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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Eine Ergänzung des Fidelio von Beethoven.

Den Vorständen der deutschen Theater empfehlen sich die folgenden Be¬
merkungen zur gefälligen Beachtung, sie haben die Absicht, in die Musik des
Fidelio zwei Nummern, welche in musikalischer Hinsicht vortrefflich und für einzelne
Gesangpartien der Oper von Wichtigkeit sind, wieder einzuführen.

Bekanntlich ist Fidelio in der Form, in welcher er auf unsern Bühnen heimisch
ist, die dritte Bearbeitung desselben sujets durch Beethoven. Die ursprüngliche
Composition wurde zuerst am 20. November 1803 im Theater an der Wien
gegeben, sie fand bei der Kritik und den Wienern durchaus keinen Beifall.
Man leugnete nicht, daß Beethoven Talent habe, fand aber weder Er¬
findung, uoch Ausführung originell, in den Gesangstücken wenig Ideen, die
Chöre schwach, den Chor der Gefangenen mißlungen n. f. w. -- Das war
daS Urtheil der Zeitgenossen über ein Werk, das wir jetzt für das kostbarste
Juwel in dem bunten Glanz unseres Ovcrnrepertoirs halten. Um die Oper
der Bühne zu erhalten, drängten Freunde und Gönner den Komponisten,
stark zu kürzen und Einzelnes umzuarbeiten. So verändert wurde die Oper
am 29. März -1806 von Neuem aufgeführt, -- gegen Beethoven's Willen
wieder unter dem Titel Leonore -- fand etwas nachsichtigere Beurtheilung, aber
anch so nnr geringe Verbreitung. Beethoven ärgerte sich und ließ sie liegen.
Erst im Jahre -I8-IL wählten die Jnspicienten der k. k. Hofoper den Fidelio zu
ihrem Benefiz. Beethoven war bereit, die Oper herzugeben, unterzog sie aber
vorher einer strengen Durchsicht, schrieb manche Stücke um, kürzte und änderte an
andern stark. Seit dieser Zeit wurde Fidelio allmählich eine Oper des stehenden
Repertoirs. Durch die ausgezeichnete Arbeit von Professor Dr. Otto Jahr
sind die älteren Bearbeitungen der Oper (Leonore, Oper in zwei Acten von L.
van Beethoven, vollständiger Clavierauszug der zweiten Bearbeitung mit den
Abweichungen der ersten, Leipzig, Breitkopf und Härte!) seit ungefähr einem
Jahre dem deutschen Publicum zugänglich, Werth und Bedeutung dieser ältern
Arbeiten sind in diesen Blättern bereits früher besprochen, insbesondere das Ver¬
hältniß derselben zu dem auf den Bühnen heimischen Fidelio.

Die Veränderungen, welche Beethoven allmählich mit der Oper vornahm,
sind weder vom dramatischen, noch vom musikalischen Standpunkt insgesammt
als Verbesserungen zu betrachten/ Namentlich die letzte Bearbeitung, welche
dem Fidelio die jetzt gebräuchliche Einrichtung gegeben hat, ist von Beethoven,
wie er selbst sagt, ohne besondere Freude und Begeisterung gemacht worden. Er
war der Oper bereits zu fremd geworden. Musik und Text der ältern Bearbei¬
tungen enthält vieles Vortreffliche, das der große Meister dem damaligen Zeit¬
geschmack und den Wiener Operngcwohnheiten zu Liebe sehr gegen seine Ueber-


Eine Ergänzung des Fidelio von Beethoven.

Den Vorständen der deutschen Theater empfehlen sich die folgenden Be¬
merkungen zur gefälligen Beachtung, sie haben die Absicht, in die Musik des
Fidelio zwei Nummern, welche in musikalischer Hinsicht vortrefflich und für einzelne
Gesangpartien der Oper von Wichtigkeit sind, wieder einzuführen.

Bekanntlich ist Fidelio in der Form, in welcher er auf unsern Bühnen heimisch
ist, die dritte Bearbeitung desselben sujets durch Beethoven. Die ursprüngliche
Composition wurde zuerst am 20. November 1803 im Theater an der Wien
gegeben, sie fand bei der Kritik und den Wienern durchaus keinen Beifall.
Man leugnete nicht, daß Beethoven Talent habe, fand aber weder Er¬
findung, uoch Ausführung originell, in den Gesangstücken wenig Ideen, die
Chöre schwach, den Chor der Gefangenen mißlungen n. f. w. — Das war
daS Urtheil der Zeitgenossen über ein Werk, das wir jetzt für das kostbarste
Juwel in dem bunten Glanz unseres Ovcrnrepertoirs halten. Um die Oper
der Bühne zu erhalten, drängten Freunde und Gönner den Komponisten,
stark zu kürzen und Einzelnes umzuarbeiten. So verändert wurde die Oper
am 29. März -1806 von Neuem aufgeführt, — gegen Beethoven's Willen
wieder unter dem Titel Leonore — fand etwas nachsichtigere Beurtheilung, aber
anch so nnr geringe Verbreitung. Beethoven ärgerte sich und ließ sie liegen.
Erst im Jahre -I8-IL wählten die Jnspicienten der k. k. Hofoper den Fidelio zu
ihrem Benefiz. Beethoven war bereit, die Oper herzugeben, unterzog sie aber
vorher einer strengen Durchsicht, schrieb manche Stücke um, kürzte und änderte an
andern stark. Seit dieser Zeit wurde Fidelio allmählich eine Oper des stehenden
Repertoirs. Durch die ausgezeichnete Arbeit von Professor Dr. Otto Jahr
sind die älteren Bearbeitungen der Oper (Leonore, Oper in zwei Acten von L.
van Beethoven, vollständiger Clavierauszug der zweiten Bearbeitung mit den
Abweichungen der ersten, Leipzig, Breitkopf und Härte!) seit ungefähr einem
Jahre dem deutschen Publicum zugänglich, Werth und Bedeutung dieser ältern
Arbeiten sind in diesen Blättern bereits früher besprochen, insbesondere das Ver¬
hältniß derselben zu dem auf den Bühnen heimischen Fidelio.

Die Veränderungen, welche Beethoven allmählich mit der Oper vornahm,
sind weder vom dramatischen, noch vom musikalischen Standpunkt insgesammt
als Verbesserungen zu betrachten/ Namentlich die letzte Bearbeitung, welche
dem Fidelio die jetzt gebräuchliche Einrichtung gegeben hat, ist von Beethoven,
wie er selbst sagt, ohne besondere Freude und Begeisterung gemacht worden. Er
war der Oper bereits zu fremd geworden. Musik und Text der ältern Bearbei¬
tungen enthält vieles Vortreffliche, das der große Meister dem damaligen Zeit¬
geschmack und den Wiener Operngcwohnheiten zu Liebe sehr gegen seine Ueber-


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[0470] Eine Ergänzung des Fidelio von Beethoven. Den Vorständen der deutschen Theater empfehlen sich die folgenden Be¬ merkungen zur gefälligen Beachtung, sie haben die Absicht, in die Musik des Fidelio zwei Nummern, welche in musikalischer Hinsicht vortrefflich und für einzelne Gesangpartien der Oper von Wichtigkeit sind, wieder einzuführen. Bekanntlich ist Fidelio in der Form, in welcher er auf unsern Bühnen heimisch ist, die dritte Bearbeitung desselben sujets durch Beethoven. Die ursprüngliche Composition wurde zuerst am 20. November 1803 im Theater an der Wien gegeben, sie fand bei der Kritik und den Wienern durchaus keinen Beifall. Man leugnete nicht, daß Beethoven Talent habe, fand aber weder Er¬ findung, uoch Ausführung originell, in den Gesangstücken wenig Ideen, die Chöre schwach, den Chor der Gefangenen mißlungen n. f. w. — Das war daS Urtheil der Zeitgenossen über ein Werk, das wir jetzt für das kostbarste Juwel in dem bunten Glanz unseres Ovcrnrepertoirs halten. Um die Oper der Bühne zu erhalten, drängten Freunde und Gönner den Komponisten, stark zu kürzen und Einzelnes umzuarbeiten. So verändert wurde die Oper am 29. März -1806 von Neuem aufgeführt, — gegen Beethoven's Willen wieder unter dem Titel Leonore — fand etwas nachsichtigere Beurtheilung, aber anch so nnr geringe Verbreitung. Beethoven ärgerte sich und ließ sie liegen. Erst im Jahre -I8-IL wählten die Jnspicienten der k. k. Hofoper den Fidelio zu ihrem Benefiz. Beethoven war bereit, die Oper herzugeben, unterzog sie aber vorher einer strengen Durchsicht, schrieb manche Stücke um, kürzte und änderte an andern stark. Seit dieser Zeit wurde Fidelio allmählich eine Oper des stehenden Repertoirs. Durch die ausgezeichnete Arbeit von Professor Dr. Otto Jahr sind die älteren Bearbeitungen der Oper (Leonore, Oper in zwei Acten von L. van Beethoven, vollständiger Clavierauszug der zweiten Bearbeitung mit den Abweichungen der ersten, Leipzig, Breitkopf und Härte!) seit ungefähr einem Jahre dem deutschen Publicum zugänglich, Werth und Bedeutung dieser ältern Arbeiten sind in diesen Blättern bereits früher besprochen, insbesondere das Ver¬ hältniß derselben zu dem auf den Bühnen heimischen Fidelio. Die Veränderungen, welche Beethoven allmählich mit der Oper vornahm, sind weder vom dramatischen, noch vom musikalischen Standpunkt insgesammt als Verbesserungen zu betrachten/ Namentlich die letzte Bearbeitung, welche dem Fidelio die jetzt gebräuchliche Einrichtung gegeben hat, ist von Beethoven, wie er selbst sagt, ohne besondere Freude und Begeisterung gemacht worden. Er war der Oper bereits zu fremd geworden. Musik und Text der ältern Bearbei¬ tungen enthält vieles Vortreffliche, das der große Meister dem damaligen Zeit¬ geschmack und den Wiener Operngcwohnheiten zu Liebe sehr gegen seine Ueber-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/470>, abgerufen am 24.07.2024.