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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Fast zwei Monate später, nach meinem im Vorgehenden berichteten Aufent¬
halt, mußte ich noch einmal nach Luxemburg reisen. Wieder nahm ich meinen
Weg über Trier, und wieder kam ich aus der Privatpost mit dem schweigsamen
Condnctcur zusammen. Da ich diesmal der einzige Passagier war, so saßen
wir zusammen im Cabriolet und fuhren, ohne während der sechsstündigen Reise
eine einzige Silbe mit einander zu wechseln, an einem nebeligen Nvvembermvrgen
unseres Wegs. Das Hotel de Cologne nahm mich abermals auf, und ich erhielt
ein Zimmer, genau von der Größe und Ausstattung meines vorigen; hatte ich
das erste Mal dieses prolctariermäßige Logis mit Ergebung ertragen, so lehnte
ich mich jetzt jedoch energisch dagegen ans, da es trotz der rauhen Jahres¬
zeit nicht heizbar war. Man wies mir hierauf ein anderes an, das bei sonst ent¬
sprechenden Bequemlichkeiten sich durch den Besitz eines eisernen Ofens, der un¬
gefähr den Umfang eines großen Topfes hatte, vor jenem hervorthat. Wenn
ich die Zeit, welche ich darin zubrachte, beharrlich darauf verwandte, die drei
mageren Scheite Holz, welche gleichzeitig im Ofen Platz fanden, zu erneuern, so ge¬
lang es mir nach und nach eine Temperatur zu erzeuge", in der wenigstens mein
Bart uicht durch allerlei zarte Figuren gefrorenen Hauches arabcskenhaft ver¬
ziert wurde.

L. befand sich gerade im glänzendsten Strom seiner politischen und gesell¬
schaftlichen Saison. Die Kammer war seit ein paar Wochen zusammengetreten,
und der Prinz Heinrich der Niederlande, Bruder des Königs und Statthalter
des Großherzogthums, welcher sie eröffnet hatte, verweilte noch daselbst und gab
durch seiue Anwesenheit Veranlassung zu verschiedenen Festlichkeiten. Es ist hier
vielleicht um so mehr der Ort, Etwas über die politischen Zustände L.'ö zu be¬
merken, als dieselben eine in mancher Hinsicht erfreuliche Anomalie unter den jetzt
in Deutschland herrschenden bilden.

Die jetzige Verfassung L.'ö datirt aus dem Jahre 18i8. Sie ersetzte ein
an öffentlichen Freiheiten ziemlich karges Statut, welches dem Lande nach seiner
Abtrennung vou Belgien, dem es gewissermaßen provisorisch nach der Septembcr-
revolntion zugefallen war, vom König der Niederlande octroyirt wurde. Ans
dieser früheren Zeit mag nnr bemerkt werden, daß Anfangs der vierziger Jahre
Herr Hassenpflug auf seinen ministeriellen Kreuz- und Querzügen auch hier eine
Zeitlang Minister war, und daß, wenn er keine Gelegenheit fand, Spuren seiner
Anwesenheit zu hinterlassen, wie sie Kurhessen wol noch ans Generationen em¬
pfinden wird, doch die Rückerinnerung an diesen Vertreter christlich-germanischer
Staatskunst den Gefühlen entspricht, die er überall anderswo hervorgerufen hat.
Die Märzrevolution verhalf Luxemburg, wie vielen andern deutschen Staaten, zu
einer neuen, höchst liberalen Verfassung, die bis jetzt vor ihren ehemaligen Kol¬
legen den erfreulichem Vorzug hat, sich behauptet zu haben. Das Großherzog-
thum ist gegenwärtig der einzige Staat in Deutschland, der eine "parlamentarische"


Fast zwei Monate später, nach meinem im Vorgehenden berichteten Aufent¬
halt, mußte ich noch einmal nach Luxemburg reisen. Wieder nahm ich meinen
Weg über Trier, und wieder kam ich aus der Privatpost mit dem schweigsamen
Condnctcur zusammen. Da ich diesmal der einzige Passagier war, so saßen
wir zusammen im Cabriolet und fuhren, ohne während der sechsstündigen Reise
eine einzige Silbe mit einander zu wechseln, an einem nebeligen Nvvembermvrgen
unseres Wegs. Das Hotel de Cologne nahm mich abermals auf, und ich erhielt
ein Zimmer, genau von der Größe und Ausstattung meines vorigen; hatte ich
das erste Mal dieses prolctariermäßige Logis mit Ergebung ertragen, so lehnte
ich mich jetzt jedoch energisch dagegen ans, da es trotz der rauhen Jahres¬
zeit nicht heizbar war. Man wies mir hierauf ein anderes an, das bei sonst ent¬
sprechenden Bequemlichkeiten sich durch den Besitz eines eisernen Ofens, der un¬
gefähr den Umfang eines großen Topfes hatte, vor jenem hervorthat. Wenn
ich die Zeit, welche ich darin zubrachte, beharrlich darauf verwandte, die drei
mageren Scheite Holz, welche gleichzeitig im Ofen Platz fanden, zu erneuern, so ge¬
lang es mir nach und nach eine Temperatur zu erzeuge», in der wenigstens mein
Bart uicht durch allerlei zarte Figuren gefrorenen Hauches arabcskenhaft ver¬
ziert wurde.

L. befand sich gerade im glänzendsten Strom seiner politischen und gesell¬
schaftlichen Saison. Die Kammer war seit ein paar Wochen zusammengetreten,
und der Prinz Heinrich der Niederlande, Bruder des Königs und Statthalter
des Großherzogthums, welcher sie eröffnet hatte, verweilte noch daselbst und gab
durch seiue Anwesenheit Veranlassung zu verschiedenen Festlichkeiten. Es ist hier
vielleicht um so mehr der Ort, Etwas über die politischen Zustände L.'ö zu be¬
merken, als dieselben eine in mancher Hinsicht erfreuliche Anomalie unter den jetzt
in Deutschland herrschenden bilden.

Die jetzige Verfassung L.'ö datirt aus dem Jahre 18i8. Sie ersetzte ein
an öffentlichen Freiheiten ziemlich karges Statut, welches dem Lande nach seiner
Abtrennung vou Belgien, dem es gewissermaßen provisorisch nach der Septembcr-
revolntion zugefallen war, vom König der Niederlande octroyirt wurde. Ans
dieser früheren Zeit mag nnr bemerkt werden, daß Anfangs der vierziger Jahre
Herr Hassenpflug auf seinen ministeriellen Kreuz- und Querzügen auch hier eine
Zeitlang Minister war, und daß, wenn er keine Gelegenheit fand, Spuren seiner
Anwesenheit zu hinterlassen, wie sie Kurhessen wol noch ans Generationen em¬
pfinden wird, doch die Rückerinnerung an diesen Vertreter christlich-germanischer
Staatskunst den Gefühlen entspricht, die er überall anderswo hervorgerufen hat.
Die Märzrevolution verhalf Luxemburg, wie vielen andern deutschen Staaten, zu
einer neuen, höchst liberalen Verfassung, die bis jetzt vor ihren ehemaligen Kol¬
legen den erfreulichem Vorzug hat, sich behauptet zu haben. Das Großherzog-
thum ist gegenwärtig der einzige Staat in Deutschland, der eine „parlamentarische"


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[0415] Fast zwei Monate später, nach meinem im Vorgehenden berichteten Aufent¬ halt, mußte ich noch einmal nach Luxemburg reisen. Wieder nahm ich meinen Weg über Trier, und wieder kam ich aus der Privatpost mit dem schweigsamen Condnctcur zusammen. Da ich diesmal der einzige Passagier war, so saßen wir zusammen im Cabriolet und fuhren, ohne während der sechsstündigen Reise eine einzige Silbe mit einander zu wechseln, an einem nebeligen Nvvembermvrgen unseres Wegs. Das Hotel de Cologne nahm mich abermals auf, und ich erhielt ein Zimmer, genau von der Größe und Ausstattung meines vorigen; hatte ich das erste Mal dieses prolctariermäßige Logis mit Ergebung ertragen, so lehnte ich mich jetzt jedoch energisch dagegen ans, da es trotz der rauhen Jahres¬ zeit nicht heizbar war. Man wies mir hierauf ein anderes an, das bei sonst ent¬ sprechenden Bequemlichkeiten sich durch den Besitz eines eisernen Ofens, der un¬ gefähr den Umfang eines großen Topfes hatte, vor jenem hervorthat. Wenn ich die Zeit, welche ich darin zubrachte, beharrlich darauf verwandte, die drei mageren Scheite Holz, welche gleichzeitig im Ofen Platz fanden, zu erneuern, so ge¬ lang es mir nach und nach eine Temperatur zu erzeuge», in der wenigstens mein Bart uicht durch allerlei zarte Figuren gefrorenen Hauches arabcskenhaft ver¬ ziert wurde. L. befand sich gerade im glänzendsten Strom seiner politischen und gesell¬ schaftlichen Saison. Die Kammer war seit ein paar Wochen zusammengetreten, und der Prinz Heinrich der Niederlande, Bruder des Königs und Statthalter des Großherzogthums, welcher sie eröffnet hatte, verweilte noch daselbst und gab durch seiue Anwesenheit Veranlassung zu verschiedenen Festlichkeiten. Es ist hier vielleicht um so mehr der Ort, Etwas über die politischen Zustände L.'ö zu be¬ merken, als dieselben eine in mancher Hinsicht erfreuliche Anomalie unter den jetzt in Deutschland herrschenden bilden. Die jetzige Verfassung L.'ö datirt aus dem Jahre 18i8. Sie ersetzte ein an öffentlichen Freiheiten ziemlich karges Statut, welches dem Lande nach seiner Abtrennung vou Belgien, dem es gewissermaßen provisorisch nach der Septembcr- revolntion zugefallen war, vom König der Niederlande octroyirt wurde. Ans dieser früheren Zeit mag nnr bemerkt werden, daß Anfangs der vierziger Jahre Herr Hassenpflug auf seinen ministeriellen Kreuz- und Querzügen auch hier eine Zeitlang Minister war, und daß, wenn er keine Gelegenheit fand, Spuren seiner Anwesenheit zu hinterlassen, wie sie Kurhessen wol noch ans Generationen em¬ pfinden wird, doch die Rückerinnerung an diesen Vertreter christlich-germanischer Staatskunst den Gefühlen entspricht, die er überall anderswo hervorgerufen hat. Die Märzrevolution verhalf Luxemburg, wie vielen andern deutschen Staaten, zu einer neuen, höchst liberalen Verfassung, die bis jetzt vor ihren ehemaligen Kol¬ legen den erfreulichem Vorzug hat, sich behauptet zu haben. Das Großherzog- thum ist gegenwärtig der einzige Staat in Deutschland, der eine „parlamentarische"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/415>, abgerufen am 24.07.2024.