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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Der Mikado dankt sehr häufig ab, und ein solcher Thronwechsel wird durch
das ganze Reich verkündet; regiert aber der Kaiser bis zu seinem Tode fort, so
ist die Verkündigung dieses Vorfalls keine so einfache Sache. Man verheimlicht
den Tod des Mikado ans das Sorgfältigste, bis der Erbe sicher auf dem Throne
sijzt; und dann wird der neue Mikado mit dem Zusatz proclamirt, daß fein Vor¬
gänger verschwunden ist. Das gemeine, menschliche Loos des Sterbens kann eine
so göttliche Person nicht treffen.

Um das Aussterben des halbgöttlichen Stammes zu verhüten, hat der Mi¬
kado, der Einzige in Japan, dem Polygamie erlaubt ist, zwölf Weiber. Erwählt
sich dieselben für gewöhnlich ans den Damen seines Hofes, und sie zeichnen sich
vor andern japanesischen Frauen durch ihre Tracht ans. Ihre Kleider sollen so
lang und weit, und durch Gold- und Silberstickereieu so schwer und steif sein,
daß sie sich kaum in denselben bewegen können. Die Kleider des männlichen und
weiblichen Hofstaates sind ebenso unbequem, weit und lang. Das Leben am
Dairi ist übrigens, beiläufig gesagt, sehr ruinös, denn die Gehalte, die theils
von Douuünen herrühren, theils von dem Sjogun bezahlt werden, reichen für
den zu machenden Aufwand uicht aus. Die Grvßbeamten müssen ihren Ehrgeiz,
eine der hohen Würden am Hofe zu bekleiden, meistens mit dem besten Theile
ihres Vermögens bezahlen, und die geringern Beamten müssen einen Nebenver¬
dienst haben, um leben zu können. Sie machen und verkaufen Strvhkörbchc",
lackirte Tischchen, Hufeisen und Aehnliches.

Mit so niedern Beschäftigungen geben sich übrigens blos die untern Beamten
aus Noth ab; sonst ist der Hof des Mikado gerade der Ort, wo die schönen
Wissenschaften und Künste den Hauptgegenstand der Beschäftigung bilden, während
man am Hose von Jeddo mehr den ernstern Wissenschaften obliegt. Die be¬
rühmtesten Poeten, Geschichtsschreiber, Moralphilosophen u. s. w. sind stets unter
den männlichen und weiblichen Mitgliedern des Dairis, wo sie eine Art Akademie
bilden. Die Frauen widmen sich mit Vorliebe der Musik. DaS Kalciidermacheu
war früher ebenfalls eine Obliegenheit des Hofes von Miaco, gegenwärtig aber
besorgt es ein Gelehrter der Stadt.

Daß das harmlose Treiben des Mikado und seines Hofes nicht durch die
ehrgeizige Beschäftigung mit Politik gestört werde, ist die Sorge des Großrich¬
ters, den der Sjoguu zum Aufseher über das Thun und Treiben des Dairiö
bestellt; seine Stellung wird ihm durch die Lage seiner Wohnung, unmittelbar der
Dairipforte gegenüber, sehr erleichtert. Sein Amt ist jedoch nichts weniger als
angenehm. Die geringste Nachlässigkeit würde ihm den Zorn des Sjvgnns zu¬
ziehen, während allzu großer Diensteifer die Unzufriedenheit des Mikado erregen
würde, bei dem er officiell nur der bescheidene Repräsentant eines gehorsamen
Vicekönigs ist. In beiden Fällen bleibt ihm nnr der einzige Weg des Bauch-


Der Mikado dankt sehr häufig ab, und ein solcher Thronwechsel wird durch
das ganze Reich verkündet; regiert aber der Kaiser bis zu seinem Tode fort, so
ist die Verkündigung dieses Vorfalls keine so einfache Sache. Man verheimlicht
den Tod des Mikado ans das Sorgfältigste, bis der Erbe sicher auf dem Throne
sijzt; und dann wird der neue Mikado mit dem Zusatz proclamirt, daß fein Vor¬
gänger verschwunden ist. Das gemeine, menschliche Loos des Sterbens kann eine
so göttliche Person nicht treffen.

Um das Aussterben des halbgöttlichen Stammes zu verhüten, hat der Mi¬
kado, der Einzige in Japan, dem Polygamie erlaubt ist, zwölf Weiber. Erwählt
sich dieselben für gewöhnlich ans den Damen seines Hofes, und sie zeichnen sich
vor andern japanesischen Frauen durch ihre Tracht ans. Ihre Kleider sollen so
lang und weit, und durch Gold- und Silberstickereieu so schwer und steif sein,
daß sie sich kaum in denselben bewegen können. Die Kleider des männlichen und
weiblichen Hofstaates sind ebenso unbequem, weit und lang. Das Leben am
Dairi ist übrigens, beiläufig gesagt, sehr ruinös, denn die Gehalte, die theils
von Douuünen herrühren, theils von dem Sjogun bezahlt werden, reichen für
den zu machenden Aufwand uicht aus. Die Grvßbeamten müssen ihren Ehrgeiz,
eine der hohen Würden am Hofe zu bekleiden, meistens mit dem besten Theile
ihres Vermögens bezahlen, und die geringern Beamten müssen einen Nebenver¬
dienst haben, um leben zu können. Sie machen und verkaufen Strvhkörbchc»,
lackirte Tischchen, Hufeisen und Aehnliches.

Mit so niedern Beschäftigungen geben sich übrigens blos die untern Beamten
aus Noth ab; sonst ist der Hof des Mikado gerade der Ort, wo die schönen
Wissenschaften und Künste den Hauptgegenstand der Beschäftigung bilden, während
man am Hose von Jeddo mehr den ernstern Wissenschaften obliegt. Die be¬
rühmtesten Poeten, Geschichtsschreiber, Moralphilosophen u. s. w. sind stets unter
den männlichen und weiblichen Mitgliedern des Dairis, wo sie eine Art Akademie
bilden. Die Frauen widmen sich mit Vorliebe der Musik. DaS Kalciidermacheu
war früher ebenfalls eine Obliegenheit des Hofes von Miaco, gegenwärtig aber
besorgt es ein Gelehrter der Stadt.

Daß das harmlose Treiben des Mikado und seines Hofes nicht durch die
ehrgeizige Beschäftigung mit Politik gestört werde, ist die Sorge des Großrich¬
ters, den der Sjoguu zum Aufseher über das Thun und Treiben des Dairiö
bestellt; seine Stellung wird ihm durch die Lage seiner Wohnung, unmittelbar der
Dairipforte gegenüber, sehr erleichtert. Sein Amt ist jedoch nichts weniger als
angenehm. Die geringste Nachlässigkeit würde ihm den Zorn des Sjvgnns zu¬
ziehen, während allzu großer Diensteifer die Unzufriedenheit des Mikado erregen
würde, bei dem er officiell nur der bescheidene Repräsentant eines gehorsamen
Vicekönigs ist. In beiden Fällen bleibt ihm nnr der einzige Weg des Bauch-


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[0455] Der Mikado dankt sehr häufig ab, und ein solcher Thronwechsel wird durch das ganze Reich verkündet; regiert aber der Kaiser bis zu seinem Tode fort, so ist die Verkündigung dieses Vorfalls keine so einfache Sache. Man verheimlicht den Tod des Mikado ans das Sorgfältigste, bis der Erbe sicher auf dem Throne sijzt; und dann wird der neue Mikado mit dem Zusatz proclamirt, daß fein Vor¬ gänger verschwunden ist. Das gemeine, menschliche Loos des Sterbens kann eine so göttliche Person nicht treffen. Um das Aussterben des halbgöttlichen Stammes zu verhüten, hat der Mi¬ kado, der Einzige in Japan, dem Polygamie erlaubt ist, zwölf Weiber. Erwählt sich dieselben für gewöhnlich ans den Damen seines Hofes, und sie zeichnen sich vor andern japanesischen Frauen durch ihre Tracht ans. Ihre Kleider sollen so lang und weit, und durch Gold- und Silberstickereieu so schwer und steif sein, daß sie sich kaum in denselben bewegen können. Die Kleider des männlichen und weiblichen Hofstaates sind ebenso unbequem, weit und lang. Das Leben am Dairi ist übrigens, beiläufig gesagt, sehr ruinös, denn die Gehalte, die theils von Douuünen herrühren, theils von dem Sjogun bezahlt werden, reichen für den zu machenden Aufwand uicht aus. Die Grvßbeamten müssen ihren Ehrgeiz, eine der hohen Würden am Hofe zu bekleiden, meistens mit dem besten Theile ihres Vermögens bezahlen, und die geringern Beamten müssen einen Nebenver¬ dienst haben, um leben zu können. Sie machen und verkaufen Strvhkörbchc», lackirte Tischchen, Hufeisen und Aehnliches. Mit so niedern Beschäftigungen geben sich übrigens blos die untern Beamten aus Noth ab; sonst ist der Hof des Mikado gerade der Ort, wo die schönen Wissenschaften und Künste den Hauptgegenstand der Beschäftigung bilden, während man am Hose von Jeddo mehr den ernstern Wissenschaften obliegt. Die be¬ rühmtesten Poeten, Geschichtsschreiber, Moralphilosophen u. s. w. sind stets unter den männlichen und weiblichen Mitgliedern des Dairis, wo sie eine Art Akademie bilden. Die Frauen widmen sich mit Vorliebe der Musik. DaS Kalciidermacheu war früher ebenfalls eine Obliegenheit des Hofes von Miaco, gegenwärtig aber besorgt es ein Gelehrter der Stadt. Daß das harmlose Treiben des Mikado und seines Hofes nicht durch die ehrgeizige Beschäftigung mit Politik gestört werde, ist die Sorge des Großrich¬ ters, den der Sjoguu zum Aufseher über das Thun und Treiben des Dairiö bestellt; seine Stellung wird ihm durch die Lage seiner Wohnung, unmittelbar der Dairipforte gegenüber, sehr erleichtert. Sein Amt ist jedoch nichts weniger als angenehm. Die geringste Nachlässigkeit würde ihm den Zorn des Sjvgnns zu¬ ziehen, während allzu großer Diensteifer die Unzufriedenheit des Mikado erregen würde, bei dem er officiell nur der bescheidene Repräsentant eines gehorsamen Vicekönigs ist. In beiden Fällen bleibt ihm nnr der einzige Weg des Bauch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/455>, abgerufen am 24.07.2024.