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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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"Bürger-Repräsentanten," sagte Louis Napoleon in dem Briefe, den Bon¬
jean verlesen, ,,ich erfahre dnrch die Journale vom ZU., daß man in den Bu¬
reaux der Nationalversammlung den Antrag gestellt, das Verbannnngsgesetz, das
meine Familie seit 1816 trifft, gegen mich allein aufrecht zu erhalten. Ich
komme, die Vertreter des Volkes zu frage", warum ich eine solche Strafe ver¬
diene? Ware es, weil ich stets öffentlich erklärt habe, daß, nach meiner Ueber¬
zeugung, Frankreich weder das Leibgebinde eines Einzelnen, noch jenes einer
Familie oder einer Partei sei? Wäre es, weil ich in dem Wunsch, die Volks-
sonverainetät ohne Licenz, ohne Anarchie triumphiren zu sehen, zweimal ein Opfer
der Negierung gewesen, die Sie gestürzt haben? Wäre es, weil ich aus Achtung
vor der provisorischen Regierung in die Fremde zurückgekehrt bin, nachdem ich
ans den ersten Ruf der Revolution nach Paris gekommen war? Wäre es, weil
ich uneigennützig die Candidatureu für die Nationalversammlung zurückgewiesen,
die man mir vorgeschlagen, entschlossen, nach Frankreich zurückzukehren, erst wenn
die neue Verfassung festgestellt und die Republik gestärkt sein wird? Dieselben
Gründe, die mich gegen Louis Philipp die Waffe" ergreifen ließen, würden mich
bestimmen, falls man meine Dienste verlangte, meine Kräfte der Vertheidigung
der Nationalversammlung, welche Ausfluß- des allgemeinen Stimmrechtes ist, zu
weihen. In Gegenwart eines dnrch zweihundert Deputirte gewählte,, Königs
konnte ich mich erinnern, daß ich der Erbe eines mit der Einwilligung vo" vier
Millionen Franzosen gegründeten Kaiserreichs bin. In Gegenwart der Volks-
souveraiuetät kaun ich, will ich blos mein Recht des französischen Bürgers geltend
machen; dieses aber werde ich nicht aufhören, mit aller Energie zu fordern,
welche das Gefühl, mich nie an meinem Vaterlande verschuldet zu habe", meinem
ehrlichen Herzen verleiht."

"Ihr Mitbürger"

"Napoleon Louis Bonaparte."

Dieser Brief führt Jules Favre wieder auf die Tribune zurück, um die Zu¬
lassung aufs Neue zu unterstützen. Die Versammlung ist entschlossen; trotz Herrn
Bücher, der ein letztes Mal versucht, einen offenen Bruch mit dem Vollziehungs-
auöschusse zu verhindern, trotz Herrn Degvufte, der einen, wie er sagt, dem
Briefe Louis Bonaparte's entsprechenden Unterantrag stellt, verlangend, daß das
Verbannuugsgesetz blos bis zur Kundmachung der Verfassung aufrecht erhalten werde,
wird die Zulassung durch zwei Dritttheile der Versammlung ausgesprochen. Aus
diese Neuigkeit, welche sich mit großer Schnelligkeit verbreitet, zerstreuen sich die
Zusammenrottungen unter dem Rufe: "es lebe Napoleon!" aber ohne irgend
ein Zeichen der Dankbarkeit für die Nationalversammlung. Diese zog keinerlei
Vortheil für ihre Volksthümlichkeit aus der Demüthigung, welche sie dem
Vollziehuugsausschusse zugefügt. Louis Bonaparre war klüger, als sie, und
benutzte das Votum, das ihm die Thüren der Nationalversammlung öffnete, gar


„Bürger-Repräsentanten," sagte Louis Napoleon in dem Briefe, den Bon¬
jean verlesen, ,,ich erfahre dnrch die Journale vom ZU., daß man in den Bu¬
reaux der Nationalversammlung den Antrag gestellt, das Verbannnngsgesetz, das
meine Familie seit 1816 trifft, gegen mich allein aufrecht zu erhalten. Ich
komme, die Vertreter des Volkes zu frage», warum ich eine solche Strafe ver¬
diene? Ware es, weil ich stets öffentlich erklärt habe, daß, nach meiner Ueber¬
zeugung, Frankreich weder das Leibgebinde eines Einzelnen, noch jenes einer
Familie oder einer Partei sei? Wäre es, weil ich in dem Wunsch, die Volks-
sonverainetät ohne Licenz, ohne Anarchie triumphiren zu sehen, zweimal ein Opfer
der Negierung gewesen, die Sie gestürzt haben? Wäre es, weil ich aus Achtung
vor der provisorischen Regierung in die Fremde zurückgekehrt bin, nachdem ich
ans den ersten Ruf der Revolution nach Paris gekommen war? Wäre es, weil
ich uneigennützig die Candidatureu für die Nationalversammlung zurückgewiesen,
die man mir vorgeschlagen, entschlossen, nach Frankreich zurückzukehren, erst wenn
die neue Verfassung festgestellt und die Republik gestärkt sein wird? Dieselben
Gründe, die mich gegen Louis Philipp die Waffe» ergreifen ließen, würden mich
bestimmen, falls man meine Dienste verlangte, meine Kräfte der Vertheidigung
der Nationalversammlung, welche Ausfluß- des allgemeinen Stimmrechtes ist, zu
weihen. In Gegenwart eines dnrch zweihundert Deputirte gewählte,, Königs
konnte ich mich erinnern, daß ich der Erbe eines mit der Einwilligung vo» vier
Millionen Franzosen gegründeten Kaiserreichs bin. In Gegenwart der Volks-
souveraiuetät kaun ich, will ich blos mein Recht des französischen Bürgers geltend
machen; dieses aber werde ich nicht aufhören, mit aller Energie zu fordern,
welche das Gefühl, mich nie an meinem Vaterlande verschuldet zu habe», meinem
ehrlichen Herzen verleiht."

„Ihr Mitbürger"

„Napoleon Louis Bonaparte."

Dieser Brief führt Jules Favre wieder auf die Tribune zurück, um die Zu¬
lassung aufs Neue zu unterstützen. Die Versammlung ist entschlossen; trotz Herrn
Bücher, der ein letztes Mal versucht, einen offenen Bruch mit dem Vollziehungs-
auöschusse zu verhindern, trotz Herrn Degvufte, der einen, wie er sagt, dem
Briefe Louis Bonaparte's entsprechenden Unterantrag stellt, verlangend, daß das
Verbannuugsgesetz blos bis zur Kundmachung der Verfassung aufrecht erhalten werde,
wird die Zulassung durch zwei Dritttheile der Versammlung ausgesprochen. Aus
diese Neuigkeit, welche sich mit großer Schnelligkeit verbreitet, zerstreuen sich die
Zusammenrottungen unter dem Rufe: „es lebe Napoleon!" aber ohne irgend
ein Zeichen der Dankbarkeit für die Nationalversammlung. Diese zog keinerlei
Vortheil für ihre Volksthümlichkeit aus der Demüthigung, welche sie dem
Vollziehuugsausschusse zugefügt. Louis Bonaparre war klüger, als sie, und
benutzte das Votum, das ihm die Thüren der Nationalversammlung öffnete, gar


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[0426] „Bürger-Repräsentanten," sagte Louis Napoleon in dem Briefe, den Bon¬ jean verlesen, ,,ich erfahre dnrch die Journale vom ZU., daß man in den Bu¬ reaux der Nationalversammlung den Antrag gestellt, das Verbannnngsgesetz, das meine Familie seit 1816 trifft, gegen mich allein aufrecht zu erhalten. Ich komme, die Vertreter des Volkes zu frage», warum ich eine solche Strafe ver¬ diene? Ware es, weil ich stets öffentlich erklärt habe, daß, nach meiner Ueber¬ zeugung, Frankreich weder das Leibgebinde eines Einzelnen, noch jenes einer Familie oder einer Partei sei? Wäre es, weil ich in dem Wunsch, die Volks- sonverainetät ohne Licenz, ohne Anarchie triumphiren zu sehen, zweimal ein Opfer der Negierung gewesen, die Sie gestürzt haben? Wäre es, weil ich aus Achtung vor der provisorischen Regierung in die Fremde zurückgekehrt bin, nachdem ich ans den ersten Ruf der Revolution nach Paris gekommen war? Wäre es, weil ich uneigennützig die Candidatureu für die Nationalversammlung zurückgewiesen, die man mir vorgeschlagen, entschlossen, nach Frankreich zurückzukehren, erst wenn die neue Verfassung festgestellt und die Republik gestärkt sein wird? Dieselben Gründe, die mich gegen Louis Philipp die Waffe» ergreifen ließen, würden mich bestimmen, falls man meine Dienste verlangte, meine Kräfte der Vertheidigung der Nationalversammlung, welche Ausfluß- des allgemeinen Stimmrechtes ist, zu weihen. In Gegenwart eines dnrch zweihundert Deputirte gewählte,, Königs konnte ich mich erinnern, daß ich der Erbe eines mit der Einwilligung vo» vier Millionen Franzosen gegründeten Kaiserreichs bin. In Gegenwart der Volks- souveraiuetät kaun ich, will ich blos mein Recht des französischen Bürgers geltend machen; dieses aber werde ich nicht aufhören, mit aller Energie zu fordern, welche das Gefühl, mich nie an meinem Vaterlande verschuldet zu habe», meinem ehrlichen Herzen verleiht." „Ihr Mitbürger" „Napoleon Louis Bonaparte." Dieser Brief führt Jules Favre wieder auf die Tribune zurück, um die Zu¬ lassung aufs Neue zu unterstützen. Die Versammlung ist entschlossen; trotz Herrn Bücher, der ein letztes Mal versucht, einen offenen Bruch mit dem Vollziehungs- auöschusse zu verhindern, trotz Herrn Degvufte, der einen, wie er sagt, dem Briefe Louis Bonaparte's entsprechenden Unterantrag stellt, verlangend, daß das Verbannuugsgesetz blos bis zur Kundmachung der Verfassung aufrecht erhalten werde, wird die Zulassung durch zwei Dritttheile der Versammlung ausgesprochen. Aus diese Neuigkeit, welche sich mit großer Schnelligkeit verbreitet, zerstreuen sich die Zusammenrottungen unter dem Rufe: „es lebe Napoleon!" aber ohne irgend ein Zeichen der Dankbarkeit für die Nationalversammlung. Diese zog keinerlei Vortheil für ihre Volksthümlichkeit aus der Demüthigung, welche sie dem Vollziehuugsausschusse zugefügt. Louis Bonaparre war klüger, als sie, und benutzte das Votum, das ihm die Thüren der Nationalversammlung öffnete, gar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/426>, abgerufen am 24.07.2024.