein frohes Vertrauen, daß die Thätig¬
keit und Intelligenz der Augehörigen des Zollvereins anch da noch Siege er¬
kämpfen werde, wo die Tarifbcstimmungen im Interesse Oestreichs gemacht schei¬
nen. Für Handel und Industrie beginnt eine "eile Aera und die Expansions¬
kraft unserer Geschäftsmänner wird jetzt einen friedlichen Eroberungszug in das
östreichische Gebiet zu leiten haben, dessen Folgen man zunächst als verhängniß-
voll für den Wohlstand der ZollvereinSstaaten betrachten muß.

Aber noch weit wichtiger sind die politischen Folgen des Zollvertrages, so
wichtig, daß sie die ganze Stellung unserer deutschen Partei total verändern.
Denn die große Verbindung der Liberalen, welche seit dem Jahre 18i9 unter
dem Namen der Gothaer als Prinzip eine Concentration der dentschen Interessen
unter Preußens Primat erstrebte, hat, gerade heraus gesagt, dnrch diesen Vertrag
ihr altes Parteiprinzip verloren. Bis jetzt mußte ihr als die einzig mögliche
Erhebung ans dem Partikularismus der einzelnen Staaten erscheinen, einen
Staatsbäu vorzubereiten, welcher Oestreich so fern als möglich hielte, und die in
praktischen und idealen Interessen einander nahestehenden einzelnen Staaten von
vorwiegend deutscher Bevölkerung zusammenbände. Diese Aufgabe ist bis jetzt,
wie wir Alle wissen, durchaus nicht gelöst worden, doch war es möglich und


werden sollten, keinen andern Zweck habe, als zur Rückkehr des Absolutismus
die Wege zu bahnen. Durch solche Ansichten sind die Grafen Limburg und Zie-
then in eine principielle Differenz mit der ministeriellen Fraction Mater gerathen
und haben sich in Folge dessen veranlaßt gefühlt, aus derselben auszuscheiden.
Wie im verflossenen Jahre die Opposition der Fraction Bethmann-Hollwcg sich
consolidirte, wie in dieser Session schon bei mehrern Abstimmungen in der Fraction
Hohenlohe-Danzin oppositionelle Elemente hervorgetreten sind, so findet jetzt anch
noch weiter rechts die Einsicht Boden, daß die rastlose Fortentwickelung des jetzi¬
gen Negiernngösystems der conservativen Sache keinen Dienst leistet, daß nicht
Alles als wohlgethan zu betrachten ist, was von dem gegenwärtigen Ministerium
ausgeht. Und die Sache der constitutionellen Partei steht jetzt so, das sich Je¬
der ihr zuwendet, der sich nur überhaupt zum Besinnen, zur Prüfung entschließt.

Die größte Begebenheit der auswärtigen Politik, der Handelsvertrag mit
Oestreich, wird in der Presse von den verschiedensten Standpunkten aus beleuchtet.
Wenn man mit all diesen entgegengesetzten Ansichten »och die ebenso weit aus¬
einandergehenden Urtheile unserer Sachverständigen, der großen Kaufleute und
Industriellen, vergleicht, so erhält man als letztes weises Resultat den einfachen
Satz, daß sich die Folgen dieses Vertrages noch gar nicht übersehen und von
der größten Weisheit auch nicht einmal annähernd berechnen lassen. In der
That ist die Vergrößerung des deutschen Marktes um 30 bis 50 Millionen Pro¬
ducenten und Consumenten eine so ungeheure Begebenheit, daß sie die deutsche
und preußische Entwickelung in ganz neue Bahnen führen muß. In der preu-
ßischen Handelswelt lebt im Allgemeinen ein frohes Vertrauen, daß die Thätig¬
keit und Intelligenz der Augehörigen des Zollvereins anch da noch Siege er¬
kämpfen werde, wo die Tarifbcstimmungen im Interesse Oestreichs gemacht schei¬
nen. Für Handel und Industrie beginnt eine »eile Aera und die Expansions¬
kraft unserer Geschäftsmänner wird jetzt einen friedlichen Eroberungszug in das
östreichische Gebiet zu leiten haben, dessen Folgen man zunächst als verhängniß-
voll für den Wohlstand der ZollvereinSstaaten betrachten muß.

Aber noch weit wichtiger sind die politischen Folgen des Zollvertrages, so
wichtig, daß sie die ganze Stellung unserer deutschen Partei total verändern.
Denn die große Verbindung der Liberalen, welche seit dem Jahre 18i9 unter
dem Namen der Gothaer als Prinzip eine Concentration der dentschen Interessen
unter Preußens Primat erstrebte, hat, gerade heraus gesagt, dnrch diesen Vertrag
ihr altes Parteiprinzip verloren. Bis jetzt mußte ihr als die einzig mögliche
Erhebung ans dem Partikularismus der einzelnen Staaten erscheinen, einen
Staatsbäu vorzubereiten, welcher Oestreich so fern als möglich hielte, und die in
praktischen und idealen Interessen einander nahestehenden einzelnen Staaten von
vorwiegend deutscher Bevölkerung zusammenbände. Diese Aufgabe ist bis jetzt,
wie wir Alle wissen, durchaus nicht gelöst worden, doch war es möglich und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/495>, abgerufen am 24.07.2024.