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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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eben Umständen bleibt es zu bedauern, das; die Regulirung eines der Mehrheit
des Volks anstößigen Mißverhältnisses nicht in dieser Zeit erfolgte, in der sie
ans eine möglichst schonende Weise erfolgen konnte. Bei der Bitterkeit, mit der
die Grnndsteuerfrage stets erörtert wird, wird sie von der Negierung, von dieser
wie von jeder folgenden, nur nothgedrungen, nur wenn es unvermeidlich ist,
wieder aufgenommen werden; und wenn die öffentliche Meinung sich mit solchem
Nachdruck geltend macht, daß ein Ministerium die Lösung dieser alle Parteien
zersplitternden Frage in die Hand zu nehme" genöthigt ist, dann sind die Um¬
stände für eine rücksichtsvolle und schonende Behandlung nicht geeignet.

Die zweite wichtige Entscheidung dieser Woche besteht in der Annahme des
Gesetzentwurfs, welcher die Bildung einer Pairie aus erblichen und lebensläng¬
lichen Mitgliedern feststellt und die betreffende Anordnung ohne weitere Ein¬
schränkung dem Ermessen der Krone anheimstellt. Die Annahme dieses eigen¬
thümlichen Gesetzentwurfs erfolgte mit einer Majorität von 2it) gegen 70 Stim¬
men; die Polen enthielten sich der Abstimmung. Die Minorität wurde aus 33
Mitgliedern der Fraction Helgoland, etwa eben so vielen Mitgliedern der Rechten
und einigen Katholiken gebildet. Die Majorität bestand ans 19 Mitgliedern der
Linken, darunter die Abgeordneten v. Patvw, Kühne und Pochhammcr, der
Fraction Bethmann-Hollweg, welche die Pairiegelnste recht eigentlich in Schwung
gebracht hat, fast allen Katholiken und dem Gros der Ministeriellen.

Ich will die Folgen dieses Gesetzentwurfs nicht voreilig an die Wand
malen; sie werden zeitig genug hervorbrechen, daß denen, die bons, Käs für ihn
stimmten, die Augen nicht nnr aus-, sondern übergehen werden. Die Zukunft
wird es lehre", ob es gerathen war, eine Institution zu schaffen, die in Preußen
keinen Boden hat, und in das Schicksal einer solchen Institution die Dynastie,
das monarchische Prinzip und das Zweikammersystem zu gleicher Zeit unauflöslich
zu verflechten, und der Ausgang wird die. Wahrhaftigen loben. Jetzt, da
die Majorität ohne Bedenken, heitern Muthes, als ginge es zu einem fröhlichen
und unbedeutenden Spiele, den verhängnißvollen Schritt gethan hat, können wir
nnr wünschen -- wenn auch leider nicht hoffen -- daß dieser Institution nicht
gleich bei ihrer Geburt ein unheilbarer Krankheitsstoff eingeimpft wird.

Aber zwei Punkte, die bei der Debatte hervortraten, möchten wir nicht un¬
erwähnt lassen. Der eine ist das Auftreten der Fraction Bethmann-Hollweg.
Niemand bezweifelt, daß die Mitglieder dieser Fraction sich dnrch den redlichsten
Willen auszeichnen, und daß sich auch gegen ihre politische Einsicht wie gegen
ihre Festigkeit wenig einwenden läßt. Allein in Bezug auf die Pairiesrage sind
sie augenscheinlich weniger ihrer innern Ueberzeugung als vielmehr anderweitigen
Rücksichten gefolgt, durch welche sie zu der Hoffnung verleitet wurden, daß aus
der Bildung einer Pairie und der dadurch herbeigeführten Befriedigung eines
allerhöchsten Wunsches ersprießliche Folgen für unser Nerfassnngslcben hervorgehen


eben Umständen bleibt es zu bedauern, das; die Regulirung eines der Mehrheit
des Volks anstößigen Mißverhältnisses nicht in dieser Zeit erfolgte, in der sie
ans eine möglichst schonende Weise erfolgen konnte. Bei der Bitterkeit, mit der
die Grnndsteuerfrage stets erörtert wird, wird sie von der Negierung, von dieser
wie von jeder folgenden, nur nothgedrungen, nur wenn es unvermeidlich ist,
wieder aufgenommen werden; und wenn die öffentliche Meinung sich mit solchem
Nachdruck geltend macht, daß ein Ministerium die Lösung dieser alle Parteien
zersplitternden Frage in die Hand zu nehme» genöthigt ist, dann sind die Um¬
stände für eine rücksichtsvolle und schonende Behandlung nicht geeignet.

Die zweite wichtige Entscheidung dieser Woche besteht in der Annahme des
Gesetzentwurfs, welcher die Bildung einer Pairie aus erblichen und lebensläng¬
lichen Mitgliedern feststellt und die betreffende Anordnung ohne weitere Ein¬
schränkung dem Ermessen der Krone anheimstellt. Die Annahme dieses eigen¬
thümlichen Gesetzentwurfs erfolgte mit einer Majorität von 2it) gegen 70 Stim¬
men; die Polen enthielten sich der Abstimmung. Die Minorität wurde aus 33
Mitgliedern der Fraction Helgoland, etwa eben so vielen Mitgliedern der Rechten
und einigen Katholiken gebildet. Die Majorität bestand ans 19 Mitgliedern der
Linken, darunter die Abgeordneten v. Patvw, Kühne und Pochhammcr, der
Fraction Bethmann-Hollweg, welche die Pairiegelnste recht eigentlich in Schwung
gebracht hat, fast allen Katholiken und dem Gros der Ministeriellen.

Ich will die Folgen dieses Gesetzentwurfs nicht voreilig an die Wand
malen; sie werden zeitig genug hervorbrechen, daß denen, die bons, Käs für ihn
stimmten, die Augen nicht nnr aus-, sondern übergehen werden. Die Zukunft
wird es lehre», ob es gerathen war, eine Institution zu schaffen, die in Preußen
keinen Boden hat, und in das Schicksal einer solchen Institution die Dynastie,
das monarchische Prinzip und das Zweikammersystem zu gleicher Zeit unauflöslich
zu verflechten, und der Ausgang wird die. Wahrhaftigen loben. Jetzt, da
die Majorität ohne Bedenken, heitern Muthes, als ginge es zu einem fröhlichen
und unbedeutenden Spiele, den verhängnißvollen Schritt gethan hat, können wir
nnr wünschen — wenn auch leider nicht hoffen — daß dieser Institution nicht
gleich bei ihrer Geburt ein unheilbarer Krankheitsstoff eingeimpft wird.

Aber zwei Punkte, die bei der Debatte hervortraten, möchten wir nicht un¬
erwähnt lassen. Der eine ist das Auftreten der Fraction Bethmann-Hollweg.
Niemand bezweifelt, daß die Mitglieder dieser Fraction sich dnrch den redlichsten
Willen auszeichnen, und daß sich auch gegen ihre politische Einsicht wie gegen
ihre Festigkeit wenig einwenden läßt. Allein in Bezug auf die Pairiesrage sind
sie augenscheinlich weniger ihrer innern Ueberzeugung als vielmehr anderweitigen
Rücksichten gefolgt, durch welche sie zu der Hoffnung verleitet wurden, daß aus
der Bildung einer Pairie und der dadurch herbeigeführten Befriedigung eines
allerhöchsten Wunsches ersprießliche Folgen für unser Nerfassnngslcben hervorgehen


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[0492] eben Umständen bleibt es zu bedauern, das; die Regulirung eines der Mehrheit des Volks anstößigen Mißverhältnisses nicht in dieser Zeit erfolgte, in der sie ans eine möglichst schonende Weise erfolgen konnte. Bei der Bitterkeit, mit der die Grnndsteuerfrage stets erörtert wird, wird sie von der Negierung, von dieser wie von jeder folgenden, nur nothgedrungen, nur wenn es unvermeidlich ist, wieder aufgenommen werden; und wenn die öffentliche Meinung sich mit solchem Nachdruck geltend macht, daß ein Ministerium die Lösung dieser alle Parteien zersplitternden Frage in die Hand zu nehme» genöthigt ist, dann sind die Um¬ stände für eine rücksichtsvolle und schonende Behandlung nicht geeignet. Die zweite wichtige Entscheidung dieser Woche besteht in der Annahme des Gesetzentwurfs, welcher die Bildung einer Pairie aus erblichen und lebensläng¬ lichen Mitgliedern feststellt und die betreffende Anordnung ohne weitere Ein¬ schränkung dem Ermessen der Krone anheimstellt. Die Annahme dieses eigen¬ thümlichen Gesetzentwurfs erfolgte mit einer Majorität von 2it) gegen 70 Stim¬ men; die Polen enthielten sich der Abstimmung. Die Minorität wurde aus 33 Mitgliedern der Fraction Helgoland, etwa eben so vielen Mitgliedern der Rechten und einigen Katholiken gebildet. Die Majorität bestand ans 19 Mitgliedern der Linken, darunter die Abgeordneten v. Patvw, Kühne und Pochhammcr, der Fraction Bethmann-Hollweg, welche die Pairiegelnste recht eigentlich in Schwung gebracht hat, fast allen Katholiken und dem Gros der Ministeriellen. Ich will die Folgen dieses Gesetzentwurfs nicht voreilig an die Wand malen; sie werden zeitig genug hervorbrechen, daß denen, die bons, Käs für ihn stimmten, die Augen nicht nnr aus-, sondern übergehen werden. Die Zukunft wird es lehre», ob es gerathen war, eine Institution zu schaffen, die in Preußen keinen Boden hat, und in das Schicksal einer solchen Institution die Dynastie, das monarchische Prinzip und das Zweikammersystem zu gleicher Zeit unauflöslich zu verflechten, und der Ausgang wird die. Wahrhaftigen loben. Jetzt, da die Majorität ohne Bedenken, heitern Muthes, als ginge es zu einem fröhlichen und unbedeutenden Spiele, den verhängnißvollen Schritt gethan hat, können wir nnr wünschen — wenn auch leider nicht hoffen — daß dieser Institution nicht gleich bei ihrer Geburt ein unheilbarer Krankheitsstoff eingeimpft wird. Aber zwei Punkte, die bei der Debatte hervortraten, möchten wir nicht un¬ erwähnt lassen. Der eine ist das Auftreten der Fraction Bethmann-Hollweg. Niemand bezweifelt, daß die Mitglieder dieser Fraction sich dnrch den redlichsten Willen auszeichnen, und daß sich auch gegen ihre politische Einsicht wie gegen ihre Festigkeit wenig einwenden läßt. Allein in Bezug auf die Pairiesrage sind sie augenscheinlich weniger ihrer innern Ueberzeugung als vielmehr anderweitigen Rücksichten gefolgt, durch welche sie zu der Hoffnung verleitet wurden, daß aus der Bildung einer Pairie und der dadurch herbeigeführten Befriedigung eines allerhöchsten Wunsches ersprießliche Folgen für unser Nerfassnngslcben hervorgehen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/492>, abgerufen am 29.12.2024.