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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Die preußische Politik in der letzten Woche.*)

Wenn in d. Bl. bei Anfang dieses Jahres die Ansicht ausgesprochen war,
daß die Niedergeschlagenheit und Teilnahmlosigkeit an politischen Fragen in
Preußen ihren höchsten Stand bereits erreicht habe, und die ersten schwachen
Zeichen einer wieder auflebenden Theilnahme des Volks für seine höchsten An¬
gelegenheiten, so wie eine, wenn auch noch langsame Vermehrung der liberalen
Sympathien zu bemerken sei, so wird diese Ansicht durch die legten Monate aller¬
dings bestätigt. sowol in deu Kammern als im Publicum lassen einzelne
Symptome erkennen, daß die Streiter für eine große und gesunde Entwickelung
des preußischen Staates uoch uicht Ursache haben, an unserer Zukunft zu ver¬
zweifeln. Allerdings hat eine liberalere Auffassung keine parlamentarischen Siege
erfochten, wir sind noch weit davon entfernt, aber in den Gemüthern bereitet
sich die Reaction gegen die Reaction entschieden vor.

Die vorige Woche war reich an parlamentarischen Entscheidungen. In der
Berathung der auf die Grundsteuer bezügliche" Vorlagen war man bis zu K. 3
des EntschädigungSgesctzes gediehen, welcher für diejenigen Güter, deren Exemtion
nicht vertragsmäßig erworben war, nur eine l^'/zfache Entschädigung feststellte.
Dieser Paragraph wurde mit großer Majorität verworfen; der Finanzminister erklärte,
das Princip des Gesetzes sei damit gefallen; seine fernere Berathung überflüssig;
und am folgenden Tage zog er ans Grund einer Königl. Ermächtigung die Grund-
stcucrvorlageu vollständig zurück. So scheiterte der Versuch, die vielfach erörterte
und seit Decennien schwebende Frage in dieser Session zum Austrag zu bringen.
Die Majorität, welche den Gesetzentwurf zu Fall brachte, bestand aus einer
Koalition der verschiedenartigsten Elemente; neben den Gegnern jeder Entschä¬
digung stimmten gegen den Paragraphen alle diejenigen, welche im Princip gegen



*) Das verspätte Eintreffen dieses Artikels veranlaßt d. Red., den Bericht über Lady
Tartüffe von M. Girard-'n und über "Bildende Kunst" für die nächste Nummer znrüctznlclren.
Grenzboten. l. -IW. L-I
Die preußische Politik in der letzten Woche.*)

Wenn in d. Bl. bei Anfang dieses Jahres die Ansicht ausgesprochen war,
daß die Niedergeschlagenheit und Teilnahmlosigkeit an politischen Fragen in
Preußen ihren höchsten Stand bereits erreicht habe, und die ersten schwachen
Zeichen einer wieder auflebenden Theilnahme des Volks für seine höchsten An¬
gelegenheiten, so wie eine, wenn auch noch langsame Vermehrung der liberalen
Sympathien zu bemerken sei, so wird diese Ansicht durch die legten Monate aller¬
dings bestätigt. sowol in deu Kammern als im Publicum lassen einzelne
Symptome erkennen, daß die Streiter für eine große und gesunde Entwickelung
des preußischen Staates uoch uicht Ursache haben, an unserer Zukunft zu ver¬
zweifeln. Allerdings hat eine liberalere Auffassung keine parlamentarischen Siege
erfochten, wir sind noch weit davon entfernt, aber in den Gemüthern bereitet
sich die Reaction gegen die Reaction entschieden vor.

Die vorige Woche war reich an parlamentarischen Entscheidungen. In der
Berathung der auf die Grundsteuer bezügliche» Vorlagen war man bis zu K. 3
des EntschädigungSgesctzes gediehen, welcher für diejenigen Güter, deren Exemtion
nicht vertragsmäßig erworben war, nur eine l^'/zfache Entschädigung feststellte.
Dieser Paragraph wurde mit großer Majorität verworfen; der Finanzminister erklärte,
das Princip des Gesetzes sei damit gefallen; seine fernere Berathung überflüssig;
und am folgenden Tage zog er ans Grund einer Königl. Ermächtigung die Grund-
stcucrvorlageu vollständig zurück. So scheiterte der Versuch, die vielfach erörterte
und seit Decennien schwebende Frage in dieser Session zum Austrag zu bringen.
Die Majorität, welche den Gesetzentwurf zu Fall brachte, bestand aus einer
Koalition der verschiedenartigsten Elemente; neben den Gegnern jeder Entschä¬
digung stimmten gegen den Paragraphen alle diejenigen, welche im Princip gegen



*) Das verspätte Eintreffen dieses Artikels veranlaßt d. Red., den Bericht über Lady
Tartüffe von M. Girard-'n und über „Bildende Kunst" für die nächste Nummer znrüctznlclren.
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[0489] Die preußische Politik in der letzten Woche.*) Wenn in d. Bl. bei Anfang dieses Jahres die Ansicht ausgesprochen war, daß die Niedergeschlagenheit und Teilnahmlosigkeit an politischen Fragen in Preußen ihren höchsten Stand bereits erreicht habe, und die ersten schwachen Zeichen einer wieder auflebenden Theilnahme des Volks für seine höchsten An¬ gelegenheiten, so wie eine, wenn auch noch langsame Vermehrung der liberalen Sympathien zu bemerken sei, so wird diese Ansicht durch die legten Monate aller¬ dings bestätigt. sowol in deu Kammern als im Publicum lassen einzelne Symptome erkennen, daß die Streiter für eine große und gesunde Entwickelung des preußischen Staates uoch uicht Ursache haben, an unserer Zukunft zu ver¬ zweifeln. Allerdings hat eine liberalere Auffassung keine parlamentarischen Siege erfochten, wir sind noch weit davon entfernt, aber in den Gemüthern bereitet sich die Reaction gegen die Reaction entschieden vor. Die vorige Woche war reich an parlamentarischen Entscheidungen. In der Berathung der auf die Grundsteuer bezügliche» Vorlagen war man bis zu K. 3 des EntschädigungSgesctzes gediehen, welcher für diejenigen Güter, deren Exemtion nicht vertragsmäßig erworben war, nur eine l^'/zfache Entschädigung feststellte. Dieser Paragraph wurde mit großer Majorität verworfen; der Finanzminister erklärte, das Princip des Gesetzes sei damit gefallen; seine fernere Berathung überflüssig; und am folgenden Tage zog er ans Grund einer Königl. Ermächtigung die Grund- stcucrvorlageu vollständig zurück. So scheiterte der Versuch, die vielfach erörterte und seit Decennien schwebende Frage in dieser Session zum Austrag zu bringen. Die Majorität, welche den Gesetzentwurf zu Fall brachte, bestand aus einer Koalition der verschiedenartigsten Elemente; neben den Gegnern jeder Entschä¬ digung stimmten gegen den Paragraphen alle diejenigen, welche im Princip gegen *) Das verspätte Eintreffen dieses Artikels veranlaßt d. Red., den Bericht über Lady Tartüffe von M. Girard-'n und über „Bildende Kunst" für die nächste Nummer znrüctznlclren. Grenzboten. l. -IW. L-I

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/489>, abgerufen am 27.12.2024.