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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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seitdem noch "in Vieles kritischer geworden. Die Angelegenheit Montenegros
tritt als ein neuer Komplex noch weit brennenderer Fragepuukte und zwar nicht
nur zwischen Oestreich und der Pforte, sondern auch zwischen Rußland und dieser
hin. Die beiden Großmächte haben sich nämlich wunderbar schnell zu einer
Politik geeinigt, von der jetzt erst geahnet werden kann, was ihre letzten Ziel¬
punkte sind, die aber bereits seit einem Monat mit gewichtvoller Einstimmigkeit
sich hierorts geltend macht.

Am vorletzten Sonntag (30. Januar) langte Graf Leiningen als k. k. außer¬
ordentlicher östreichischer Gesandterund bevollmächtigter Minister ans einem besonders
von Trieft abgefertigten Dampfschiff hier an. Wie man glaubt, überbrachte er nichts
Anderes als ein Ultimatum mit Frist bis zum März. Dieser Zeitraum war
bereits um Neujahr mit Bezug auf die vorerwähnten Fragen gestellt und ist
beibehalten worden. Indeß scheinen die Aufträge des Grafen Leiningen auch noch
darauf hinauszulaufen, für den Augenblick die Einstellung der Feindseligkeiten gegen
Montenegro und zwar kategorisch zu verlangen; -- die Pforte wird sich nicht fügen.

. Dazwischen rüstet die Pforte zu Wasser und zu Lande. Mau hat im Divan
die Ueberzeugung nicht aufgegeben, daß England und Frankreich ein gemein¬
sames Agiren Oestreichs und Rußlands nimmer gestatte" würden, und die Ver¬
treter jener Mächte scheinen dieser Meinung bedingungsweise beigepflichtet zu
haben. Die nächsten Wochen müssen eine Entscheidung bringen.


Der Verfassungskampf in Spanien.

- Der Ausfall der Wahlen
in ganz Spanien liegt jetzt vor, und hat dem Ministerium eine Majorität ge¬
geben, die die sanguinischsten Erwartungen seiner Anhänger noch übersteigt. Nach
den Berechnungen der Oppositionszcitnngcn selbst habe" die vereinigten Parteien
der oppositionellen Moderadvö und Progressisten nur etwa 80 Abgeordnete durch¬
gesetzt, vou denen zwei Drittel etwa moderirt, ein Drittel progressivst!) ist. Die
Progressisten namentlich haben starke Verluste erlitten, und mehrere ihrer hervor¬
ragendsten Leiter, worunter z. B. Olozaga, sehen sich von den Cortes ausgeschlossen.
Die gewaltige Phalanx von 230 Al'geordneten (die Wahlen der Balearen und
Canarischen Juselu sind noch nicht bekannt) wird als ministeriell bezeichnet. In
Madrid, das eine große Menge abhängiger Beamten und Peusiouaire unter seinen
Wählern zählt, unterlagen sämmtliche Oppositionöcandidateu, in deu Provinzen
siegten sie dagegen in den meisten größeren Städte", wie z. B. Barcelona,
Valencia, Sevilla ?c. N"r Saragossa, sonst eifrig progresflstisch, wurde seiner
alten Fahne ungetreu, und wählte sogar Bravo Murillo, der durch den ganzen
Einfluß der Negierung unterstützt wurde. Ueberhaupt haben nach allen Nach¬
richten die gouvernementalen Wahlumtriebe und Willkürlichkeiten jedes Maß über¬
schritten, und die ärgsten Vorgänge, an denen Spanien wahrlich nicht arm ist,
überboten. Auf dem platten Lande und in deu kleine" Städten, deren Bevölkerung


seitdem noch „in Vieles kritischer geworden. Die Angelegenheit Montenegros
tritt als ein neuer Komplex noch weit brennenderer Fragepuukte und zwar nicht
nur zwischen Oestreich und der Pforte, sondern auch zwischen Rußland und dieser
hin. Die beiden Großmächte haben sich nämlich wunderbar schnell zu einer
Politik geeinigt, von der jetzt erst geahnet werden kann, was ihre letzten Ziel¬
punkte sind, die aber bereits seit einem Monat mit gewichtvoller Einstimmigkeit
sich hierorts geltend macht.

Am vorletzten Sonntag (30. Januar) langte Graf Leiningen als k. k. außer¬
ordentlicher östreichischer Gesandterund bevollmächtigter Minister ans einem besonders
von Trieft abgefertigten Dampfschiff hier an. Wie man glaubt, überbrachte er nichts
Anderes als ein Ultimatum mit Frist bis zum März. Dieser Zeitraum war
bereits um Neujahr mit Bezug auf die vorerwähnten Fragen gestellt und ist
beibehalten worden. Indeß scheinen die Aufträge des Grafen Leiningen auch noch
darauf hinauszulaufen, für den Augenblick die Einstellung der Feindseligkeiten gegen
Montenegro und zwar kategorisch zu verlangen; — die Pforte wird sich nicht fügen.

. Dazwischen rüstet die Pforte zu Wasser und zu Lande. Mau hat im Divan
die Ueberzeugung nicht aufgegeben, daß England und Frankreich ein gemein¬
sames Agiren Oestreichs und Rußlands nimmer gestatte» würden, und die Ver¬
treter jener Mächte scheinen dieser Meinung bedingungsweise beigepflichtet zu
haben. Die nächsten Wochen müssen eine Entscheidung bringen.


Der Verfassungskampf in Spanien.

- Der Ausfall der Wahlen
in ganz Spanien liegt jetzt vor, und hat dem Ministerium eine Majorität ge¬
geben, die die sanguinischsten Erwartungen seiner Anhänger noch übersteigt. Nach
den Berechnungen der Oppositionszcitnngcn selbst habe» die vereinigten Parteien
der oppositionellen Moderadvö und Progressisten nur etwa 80 Abgeordnete durch¬
gesetzt, vou denen zwei Drittel etwa moderirt, ein Drittel progressivst!) ist. Die
Progressisten namentlich haben starke Verluste erlitten, und mehrere ihrer hervor¬
ragendsten Leiter, worunter z. B. Olozaga, sehen sich von den Cortes ausgeschlossen.
Die gewaltige Phalanx von 230 Al'geordneten (die Wahlen der Balearen und
Canarischen Juselu sind noch nicht bekannt) wird als ministeriell bezeichnet. In
Madrid, das eine große Menge abhängiger Beamten und Peusiouaire unter seinen
Wählern zählt, unterlagen sämmtliche Oppositionöcandidateu, in deu Provinzen
siegten sie dagegen in den meisten größeren Städte», wie z. B. Barcelona,
Valencia, Sevilla ?c. N»r Saragossa, sonst eifrig progresflstisch, wurde seiner
alten Fahne ungetreu, und wählte sogar Bravo Murillo, der durch den ganzen
Einfluß der Negierung unterstützt wurde. Ueberhaupt haben nach allen Nach¬
richten die gouvernementalen Wahlumtriebe und Willkürlichkeiten jedes Maß über¬
schritten, und die ärgsten Vorgänge, an denen Spanien wahrlich nicht arm ist,
überboten. Auf dem platten Lande und in deu kleine» Städten, deren Bevölkerung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/399>, abgerufen am 04.07.2024.