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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Häuptern des Staatsraths schwebenden Möglichkeit, jeder Schritt jedes Einzelnen
von bekannten und unbekannten Spionen, 'die im Dienste von Vorgesetzten,
Untergebenen und Nebenbuhlern stehen, beobachtet wird, so wird man zugeben,
daß der Staatsrath in seinen Maßregel" sehr vorsichtig sein muß, um sich keine
Blöße zu gebe", die stets das Lebe" des gege" Gesetz oder Herkommen Ver¬
stoßenden gefährdet.

Wir kommen jetzt zu den Lehnssürsten des Reichs, deren Macht zu brechen
von jeher die Hauptsorge der SjogunS und ihres Staatsraths gewesen ist. Ur¬
sprünglich gab es 68 solcher Erbfürsten, aber der Staatsrath hat consequent die
Politik befolgt, sie durch Theilungen und Confiscationen zu schwächen, und da
dem Gesetz nach durch Hochverrat!) das LehnSeigenthum verfällt, so hat es wäh¬
rend des langen Bürgerkriegs nicht an Gelegenheit dazu gefehlt. Gegenwärtig
zahlt Japan 60i- besondere Verwaltungsbezirke, und sind in dieser Zahl sämmt¬
liche große und kleine Fürstentümer, Herrschaften, kaiserliche Provinzen und
kaiserliche Städte rin inbegriffen.

Die Fürsten, genannt Kot-svyn, oder Herren des Landes, zerfallen in zwei
Klassen, in die Dann" (die sehr hoch Geehrten), welche Vasallen des Mikado,
und in die Sai-mu (die Hochgeehrte"), welche Vasallen deö Sjognn sind. Beide
sind innerhalb ihrer Besitzungen nominell unumschränkte Herrscher; ihre Negie¬
rung ist der Form und der Organisation nach eine vollständig souveraine, und sie
besitzen in ihren adeligen Vasallen "ut deren Gefolge ein eigenes Heer. Aber
die Oberlehensherrschaft verstrickt die anscheinend souverainen Fürsten in el" solches
Netz von Vorsichtsmaßregeln, daß selbst der Mächtigste nichts gegen den Sjognn
und den Staatsrath unternehmen kann; und so heimlich und in's Kleinlichste
gehend ist die Ueberwachung jedes Schrittes ihres öffentlichen nud ihres Privat¬
lebens, daß das Abdanken zu Gunsten eines Sohnes nirgends so häufig vor¬
kommt als bei diesen japanischen Reichsfürsten. Ein regierender Fürst von höherem
Alter kommt in Japan niemals vor.

Bei allem äußern Prunk der Souverainetät wird die eigentliche Regierung
jedes Fürstenthums nicht von dem Fürsten oder von Ministern seiner Wahl be¬
setzt, sondern von zwei Gvlkaroö oder Secretaireu, die der Staatsrath von Jeddo
ernennt, nud von denen stets einer im Fürstenthum, der andere in Jeddo residirt;
dort bleibt auch die Familie des in der Provinz abwesenden Secretairs als Pfand
für seiue Treue zurück. In gleicher Weise werden alle hohen Provinzialstcllen
doppelt besetzt, und nur durch den regelmäßig wiederkehrenden jährlichen Wechsel
der Stellen sind diese Beamten in den Stand gesetzt, ein Jahr um das andere
mit ihrer Familie zu leben. Diesen ihrem nomineller Herrn aufgezwungenen
Creaturen ist es nicht gestattet, nach der Vorschrift des Fürsten, oder nach ihrem
eigene" Urtheil zu handeln, sondern sie sind lediglich Delegirte des Staatsraths,
aus dessen Mitte sie ihre Befehle empfange".


Häuptern des Staatsraths schwebenden Möglichkeit, jeder Schritt jedes Einzelnen
von bekannten und unbekannten Spionen, 'die im Dienste von Vorgesetzten,
Untergebenen und Nebenbuhlern stehen, beobachtet wird, so wird man zugeben,
daß der Staatsrath in seinen Maßregel» sehr vorsichtig sein muß, um sich keine
Blöße zu gebe», die stets das Lebe» des gege» Gesetz oder Herkommen Ver¬
stoßenden gefährdet.

Wir kommen jetzt zu den Lehnssürsten des Reichs, deren Macht zu brechen
von jeher die Hauptsorge der SjogunS und ihres Staatsraths gewesen ist. Ur¬
sprünglich gab es 68 solcher Erbfürsten, aber der Staatsrath hat consequent die
Politik befolgt, sie durch Theilungen und Confiscationen zu schwächen, und da
dem Gesetz nach durch Hochverrat!) das LehnSeigenthum verfällt, so hat es wäh¬
rend des langen Bürgerkriegs nicht an Gelegenheit dazu gefehlt. Gegenwärtig
zahlt Japan 60i- besondere Verwaltungsbezirke, und sind in dieser Zahl sämmt¬
liche große und kleine Fürstentümer, Herrschaften, kaiserliche Provinzen und
kaiserliche Städte rin inbegriffen.

Die Fürsten, genannt Kot-svyn, oder Herren des Landes, zerfallen in zwei
Klassen, in die Dann» (die sehr hoch Geehrten), welche Vasallen des Mikado,
und in die Sai-mu (die Hochgeehrte»), welche Vasallen deö Sjognn sind. Beide
sind innerhalb ihrer Besitzungen nominell unumschränkte Herrscher; ihre Negie¬
rung ist der Form und der Organisation nach eine vollständig souveraine, und sie
besitzen in ihren adeligen Vasallen »ut deren Gefolge ein eigenes Heer. Aber
die Oberlehensherrschaft verstrickt die anscheinend souverainen Fürsten in el» solches
Netz von Vorsichtsmaßregeln, daß selbst der Mächtigste nichts gegen den Sjognn
und den Staatsrath unternehmen kann; und so heimlich und in's Kleinlichste
gehend ist die Ueberwachung jedes Schrittes ihres öffentlichen nud ihres Privat¬
lebens, daß das Abdanken zu Gunsten eines Sohnes nirgends so häufig vor¬
kommt als bei diesen japanischen Reichsfürsten. Ein regierender Fürst von höherem
Alter kommt in Japan niemals vor.

Bei allem äußern Prunk der Souverainetät wird die eigentliche Regierung
jedes Fürstenthums nicht von dem Fürsten oder von Ministern seiner Wahl be¬
setzt, sondern von zwei Gvlkaroö oder Secretaireu, die der Staatsrath von Jeddo
ernennt, nud von denen stets einer im Fürstenthum, der andere in Jeddo residirt;
dort bleibt auch die Familie des in der Provinz abwesenden Secretairs als Pfand
für seiue Treue zurück. In gleicher Weise werden alle hohen Provinzialstcllen
doppelt besetzt, und nur durch den regelmäßig wiederkehrenden jährlichen Wechsel
der Stellen sind diese Beamten in den Stand gesetzt, ein Jahr um das andere
mit ihrer Familie zu leben. Diesen ihrem nomineller Herrn aufgezwungenen
Creaturen ist es nicht gestattet, nach der Vorschrift des Fürsten, oder nach ihrem
eigene» Urtheil zu handeln, sondern sie sind lediglich Delegirte des Staatsraths,
aus dessen Mitte sie ihre Befehle empfange».


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[0458] Häuptern des Staatsraths schwebenden Möglichkeit, jeder Schritt jedes Einzelnen von bekannten und unbekannten Spionen, 'die im Dienste von Vorgesetzten, Untergebenen und Nebenbuhlern stehen, beobachtet wird, so wird man zugeben, daß der Staatsrath in seinen Maßregel» sehr vorsichtig sein muß, um sich keine Blöße zu gebe», die stets das Lebe» des gege» Gesetz oder Herkommen Ver¬ stoßenden gefährdet. Wir kommen jetzt zu den Lehnssürsten des Reichs, deren Macht zu brechen von jeher die Hauptsorge der SjogunS und ihres Staatsraths gewesen ist. Ur¬ sprünglich gab es 68 solcher Erbfürsten, aber der Staatsrath hat consequent die Politik befolgt, sie durch Theilungen und Confiscationen zu schwächen, und da dem Gesetz nach durch Hochverrat!) das LehnSeigenthum verfällt, so hat es wäh¬ rend des langen Bürgerkriegs nicht an Gelegenheit dazu gefehlt. Gegenwärtig zahlt Japan 60i- besondere Verwaltungsbezirke, und sind in dieser Zahl sämmt¬ liche große und kleine Fürstentümer, Herrschaften, kaiserliche Provinzen und kaiserliche Städte rin inbegriffen. Die Fürsten, genannt Kot-svyn, oder Herren des Landes, zerfallen in zwei Klassen, in die Dann» (die sehr hoch Geehrten), welche Vasallen des Mikado, und in die Sai-mu (die Hochgeehrte»), welche Vasallen deö Sjognn sind. Beide sind innerhalb ihrer Besitzungen nominell unumschränkte Herrscher; ihre Negie¬ rung ist der Form und der Organisation nach eine vollständig souveraine, und sie besitzen in ihren adeligen Vasallen »ut deren Gefolge ein eigenes Heer. Aber die Oberlehensherrschaft verstrickt die anscheinend souverainen Fürsten in el» solches Netz von Vorsichtsmaßregeln, daß selbst der Mächtigste nichts gegen den Sjognn und den Staatsrath unternehmen kann; und so heimlich und in's Kleinlichste gehend ist die Ueberwachung jedes Schrittes ihres öffentlichen nud ihres Privat¬ lebens, daß das Abdanken zu Gunsten eines Sohnes nirgends so häufig vor¬ kommt als bei diesen japanischen Reichsfürsten. Ein regierender Fürst von höherem Alter kommt in Japan niemals vor. Bei allem äußern Prunk der Souverainetät wird die eigentliche Regierung jedes Fürstenthums nicht von dem Fürsten oder von Ministern seiner Wahl be¬ setzt, sondern von zwei Gvlkaroö oder Secretaireu, die der Staatsrath von Jeddo ernennt, nud von denen stets einer im Fürstenthum, der andere in Jeddo residirt; dort bleibt auch die Familie des in der Provinz abwesenden Secretairs als Pfand für seiue Treue zurück. In gleicher Weise werden alle hohen Provinzialstcllen doppelt besetzt, und nur durch den regelmäßig wiederkehrenden jährlichen Wechsel der Stellen sind diese Beamten in den Stand gesetzt, ein Jahr um das andere mit ihrer Familie zu leben. Diesen ihrem nomineller Herrn aufgezwungenen Creaturen ist es nicht gestattet, nach der Vorschrift des Fürsten, oder nach ihrem eigene» Urtheil zu handeln, sondern sie sind lediglich Delegirte des Staatsraths, aus dessen Mitte sie ihre Befehle empfange».

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/458>, abgerufen am 29.12.2024.