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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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merauflösung zu fürchten? Die Pairiefrage ist so angethan, daß sie durch zwei¬
malige Ablehnung wahrscheinlich todt gemacht wäre. Und das soll eine Frage
sein, deren Erledigung durch Annahme des Negiernngsvorschlages dringend noth¬
wendig wäre? Oder fürchtet mau, daß die Ablehnung der Pairie unsere ganze
Verfassung in Frage gestellt hätte? Diesen Besorgnissen steht ein Eid entgegen;
und wenn Jemand diese Garantie nicht für hinlänglich erachtet, so muß er nicht
übersehen, daß dann -- nach seinen Anschauungen über die Dauerbarkeit unsres
Rechtszustandes -- unsere Verfassung als ein sehr precärcs Gut von höchst zwei¬
felhaftem Werthe erscheinen muß, über dessen Verlust sich kein einsichtiger Mensch
betrüben kann. Die Bereitwilligkeit, mit der die Fraction Bethmann den Wün¬
schen des Königs zuvorzukommen sich beeilte, ehren wir vollkommen; aber einer
Frage gegenüber, die doch auch in den Augen dieser Fraction ihre sehr bedenk¬
lichen Seiten haben wird, erscheint sie sehr gefährlich, wenn sie in einer Zeit be¬
wiesen wird, in der bei dem Maße politischer Einsicht, welches die gegenwärtigen
Rathgeber der Krone bei ganz ähnlichen Gelegenheiten zur Schau gestellt haben,
mit der vollen Gewißheit, wie sie überhaupt bei irgend einer politischen Berech¬
nung stattfinden kann, vorauszusehen ist, daß die Ausführung der Maßregel selbst
bei dem besten Willen der Minister in einer Weise erfolgen wird, welche die
eigentlichen Intentionen des Monarchen, aus der neuen Institution eine Stütze
des Thrones zu machen, vereitelt, ja vielleicht die gerade entgegengesetzte Wirkung
hervorbringt. Solchen Verhältnissen gegenüber eine Frage abthun, nur damit
man durch sie uicht abermals behelligt werde, scheint uns eine verderbliche Ver-
irrung zu sein, die unserer Meinung nach mir durch die schiefe Stellung erklärt
werden kann, in die sich die Fraction, dieser Frage gegenüber, von vorn herein
gebracht hat.

Das zweite Moment ist die oben erwähnte Erscheinung, daß die Opposition gegen
das Ministerium!, obgleich sie in dieser Kammer numerisch schwächer ist als in der
vorjährigen, dennoch an Terrain gewinnt, indem sich oppositionelle Regungen in
Kreisen zeigen, die bisher für unbedingt ministeriell galten. Wir haben hier na¬
türlich nicht die Junkcrpartci im Auge, die gegen eine Pairie stimmt, weil sie
den Kleinadel bei der Gesetzgebung als gleichberechtigtes Element neben die Krone
und die Volksvertretung stellen will; sondern diejenigen Männer, deren Meinung
jetzt zum zweiten Male durch den Grafen Limburg - Styrum ausgesprochen ist.
Graf Limburg motivirte seine Abstimmung nicht durch seine Sehnsucht nach einem
von dem Kleinadel zu bildenden Oberhause, auch uicht durch den Wunsch, daß
die wundervoll conservativen Elemente der jetzigen ersten Kammer zunächst in die
zweite verpflanzt werden möchten, sondern schlechtweg durch sein Mißtrauen gegen
die jetzigen Minister, welche die Pairie nicht in einer zweckentsprechenden Weise
bilden würden, und durch seine Ueberzeugung, daß die gegenwärtige Vorlage
ebenso wie die frühere, nach der die Kammern nur alle zwei Jahre einberufen


merauflösung zu fürchten? Die Pairiefrage ist so angethan, daß sie durch zwei¬
malige Ablehnung wahrscheinlich todt gemacht wäre. Und das soll eine Frage
sein, deren Erledigung durch Annahme des Negiernngsvorschlages dringend noth¬
wendig wäre? Oder fürchtet mau, daß die Ablehnung der Pairie unsere ganze
Verfassung in Frage gestellt hätte? Diesen Besorgnissen steht ein Eid entgegen;
und wenn Jemand diese Garantie nicht für hinlänglich erachtet, so muß er nicht
übersehen, daß dann — nach seinen Anschauungen über die Dauerbarkeit unsres
Rechtszustandes — unsere Verfassung als ein sehr precärcs Gut von höchst zwei¬
felhaftem Werthe erscheinen muß, über dessen Verlust sich kein einsichtiger Mensch
betrüben kann. Die Bereitwilligkeit, mit der die Fraction Bethmann den Wün¬
schen des Königs zuvorzukommen sich beeilte, ehren wir vollkommen; aber einer
Frage gegenüber, die doch auch in den Augen dieser Fraction ihre sehr bedenk¬
lichen Seiten haben wird, erscheint sie sehr gefährlich, wenn sie in einer Zeit be¬
wiesen wird, in der bei dem Maße politischer Einsicht, welches die gegenwärtigen
Rathgeber der Krone bei ganz ähnlichen Gelegenheiten zur Schau gestellt haben,
mit der vollen Gewißheit, wie sie überhaupt bei irgend einer politischen Berech¬
nung stattfinden kann, vorauszusehen ist, daß die Ausführung der Maßregel selbst
bei dem besten Willen der Minister in einer Weise erfolgen wird, welche die
eigentlichen Intentionen des Monarchen, aus der neuen Institution eine Stütze
des Thrones zu machen, vereitelt, ja vielleicht die gerade entgegengesetzte Wirkung
hervorbringt. Solchen Verhältnissen gegenüber eine Frage abthun, nur damit
man durch sie uicht abermals behelligt werde, scheint uns eine verderbliche Ver-
irrung zu sein, die unserer Meinung nach mir durch die schiefe Stellung erklärt
werden kann, in die sich die Fraction, dieser Frage gegenüber, von vorn herein
gebracht hat.

Das zweite Moment ist die oben erwähnte Erscheinung, daß die Opposition gegen
das Ministerium!, obgleich sie in dieser Kammer numerisch schwächer ist als in der
vorjährigen, dennoch an Terrain gewinnt, indem sich oppositionelle Regungen in
Kreisen zeigen, die bisher für unbedingt ministeriell galten. Wir haben hier na¬
türlich nicht die Junkcrpartci im Auge, die gegen eine Pairie stimmt, weil sie
den Kleinadel bei der Gesetzgebung als gleichberechtigtes Element neben die Krone
und die Volksvertretung stellen will; sondern diejenigen Männer, deren Meinung
jetzt zum zweiten Male durch den Grafen Limburg - Styrum ausgesprochen ist.
Graf Limburg motivirte seine Abstimmung nicht durch seine Sehnsucht nach einem
von dem Kleinadel zu bildenden Oberhause, auch uicht durch den Wunsch, daß
die wundervoll conservativen Elemente der jetzigen ersten Kammer zunächst in die
zweite verpflanzt werden möchten, sondern schlechtweg durch sein Mißtrauen gegen
die jetzigen Minister, welche die Pairie nicht in einer zweckentsprechenden Weise
bilden würden, und durch seine Ueberzeugung, daß die gegenwärtige Vorlage
ebenso wie die frühere, nach der die Kammern nur alle zwei Jahre einberufen


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[0494] merauflösung zu fürchten? Die Pairiefrage ist so angethan, daß sie durch zwei¬ malige Ablehnung wahrscheinlich todt gemacht wäre. Und das soll eine Frage sein, deren Erledigung durch Annahme des Negiernngsvorschlages dringend noth¬ wendig wäre? Oder fürchtet mau, daß die Ablehnung der Pairie unsere ganze Verfassung in Frage gestellt hätte? Diesen Besorgnissen steht ein Eid entgegen; und wenn Jemand diese Garantie nicht für hinlänglich erachtet, so muß er nicht übersehen, daß dann — nach seinen Anschauungen über die Dauerbarkeit unsres Rechtszustandes — unsere Verfassung als ein sehr precärcs Gut von höchst zwei¬ felhaftem Werthe erscheinen muß, über dessen Verlust sich kein einsichtiger Mensch betrüben kann. Die Bereitwilligkeit, mit der die Fraction Bethmann den Wün¬ schen des Königs zuvorzukommen sich beeilte, ehren wir vollkommen; aber einer Frage gegenüber, die doch auch in den Augen dieser Fraction ihre sehr bedenk¬ lichen Seiten haben wird, erscheint sie sehr gefährlich, wenn sie in einer Zeit be¬ wiesen wird, in der bei dem Maße politischer Einsicht, welches die gegenwärtigen Rathgeber der Krone bei ganz ähnlichen Gelegenheiten zur Schau gestellt haben, mit der vollen Gewißheit, wie sie überhaupt bei irgend einer politischen Berech¬ nung stattfinden kann, vorauszusehen ist, daß die Ausführung der Maßregel selbst bei dem besten Willen der Minister in einer Weise erfolgen wird, welche die eigentlichen Intentionen des Monarchen, aus der neuen Institution eine Stütze des Thrones zu machen, vereitelt, ja vielleicht die gerade entgegengesetzte Wirkung hervorbringt. Solchen Verhältnissen gegenüber eine Frage abthun, nur damit man durch sie uicht abermals behelligt werde, scheint uns eine verderbliche Ver- irrung zu sein, die unserer Meinung nach mir durch die schiefe Stellung erklärt werden kann, in die sich die Fraction, dieser Frage gegenüber, von vorn herein gebracht hat. Das zweite Moment ist die oben erwähnte Erscheinung, daß die Opposition gegen das Ministerium!, obgleich sie in dieser Kammer numerisch schwächer ist als in der vorjährigen, dennoch an Terrain gewinnt, indem sich oppositionelle Regungen in Kreisen zeigen, die bisher für unbedingt ministeriell galten. Wir haben hier na¬ türlich nicht die Junkcrpartci im Auge, die gegen eine Pairie stimmt, weil sie den Kleinadel bei der Gesetzgebung als gleichberechtigtes Element neben die Krone und die Volksvertretung stellen will; sondern diejenigen Männer, deren Meinung jetzt zum zweiten Male durch den Grafen Limburg - Styrum ausgesprochen ist. Graf Limburg motivirte seine Abstimmung nicht durch seine Sehnsucht nach einem von dem Kleinadel zu bildenden Oberhause, auch uicht durch den Wunsch, daß die wundervoll conservativen Elemente der jetzigen ersten Kammer zunächst in die zweite verpflanzt werden möchten, sondern schlechtweg durch sein Mißtrauen gegen die jetzigen Minister, welche die Pairie nicht in einer zweckentsprechenden Weise bilden würden, und durch seine Ueberzeugung, daß die gegenwärtige Vorlage ebenso wie die frühere, nach der die Kammern nur alle zwei Jahre einberufen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/494>, abgerufen am 24.07.2024.