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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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weniger als 100 und einige Wahlen beanstandet sind. Mehrere sind bereits für
ungültig erklärt, und die jetzt veröffentlichten Verhöre der Zeugen bringen manche
interessanten Züge zu Tage. In Canterbury versuchte man zugleich ans Herz und
Kopf der Wähler zu wirken, auf das Herz durch farbige Billets, die nach der
Wahl mit 10 si>. eingelöst wurden, auf den Kopf durch "Nestanrationsbillets",
die so mächtig wirkten, daß die halbe Wählerschaft Canterbury's sich da wälzte,,
wo für gewöhnlich nur die Säue zu finden sind. Ein anderer Wähler ging, von
seinem Sohne aufgefordert, in das Haus seiner Tochter, und fand dort fünf
Sovereigns auf der Bettdecke liegen, die er einsteckte, ohne zu wissen, wozu
das Geld da lag und woher es kam. In Chatham dienten Stellen in den
königlichen Schiffsbanwerften, die der ministerielle Kandidat, Sir F. Smith, seinen
Wählern zu verschaffen versprach, als BestechnngSmittcl. Aber uicht bei allen
Wählern war das Gewissen ganz erstorben. Ein braver Seiler, Namens Sibbett,
dem eine feste Stelle versprochen war, der aber nur Stückarbeit erhielt, erkannte
bei dieser Entdeckung, wie sehr er unrecht gethan hatte, daß er seine Stimme
für eine Anstellung habe verkaufen wollen. In Clitheroe hatte die gute Sache,
um durchzudringen, die Unterstützung streitbarer Keulenträger. Ein Lancashire-
sarmer lieferte sie "n xros, und erhielt einen Auftrag auf 300 Manu "für die
grobe Arbeit" bei den Wahlen, mit dem Bedeuten, daß gute Zuschläger und
Wilddiebe am Liebsten gesehen würden. Die Hilfstruppen müsse" zahlreich ge¬
wesen sein, denn in einem Wirthshause aßen und tranken am Wahltage und
einige Tage vorher 2000 Personen so viel und so rasch, als der Wirth auftragen
konnte. Sehr zartfühlend sind die Wähler von Bridgenorth. Ihr uneigennütziges
Herz kennt nicht die schmutzige Sehnsucht nach Geld, sie wünschen in ihrer Ge¬
müthlichkeit nnr den Kandidaten wiederzusehen, oder wenigstens seine Geschäfts¬
agenten. Aber wehe ihm, wenn er den geheimnißvollen Sinn dieser unschuldigen
Frage nicht versteht: nicht seinem freundlichen Gesicht gilt ihre Sehnsucht, sondern
dem Antlitz der verehrten Königin, doppelt verehrt, wenn es von Gold ist. Herr
Eceles, das Mitglied für Blackbnrn, hat gar nicht gewählt sein wollen; nur auf
Andringen seiner Freunde hat er sich bewegen lassen, als Kandidat aufzutreten.
Aber bestechen? Pfui, wer könnte das seinem grauen Haare zutraue" -- was
aus den 2000 Pfd. geworden ist, die sein Sohn einem Wahlagenten, Mr.
Hollinshed, hat auszahlen lassen, ist ihm gänzlich unbekannt. Er für seinen
Theil hat blos ö öd. ausgegeben, und die so beschenkten waren betrunkene
Nichiwähler, die ihm Angelegenheiten machten. Die naive Unschuld des Hinter¬
gangenen Greises hat leider wenig Aussicht, von Seiten des Untersuchungs-
cvmittvs die gebührende Anerkennung zu finden.

Der neue Krystallpalast in Sydenham hat trotz des ungünstigen Wetters und
der langwierigen Grundbauten erhebliche Fortschritte gemacht, und die westliche
Hälfte wird bald unter Dach gebracht sein. Die bei dem Gebäude von Hydepart


weniger als 100 und einige Wahlen beanstandet sind. Mehrere sind bereits für
ungültig erklärt, und die jetzt veröffentlichten Verhöre der Zeugen bringen manche
interessanten Züge zu Tage. In Canterbury versuchte man zugleich ans Herz und
Kopf der Wähler zu wirken, auf das Herz durch farbige Billets, die nach der
Wahl mit 10 si>. eingelöst wurden, auf den Kopf durch „Nestanrationsbillets",
die so mächtig wirkten, daß die halbe Wählerschaft Canterbury's sich da wälzte,,
wo für gewöhnlich nur die Säue zu finden sind. Ein anderer Wähler ging, von
seinem Sohne aufgefordert, in das Haus seiner Tochter, und fand dort fünf
Sovereigns auf der Bettdecke liegen, die er einsteckte, ohne zu wissen, wozu
das Geld da lag und woher es kam. In Chatham dienten Stellen in den
königlichen Schiffsbanwerften, die der ministerielle Kandidat, Sir F. Smith, seinen
Wählern zu verschaffen versprach, als BestechnngSmittcl. Aber uicht bei allen
Wählern war das Gewissen ganz erstorben. Ein braver Seiler, Namens Sibbett,
dem eine feste Stelle versprochen war, der aber nur Stückarbeit erhielt, erkannte
bei dieser Entdeckung, wie sehr er unrecht gethan hatte, daß er seine Stimme
für eine Anstellung habe verkaufen wollen. In Clitheroe hatte die gute Sache,
um durchzudringen, die Unterstützung streitbarer Keulenträger. Ein Lancashire-
sarmer lieferte sie «n xros, und erhielt einen Auftrag auf 300 Manu „für die
grobe Arbeit" bei den Wahlen, mit dem Bedeuten, daß gute Zuschläger und
Wilddiebe am Liebsten gesehen würden. Die Hilfstruppen müsse» zahlreich ge¬
wesen sein, denn in einem Wirthshause aßen und tranken am Wahltage und
einige Tage vorher 2000 Personen so viel und so rasch, als der Wirth auftragen
konnte. Sehr zartfühlend sind die Wähler von Bridgenorth. Ihr uneigennütziges
Herz kennt nicht die schmutzige Sehnsucht nach Geld, sie wünschen in ihrer Ge¬
müthlichkeit nnr den Kandidaten wiederzusehen, oder wenigstens seine Geschäfts¬
agenten. Aber wehe ihm, wenn er den geheimnißvollen Sinn dieser unschuldigen
Frage nicht versteht: nicht seinem freundlichen Gesicht gilt ihre Sehnsucht, sondern
dem Antlitz der verehrten Königin, doppelt verehrt, wenn es von Gold ist. Herr
Eceles, das Mitglied für Blackbnrn, hat gar nicht gewählt sein wollen; nur auf
Andringen seiner Freunde hat er sich bewegen lassen, als Kandidat aufzutreten.
Aber bestechen? Pfui, wer könnte das seinem grauen Haare zutraue» — was
aus den 2000 Pfd. geworden ist, die sein Sohn einem Wahlagenten, Mr.
Hollinshed, hat auszahlen lassen, ist ihm gänzlich unbekannt. Er für seinen
Theil hat blos ö öd. ausgegeben, und die so beschenkten waren betrunkene
Nichiwähler, die ihm Angelegenheiten machten. Die naive Unschuld des Hinter¬
gangenen Greises hat leider wenig Aussicht, von Seiten des Untersuchungs-
cvmittvs die gebührende Anerkennung zu finden.

Der neue Krystallpalast in Sydenham hat trotz des ungünstigen Wetters und
der langwierigen Grundbauten erhebliche Fortschritte gemacht, und die westliche
Hälfte wird bald unter Dach gebracht sein. Die bei dem Gebäude von Hydepart


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/484>, abgerufen am 28.12.2024.