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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Prinz Louis Napoleon, der vor uns steht, es ist ein Prätendent, der zweimal
den französischen Boden betreten hat, und die Waffen in der Hand sein Erbrecht
zu beanspruchen kam, und auch heute noch begrüßen seine Anhänger seine Wahl
durch den Ruf: Es lebe der Kaiser! Herr Buchez bemerkt zur Unterstützung
seines Verdachtes, daß der Prinz die Republik noch nicht anerkannt habe'
daß er auch noch kein einziges Wort gesprochen, das der Aufregung in den Straßen,
der Zweideutigkeit seiner Stellung und der Perplexität derjenige" seiner Freunde,
die ihn für aufrichtig hallen, ein Ende machen würde.

Bei diesen Worten verläßt Herr Vieillard mit Ungestüm seine Bank und
besteigt die Tribune. Er kommt, sagt er, eine heilige Pflicht zu erfüllen, indem
er einen Abwesenden, einen Freund vertheidigt. "Ich kenne den Bürger Bona¬
parte seit dreißig Jahren. Nachdem man ans ihm einen Deputirten wider seinen
Willen gemacht hat, gestaltet man ihn zum Prätendenten wider seinen Willen um.
Seine Wahl ist keine Konspiration, wie man glauben machen mochte, sondern eine
Protestation gegen die traurigen Erinnerungen von 18is." Und um seine Be¬
hauptungen um so besser zu bekräftigen, theilt Herr Vieillard der Versammlung
einen Brief Louis Bonaparte'S vom 11. Mai 18i8 mit. Der Brief lautet:
"Ich wollte nicht als Kandidat bei den Wahlen auftreten, weil ich überzeugt bin,
daß meine Stellung in der Nationalversammlung vcrlegcnhcitbriugcnd gewesen
wäre. Meine Antecedentien machen ans mir nicht einen Parteiführer, sondern
nothwendigerweise einen Mann, ans den die Blicke aller Unzufriedenen gerichtet
waren. So lange die französische Gesellschaft nicht eingerichtet, die Constitution
nicht festgesetzt ist, fühle ich, daß meine Stellung in Frankreich sehr schwierig
und selbst für euch gefährlich wäre. Ich habe daher den festen Entschluß gefaßt,
mich abseits zu halten, und allen Verführungen zu widerstehen, die ein Aufent¬
halt in meinem V.üerlande für mich haben kann. Wenn Frankreich meiner be¬
dürfte, wenn meine Rolle bezeichnet wäre, wenn ich endlich meinem Vaterlands
nützlich sein könnte, würde ich nicht zaudern, alle secundären Betrachtungen zu
beseitigen und meine Pflicht zu erfüllen; allein unter den gegenwärtigen Verhält¬
nissen kann ich zu Nichts gut sein, und ich wäre höchstens nnr ein Hinderniß;
ich werde daher noch einige Monate hier warten, bis die Angelegenheiten in
Frankreich eine ruhigere klarere Wendung nehmen werden. Ich weiß nicht, ob
Sie diesen meinen Entschluß tadeln werden, allein wenn Sie wüßten, was für
kaiserliche Anträge man mir selbst hier macht, würden Sie begreifen, um wie viel
mehr ich in Paris einer jeden Art von Intriguen ausgesetzt wäre. Ich mag
mich in nichts mengen, ich wünsche, die Republik sich an Weisheit und Recht
kräftigen zu sehen, und die willkürliche Verbannung ist mir indessen sehr lieb,
weil ich weiß, daß sie eine willkürliche ist."

Dieser Brief erzielte nicht die Wirkung aus die Nationalversammlung, die
man von ihm erwarten konnte. Wie ich bereits bemerkt habe, war die Rechte


Prinz Louis Napoleon, der vor uns steht, es ist ein Prätendent, der zweimal
den französischen Boden betreten hat, und die Waffen in der Hand sein Erbrecht
zu beanspruchen kam, und auch heute noch begrüßen seine Anhänger seine Wahl
durch den Ruf: Es lebe der Kaiser! Herr Buchez bemerkt zur Unterstützung
seines Verdachtes, daß der Prinz die Republik noch nicht anerkannt habe'
daß er auch noch kein einziges Wort gesprochen, das der Aufregung in den Straßen,
der Zweideutigkeit seiner Stellung und der Perplexität derjenige» seiner Freunde,
die ihn für aufrichtig hallen, ein Ende machen würde.

Bei diesen Worten verläßt Herr Vieillard mit Ungestüm seine Bank und
besteigt die Tribune. Er kommt, sagt er, eine heilige Pflicht zu erfüllen, indem
er einen Abwesenden, einen Freund vertheidigt. „Ich kenne den Bürger Bona¬
parte seit dreißig Jahren. Nachdem man ans ihm einen Deputirten wider seinen
Willen gemacht hat, gestaltet man ihn zum Prätendenten wider seinen Willen um.
Seine Wahl ist keine Konspiration, wie man glauben machen mochte, sondern eine
Protestation gegen die traurigen Erinnerungen von 18is." Und um seine Be¬
hauptungen um so besser zu bekräftigen, theilt Herr Vieillard der Versammlung
einen Brief Louis Bonaparte'S vom 11. Mai 18i8 mit. Der Brief lautet:
„Ich wollte nicht als Kandidat bei den Wahlen auftreten, weil ich überzeugt bin,
daß meine Stellung in der Nationalversammlung vcrlegcnhcitbriugcnd gewesen
wäre. Meine Antecedentien machen ans mir nicht einen Parteiführer, sondern
nothwendigerweise einen Mann, ans den die Blicke aller Unzufriedenen gerichtet
waren. So lange die französische Gesellschaft nicht eingerichtet, die Constitution
nicht festgesetzt ist, fühle ich, daß meine Stellung in Frankreich sehr schwierig
und selbst für euch gefährlich wäre. Ich habe daher den festen Entschluß gefaßt,
mich abseits zu halten, und allen Verführungen zu widerstehen, die ein Aufent¬
halt in meinem V.üerlande für mich haben kann. Wenn Frankreich meiner be¬
dürfte, wenn meine Rolle bezeichnet wäre, wenn ich endlich meinem Vaterlands
nützlich sein könnte, würde ich nicht zaudern, alle secundären Betrachtungen zu
beseitigen und meine Pflicht zu erfüllen; allein unter den gegenwärtigen Verhält¬
nissen kann ich zu Nichts gut sein, und ich wäre höchstens nnr ein Hinderniß;
ich werde daher noch einige Monate hier warten, bis die Angelegenheiten in
Frankreich eine ruhigere klarere Wendung nehmen werden. Ich weiß nicht, ob
Sie diesen meinen Entschluß tadeln werden, allein wenn Sie wüßten, was für
kaiserliche Anträge man mir selbst hier macht, würden Sie begreifen, um wie viel
mehr ich in Paris einer jeden Art von Intriguen ausgesetzt wäre. Ich mag
mich in nichts mengen, ich wünsche, die Republik sich an Weisheit und Recht
kräftigen zu sehen, und die willkürliche Verbannung ist mir indessen sehr lieb,
weil ich weiß, daß sie eine willkürliche ist."

Dieser Brief erzielte nicht die Wirkung aus die Nationalversammlung, die
man von ihm erwarten konnte. Wie ich bereits bemerkt habe, war die Rechte


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[0424] Prinz Louis Napoleon, der vor uns steht, es ist ein Prätendent, der zweimal den französischen Boden betreten hat, und die Waffen in der Hand sein Erbrecht zu beanspruchen kam, und auch heute noch begrüßen seine Anhänger seine Wahl durch den Ruf: Es lebe der Kaiser! Herr Buchez bemerkt zur Unterstützung seines Verdachtes, daß der Prinz die Republik noch nicht anerkannt habe' daß er auch noch kein einziges Wort gesprochen, das der Aufregung in den Straßen, der Zweideutigkeit seiner Stellung und der Perplexität derjenige» seiner Freunde, die ihn für aufrichtig hallen, ein Ende machen würde. Bei diesen Worten verläßt Herr Vieillard mit Ungestüm seine Bank und besteigt die Tribune. Er kommt, sagt er, eine heilige Pflicht zu erfüllen, indem er einen Abwesenden, einen Freund vertheidigt. „Ich kenne den Bürger Bona¬ parte seit dreißig Jahren. Nachdem man ans ihm einen Deputirten wider seinen Willen gemacht hat, gestaltet man ihn zum Prätendenten wider seinen Willen um. Seine Wahl ist keine Konspiration, wie man glauben machen mochte, sondern eine Protestation gegen die traurigen Erinnerungen von 18is." Und um seine Be¬ hauptungen um so besser zu bekräftigen, theilt Herr Vieillard der Versammlung einen Brief Louis Bonaparte'S vom 11. Mai 18i8 mit. Der Brief lautet: „Ich wollte nicht als Kandidat bei den Wahlen auftreten, weil ich überzeugt bin, daß meine Stellung in der Nationalversammlung vcrlegcnhcitbriugcnd gewesen wäre. Meine Antecedentien machen ans mir nicht einen Parteiführer, sondern nothwendigerweise einen Mann, ans den die Blicke aller Unzufriedenen gerichtet waren. So lange die französische Gesellschaft nicht eingerichtet, die Constitution nicht festgesetzt ist, fühle ich, daß meine Stellung in Frankreich sehr schwierig und selbst für euch gefährlich wäre. Ich habe daher den festen Entschluß gefaßt, mich abseits zu halten, und allen Verführungen zu widerstehen, die ein Aufent¬ halt in meinem V.üerlande für mich haben kann. Wenn Frankreich meiner be¬ dürfte, wenn meine Rolle bezeichnet wäre, wenn ich endlich meinem Vaterlands nützlich sein könnte, würde ich nicht zaudern, alle secundären Betrachtungen zu beseitigen und meine Pflicht zu erfüllen; allein unter den gegenwärtigen Verhält¬ nissen kann ich zu Nichts gut sein, und ich wäre höchstens nnr ein Hinderniß; ich werde daher noch einige Monate hier warten, bis die Angelegenheiten in Frankreich eine ruhigere klarere Wendung nehmen werden. Ich weiß nicht, ob Sie diesen meinen Entschluß tadeln werden, allein wenn Sie wüßten, was für kaiserliche Anträge man mir selbst hier macht, würden Sie begreifen, um wie viel mehr ich in Paris einer jeden Art von Intriguen ausgesetzt wäre. Ich mag mich in nichts mengen, ich wünsche, die Republik sich an Weisheit und Recht kräftigen zu sehen, und die willkürliche Verbannung ist mir indessen sehr lieb, weil ich weiß, daß sie eine willkürliche ist." Dieser Brief erzielte nicht die Wirkung aus die Nationalversammlung, die man von ihm erwarten konnte. Wie ich bereits bemerkt habe, war die Rechte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/424>, abgerufen am 29.12.2024.