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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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zwischen Wien und Constantinopel schwieriger wurden. Die bekannte und ihrer-
zeit viel erörterte ungarische Flüchtlingsfrage fand nur eine einstweilige Erledigung
durch das schnelle Einschreiten Canning's und Angler's (der damaligen Ge¬
sandten Englands und Frankreichs). Im Geheimen reservirte sich Oestreich diese
Angelegenheit, indem es seitdem seine Verbindungen mit der Pforte abbrach
und, anstatt dnrch einen Gesandten, lediglich von einem OKar^ et'affaires sich
vertreten ließ, um, zur geeigneten Stunde, ans sie zurückzukommen. Diese
Stunde uun hat heute geschlagen!

Man will wissen, das; bedeutsame Korrespondenzen und sonstige Aktenstücke
in den Händen des österreichischen Cabinets seien, durch welche schlagend der
Beweis geführt werde, daß im Jahre 18i9 die Pforte dem ungarischen Auf¬
stande directe Hülfe in Aussicht gestellt und daß sie außerdem die Pacificiruug des
Landes dnrch Mittel und Wege, welche sie während des Krieges und namentlich
in der ersten Epoche den Aufständischen eröffnete, wesentlich erschwert habe.
Hierdurch sei Oestreich ein nicht zu verkeimender Schaden erwachsen, für den
eine Genugthuung und Entschädigung zu verlangen ihm von Rechtswegen zu¬
komme. Diese Entschädigung, abgesehen von der sonstigen Genugthuung, müsse
politischer und commerzieller Natur zugleich sein, darum drei Forderungen:
1) eine allgemeine, welche Oestreich als älteste Macht der Christenheit zu Gun¬
sten der Glaubensgenossen griechisch- und römisch-katholischen Bekenntnisses in
Bosnien geltend mache. Feste Garantie für die Währung ihrer Rechte, in noch
weiterer Ausdehnung, als solche der bekannte Hattischerif von Gülhane (Tansi-
mat) zusichere. 2) Für die österreichischen Unterthanen insbesondere das Recht
der Freizügigkeit über die türkischen Grenzen hinweg und die Autorisation in
ihrer Eigenschaft als Oestreicher, ans dem Gebiet der Pforte Territorialbesitz zu
erwerben, was bis jetzt den Unterthanen keiner fremden Macht, sondern aus¬
schließlich der Rajah zugestanden sei. 3) Abtretung des Hafens Durazzo in
Albanien an Oestreich, um daraus einen Freihafen machen zu können; diese
letztere Bedingung ist besonders deutuugövvller Natur. Ein Mal ist sie gegen
Nußland gerichtet, das die heißesten Gelüste hegt, an den Küsten der Adria
festen Fuß zu fassen, und denn will mau England durch die Lockung eines Frei¬
hafens gefügiger macheu.

In Bezug auf Montenegro fand erst in jüngster Zeit, d. h. seit vier Wochen,
ein ernsterer Notenwechsel zwischen Stambul und Wien statt. Vou Seiten des
Divans wurde offene Beschwerde wegen mnthmaßlicher oder erwiesener Unter¬
stützungen -- ich will es dahingestellt sein lassen -- geführt, die das aufständische
Bergvolk von östreichischer Seite empfangen. Hierauf hat das k. k. Cabinet in
gemessener Sprache erwidert, wie es sich gegen jede" Verdacht einer officiellen
Unterstützung Montenegros verwahren, aber auch gleichzeitig erklären müsse, daß
es weder in seiner Absicht (eine Rache für die Zeiten von 18i9), noch in


zwischen Wien und Constantinopel schwieriger wurden. Die bekannte und ihrer-
zeit viel erörterte ungarische Flüchtlingsfrage fand nur eine einstweilige Erledigung
durch das schnelle Einschreiten Canning's und Angler's (der damaligen Ge¬
sandten Englands und Frankreichs). Im Geheimen reservirte sich Oestreich diese
Angelegenheit, indem es seitdem seine Verbindungen mit der Pforte abbrach
und, anstatt dnrch einen Gesandten, lediglich von einem OKar^ et'affaires sich
vertreten ließ, um, zur geeigneten Stunde, ans sie zurückzukommen. Diese
Stunde uun hat heute geschlagen!

Man will wissen, das; bedeutsame Korrespondenzen und sonstige Aktenstücke
in den Händen des österreichischen Cabinets seien, durch welche schlagend der
Beweis geführt werde, daß im Jahre 18i9 die Pforte dem ungarischen Auf¬
stande directe Hülfe in Aussicht gestellt und daß sie außerdem die Pacificiruug des
Landes dnrch Mittel und Wege, welche sie während des Krieges und namentlich
in der ersten Epoche den Aufständischen eröffnete, wesentlich erschwert habe.
Hierdurch sei Oestreich ein nicht zu verkeimender Schaden erwachsen, für den
eine Genugthuung und Entschädigung zu verlangen ihm von Rechtswegen zu¬
komme. Diese Entschädigung, abgesehen von der sonstigen Genugthuung, müsse
politischer und commerzieller Natur zugleich sein, darum drei Forderungen:
1) eine allgemeine, welche Oestreich als älteste Macht der Christenheit zu Gun¬
sten der Glaubensgenossen griechisch- und römisch-katholischen Bekenntnisses in
Bosnien geltend mache. Feste Garantie für die Währung ihrer Rechte, in noch
weiterer Ausdehnung, als solche der bekannte Hattischerif von Gülhane (Tansi-
mat) zusichere. 2) Für die österreichischen Unterthanen insbesondere das Recht
der Freizügigkeit über die türkischen Grenzen hinweg und die Autorisation in
ihrer Eigenschaft als Oestreicher, ans dem Gebiet der Pforte Territorialbesitz zu
erwerben, was bis jetzt den Unterthanen keiner fremden Macht, sondern aus¬
schließlich der Rajah zugestanden sei. 3) Abtretung des Hafens Durazzo in
Albanien an Oestreich, um daraus einen Freihafen machen zu können; diese
letztere Bedingung ist besonders deutuugövvller Natur. Ein Mal ist sie gegen
Nußland gerichtet, das die heißesten Gelüste hegt, an den Küsten der Adria
festen Fuß zu fassen, und denn will mau England durch die Lockung eines Frei¬
hafens gefügiger macheu.

In Bezug auf Montenegro fand erst in jüngster Zeit, d. h. seit vier Wochen,
ein ernsterer Notenwechsel zwischen Stambul und Wien statt. Vou Seiten des
Divans wurde offene Beschwerde wegen mnthmaßlicher oder erwiesener Unter¬
stützungen — ich will es dahingestellt sein lassen — geführt, die das aufständische
Bergvolk von östreichischer Seite empfangen. Hierauf hat das k. k. Cabinet in
gemessener Sprache erwidert, wie es sich gegen jede» Verdacht einer officiellen
Unterstützung Montenegros verwahren, aber auch gleichzeitig erklären müsse, daß
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[0432] zwischen Wien und Constantinopel schwieriger wurden. Die bekannte und ihrer- zeit viel erörterte ungarische Flüchtlingsfrage fand nur eine einstweilige Erledigung durch das schnelle Einschreiten Canning's und Angler's (der damaligen Ge¬ sandten Englands und Frankreichs). Im Geheimen reservirte sich Oestreich diese Angelegenheit, indem es seitdem seine Verbindungen mit der Pforte abbrach und, anstatt dnrch einen Gesandten, lediglich von einem OKar^ et'affaires sich vertreten ließ, um, zur geeigneten Stunde, ans sie zurückzukommen. Diese Stunde uun hat heute geschlagen! Man will wissen, das; bedeutsame Korrespondenzen und sonstige Aktenstücke in den Händen des österreichischen Cabinets seien, durch welche schlagend der Beweis geführt werde, daß im Jahre 18i9 die Pforte dem ungarischen Auf¬ stande directe Hülfe in Aussicht gestellt und daß sie außerdem die Pacificiruug des Landes dnrch Mittel und Wege, welche sie während des Krieges und namentlich in der ersten Epoche den Aufständischen eröffnete, wesentlich erschwert habe. Hierdurch sei Oestreich ein nicht zu verkeimender Schaden erwachsen, für den eine Genugthuung und Entschädigung zu verlangen ihm von Rechtswegen zu¬ komme. Diese Entschädigung, abgesehen von der sonstigen Genugthuung, müsse politischer und commerzieller Natur zugleich sein, darum drei Forderungen: 1) eine allgemeine, welche Oestreich als älteste Macht der Christenheit zu Gun¬ sten der Glaubensgenossen griechisch- und römisch-katholischen Bekenntnisses in Bosnien geltend mache. Feste Garantie für die Währung ihrer Rechte, in noch weiterer Ausdehnung, als solche der bekannte Hattischerif von Gülhane (Tansi- mat) zusichere. 2) Für die österreichischen Unterthanen insbesondere das Recht der Freizügigkeit über die türkischen Grenzen hinweg und die Autorisation in ihrer Eigenschaft als Oestreicher, ans dem Gebiet der Pforte Territorialbesitz zu erwerben, was bis jetzt den Unterthanen keiner fremden Macht, sondern aus¬ schließlich der Rajah zugestanden sei. 3) Abtretung des Hafens Durazzo in Albanien an Oestreich, um daraus einen Freihafen machen zu können; diese letztere Bedingung ist besonders deutuugövvller Natur. Ein Mal ist sie gegen Nußland gerichtet, das die heißesten Gelüste hegt, an den Küsten der Adria festen Fuß zu fassen, und denn will mau England durch die Lockung eines Frei¬ hafens gefügiger macheu. In Bezug auf Montenegro fand erst in jüngster Zeit, d. h. seit vier Wochen, ein ernsterer Notenwechsel zwischen Stambul und Wien statt. Vou Seiten des Divans wurde offene Beschwerde wegen mnthmaßlicher oder erwiesener Unter¬ stützungen — ich will es dahingestellt sein lassen — geführt, die das aufständische Bergvolk von östreichischer Seite empfangen. Hierauf hat das k. k. Cabinet in gemessener Sprache erwidert, wie es sich gegen jede» Verdacht einer officiellen Unterstützung Montenegros verwahren, aber auch gleichzeitig erklären müsse, daß es weder in seiner Absicht (eine Rache für die Zeiten von 18i9), noch in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/432>, abgerufen am 28.12.2024.