Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

welche wir Ihnen am Schlüsse der Sitzung vorlesen wollten, und welche der gegen¬
wärtige Vorfall mich zwingt, Ihnen augenblicklich bekannt zu geben. Wenn die
Frechheit der Unruhestifter auf der That ertappt ist, die Hand im französischen
Blute, muß das Gesetz durch Zuruf augenommen werden.

Und hierauf liest Herr vou Lamartine, trotz der völligen Abwesenheit jeder
Sympathie, die er auf den Gesichtern lesen kann, trotz der Unterbrechungen und
Protestationen, die von allen Bänken her gemacht werden, den Text des folgen--
den Decrets:

"Der VollzichnugSausschuß erklärt, daß er in Betrachtucchme des Artikels
3 des Gesetzes vom 13. Januar -I81K, Louis Bonaparte betreffend das Gesetz
von 1832 in Vollzug bringen werde, bis zum Tage, wo die Nationalversammlung
ein anderes befiehlt."

Diese Mittheilung ruft allgemeine Mißbilligung hervor. Während der langen
Rede des Herrn von Lamartine hat man umständliche Erkundigungen eingezogen:
man weiß, daß nichts in seiner Erzählung genau sei; daß keine drei Schüsse ge¬
fallen waren, sondern ein einziger; und daß anstatt der Factionen deren Hand im
französischen Blute ertappt ist es sich blos um einen ungeschickten Nationalgardisten
handle, der sich selbst verwundet.

Durch das allgemeine Murren gezwungen, Erklärungen zu geben, verliert
Herr von Lamartine seine Fassung; er beschränkt sich nicht davon zu sprechen,
was in diesem Augenblicke Gegenstand aller Befürchtungen ist, er kommt neuer¬
dings ans die Vergangenheit zurück; er beschwört das verdrießliche Andenken des
-Is. Mai herauf; er glaubt, auf tausend Einzelnheiten eingehen zu müssen, um
sich vou jeder Theilnahme an jenem unglücklichen Tage loszusprechen; er sagt
endlich jenes berühmt gebliebene Wort: "Ich habe mich mit Blanaui, Sobricr,
Cabet, Barbös und Naispail verschworen! ich habe mich verschworen, ja, aber ich
habe es gethan, wie der Blitzableiter sich mit der Wolke verschwört, die den Blitz
in ihrem Schooße trägt."

Lachen und Murren sind die Autwort auf diese Metapher. Herr v. Lamar¬
tine begegnet nnn seinerseits den vorgefaßten Meinungen, die einst Louis Blanc
daselbst gefunden. Majorität und Minorität sind gegen ihn einverstanden. Die
Rechte zieht in ihrer kleinlichen rachsüchtige" Politik den Prätendenten Louis Bo¬
naparte dem Bürger Lamartine vor, und die Volksvertreter des Berges theilen
dieses Gefühl. Die Partei des Generals Cavaignac, die endlich sich zu zeigen
beginnt, will sich vor Allem des VollziehnngsauSschnsses entledigen.

Inmitten dieser allgemeinen Stimmung verräth die Nationalversammlung doch
noch einige menschliche Achtung, indem sie dem Ausschüsse ein Vertrauensvotum
giebt. Sie votirt die monatlichen Hunderttausend Franken, die man zur Deckung
der Bureanauslcigcn und für die geheimen Fonds verlangt. Allein man fühlt,
daß dieses das letzte einer Art von Mitleiden entrissene Zugeständniß sei, das


welche wir Ihnen am Schlüsse der Sitzung vorlesen wollten, und welche der gegen¬
wärtige Vorfall mich zwingt, Ihnen augenblicklich bekannt zu geben. Wenn die
Frechheit der Unruhestifter auf der That ertappt ist, die Hand im französischen
Blute, muß das Gesetz durch Zuruf augenommen werden.

Und hierauf liest Herr vou Lamartine, trotz der völligen Abwesenheit jeder
Sympathie, die er auf den Gesichtern lesen kann, trotz der Unterbrechungen und
Protestationen, die von allen Bänken her gemacht werden, den Text des folgen--
den Decrets:

„Der VollzichnugSausschuß erklärt, daß er in Betrachtucchme des Artikels
3 des Gesetzes vom 13. Januar -I81K, Louis Bonaparte betreffend das Gesetz
von 1832 in Vollzug bringen werde, bis zum Tage, wo die Nationalversammlung
ein anderes befiehlt."

Diese Mittheilung ruft allgemeine Mißbilligung hervor. Während der langen
Rede des Herrn von Lamartine hat man umständliche Erkundigungen eingezogen:
man weiß, daß nichts in seiner Erzählung genau sei; daß keine drei Schüsse ge¬
fallen waren, sondern ein einziger; und daß anstatt der Factionen deren Hand im
französischen Blute ertappt ist es sich blos um einen ungeschickten Nationalgardisten
handle, der sich selbst verwundet.

Durch das allgemeine Murren gezwungen, Erklärungen zu geben, verliert
Herr von Lamartine seine Fassung; er beschränkt sich nicht davon zu sprechen,
was in diesem Augenblicke Gegenstand aller Befürchtungen ist, er kommt neuer¬
dings ans die Vergangenheit zurück; er beschwört das verdrießliche Andenken des
-Is. Mai herauf; er glaubt, auf tausend Einzelnheiten eingehen zu müssen, um
sich vou jeder Theilnahme an jenem unglücklichen Tage loszusprechen; er sagt
endlich jenes berühmt gebliebene Wort: „Ich habe mich mit Blanaui, Sobricr,
Cabet, Barbös und Naispail verschworen! ich habe mich verschworen, ja, aber ich
habe es gethan, wie der Blitzableiter sich mit der Wolke verschwört, die den Blitz
in ihrem Schooße trägt."

Lachen und Murren sind die Autwort auf diese Metapher. Herr v. Lamar¬
tine begegnet nnn seinerseits den vorgefaßten Meinungen, die einst Louis Blanc
daselbst gefunden. Majorität und Minorität sind gegen ihn einverstanden. Die
Rechte zieht in ihrer kleinlichen rachsüchtige» Politik den Prätendenten Louis Bo¬
naparte dem Bürger Lamartine vor, und die Volksvertreter des Berges theilen
dieses Gefühl. Die Partei des Generals Cavaignac, die endlich sich zu zeigen
beginnt, will sich vor Allem des VollziehnngsauSschnsses entledigen.

Inmitten dieser allgemeinen Stimmung verräth die Nationalversammlung doch
noch einige menschliche Achtung, indem sie dem Ausschüsse ein Vertrauensvotum
giebt. Sie votirt die monatlichen Hunderttausend Franken, die man zur Deckung
der Bureanauslcigcn und für die geheimen Fonds verlangt. Allein man fühlt,
daß dieses das letzte einer Art von Mitleiden entrissene Zugeständniß sei, das


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0422" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186298"/>
          <p xml:id="ID_1299" prev="#ID_1298"> welche wir Ihnen am Schlüsse der Sitzung vorlesen wollten, und welche der gegen¬<lb/>
wärtige Vorfall mich zwingt, Ihnen augenblicklich bekannt zu geben. Wenn die<lb/>
Frechheit der Unruhestifter auf der That ertappt ist, die Hand im französischen<lb/>
Blute, muß das Gesetz durch Zuruf augenommen werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1300"> Und hierauf liest Herr vou Lamartine, trotz der völligen Abwesenheit jeder<lb/>
Sympathie, die er auf den Gesichtern lesen kann, trotz der Unterbrechungen und<lb/>
Protestationen, die von allen Bänken her gemacht werden, den Text des folgen--<lb/>
den Decrets:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1301"> &#x201E;Der VollzichnugSausschuß erklärt, daß er in Betrachtucchme des Artikels<lb/>
3 des Gesetzes vom 13. Januar -I81K, Louis Bonaparte betreffend das Gesetz<lb/>
von 1832 in Vollzug bringen werde, bis zum Tage, wo die Nationalversammlung<lb/>
ein anderes befiehlt."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1302"> Diese Mittheilung ruft allgemeine Mißbilligung hervor. Während der langen<lb/>
Rede des Herrn von Lamartine hat man umständliche Erkundigungen eingezogen:<lb/>
man weiß, daß nichts in seiner Erzählung genau sei; daß keine drei Schüsse ge¬<lb/>
fallen waren, sondern ein einziger; und daß anstatt der Factionen deren Hand im<lb/>
französischen Blute ertappt ist es sich blos um einen ungeschickten Nationalgardisten<lb/>
handle, der sich selbst verwundet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1303"> Durch das allgemeine Murren gezwungen, Erklärungen zu geben, verliert<lb/>
Herr von Lamartine seine Fassung; er beschränkt sich nicht davon zu sprechen,<lb/>
was in diesem Augenblicke Gegenstand aller Befürchtungen ist, er kommt neuer¬<lb/>
dings ans die Vergangenheit zurück; er beschwört das verdrießliche Andenken des<lb/>
-Is. Mai herauf; er glaubt, auf tausend Einzelnheiten eingehen zu müssen, um<lb/>
sich vou jeder Theilnahme an jenem unglücklichen Tage loszusprechen; er sagt<lb/>
endlich jenes berühmt gebliebene Wort: &#x201E;Ich habe mich mit Blanaui, Sobricr,<lb/>
Cabet, Barbös und Naispail verschworen! ich habe mich verschworen, ja, aber ich<lb/>
habe es gethan, wie der Blitzableiter sich mit der Wolke verschwört, die den Blitz<lb/>
in ihrem Schooße trägt."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1304"> Lachen und Murren sind die Autwort auf diese Metapher. Herr v. Lamar¬<lb/>
tine begegnet nnn seinerseits den vorgefaßten Meinungen, die einst Louis Blanc<lb/>
daselbst gefunden. Majorität und Minorität sind gegen ihn einverstanden. Die<lb/>
Rechte zieht in ihrer kleinlichen rachsüchtige» Politik den Prätendenten Louis Bo¬<lb/>
naparte dem Bürger Lamartine vor, und die Volksvertreter des Berges theilen<lb/>
dieses Gefühl. Die Partei des Generals Cavaignac, die endlich sich zu zeigen<lb/>
beginnt, will sich vor Allem des VollziehnngsauSschnsses entledigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1305" next="#ID_1306"> Inmitten dieser allgemeinen Stimmung verräth die Nationalversammlung doch<lb/>
noch einige menschliche Achtung, indem sie dem Ausschüsse ein Vertrauensvotum<lb/>
giebt. Sie votirt die monatlichen Hunderttausend Franken, die man zur Deckung<lb/>
der Bureanauslcigcn und für die geheimen Fonds verlangt. Allein man fühlt,<lb/>
daß dieses das letzte einer Art von Mitleiden entrissene Zugeständniß sei, das</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0422] welche wir Ihnen am Schlüsse der Sitzung vorlesen wollten, und welche der gegen¬ wärtige Vorfall mich zwingt, Ihnen augenblicklich bekannt zu geben. Wenn die Frechheit der Unruhestifter auf der That ertappt ist, die Hand im französischen Blute, muß das Gesetz durch Zuruf augenommen werden. Und hierauf liest Herr vou Lamartine, trotz der völligen Abwesenheit jeder Sympathie, die er auf den Gesichtern lesen kann, trotz der Unterbrechungen und Protestationen, die von allen Bänken her gemacht werden, den Text des folgen-- den Decrets: „Der VollzichnugSausschuß erklärt, daß er in Betrachtucchme des Artikels 3 des Gesetzes vom 13. Januar -I81K, Louis Bonaparte betreffend das Gesetz von 1832 in Vollzug bringen werde, bis zum Tage, wo die Nationalversammlung ein anderes befiehlt." Diese Mittheilung ruft allgemeine Mißbilligung hervor. Während der langen Rede des Herrn von Lamartine hat man umständliche Erkundigungen eingezogen: man weiß, daß nichts in seiner Erzählung genau sei; daß keine drei Schüsse ge¬ fallen waren, sondern ein einziger; und daß anstatt der Factionen deren Hand im französischen Blute ertappt ist es sich blos um einen ungeschickten Nationalgardisten handle, der sich selbst verwundet. Durch das allgemeine Murren gezwungen, Erklärungen zu geben, verliert Herr von Lamartine seine Fassung; er beschränkt sich nicht davon zu sprechen, was in diesem Augenblicke Gegenstand aller Befürchtungen ist, er kommt neuer¬ dings ans die Vergangenheit zurück; er beschwört das verdrießliche Andenken des -Is. Mai herauf; er glaubt, auf tausend Einzelnheiten eingehen zu müssen, um sich vou jeder Theilnahme an jenem unglücklichen Tage loszusprechen; er sagt endlich jenes berühmt gebliebene Wort: „Ich habe mich mit Blanaui, Sobricr, Cabet, Barbös und Naispail verschworen! ich habe mich verschworen, ja, aber ich habe es gethan, wie der Blitzableiter sich mit der Wolke verschwört, die den Blitz in ihrem Schooße trägt." Lachen und Murren sind die Autwort auf diese Metapher. Herr v. Lamar¬ tine begegnet nnn seinerseits den vorgefaßten Meinungen, die einst Louis Blanc daselbst gefunden. Majorität und Minorität sind gegen ihn einverstanden. Die Rechte zieht in ihrer kleinlichen rachsüchtige» Politik den Prätendenten Louis Bo¬ naparte dem Bürger Lamartine vor, und die Volksvertreter des Berges theilen dieses Gefühl. Die Partei des Generals Cavaignac, die endlich sich zu zeigen beginnt, will sich vor Allem des VollziehnngsauSschnsses entledigen. Inmitten dieser allgemeinen Stimmung verräth die Nationalversammlung doch noch einige menschliche Achtung, indem sie dem Ausschüsse ein Vertrauensvotum giebt. Sie votirt die monatlichen Hunderttausend Franken, die man zur Deckung der Bureanauslcigcn und für die geheimen Fonds verlangt. Allein man fühlt, daß dieses das letzte einer Art von Mitleiden entrissene Zugeständniß sei, das

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/422
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/422>, abgerufen am 29.12.2024.