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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Stellung - besitzt einen unbeugsamen, der kaiserlichen Schwägerschaft cutstauinic"-
deu Hochmuth als erste Eigenschaft. Im nebligen ist er ohne Kenntnisse, die
elementarsten politischen nicht ausgenommen, und am mindesten befähigt, die
Stellung des Reiches, seine Lage im Innern und namentlich nach Außen hin
nur annähernd richtig zu erwägen und aufzufassen. Ein solcher Manu, der
die abenteuerlichsten Begriffe über die Ausdehnung und Intensivität der türkischen
Macht in sich trägt, vermochte am wenigsten der Vertreter einer nachgiebigen und
versöhnlichen Politik zu werden, welche gleichwol unter deu bestehenden Ver¬
hältnissen die einzig zulässige zu sein scheint. Im Gegentheil kounte sei"
"System" von keinem andern Princip getragen sein, als von dem der rücksichts¬
losen Gewalt. Er hat dieselbe in Syrien zur Anwendung gebracht, und die
Folge ist gewesen, daß der vorige Chef der türkischen Armee von Ardestau
letztlich den insnrgirten Drüsen das Feld räumen mußte. I" Montenegro ist er
noch weit strenger, mit einer ganz besonderen und exemplarischer Nichtberücksich-
tigung auswärtigen Interesses eingeschritten, und dieser letztere Act hat gleich¬
zeitig nicht nnr die zwischen der Pforte und Oestreich bestehenden Differenzen
vergrößert, sondern anch Nußland zum Einnehmen einer drohenden Position
veranlaßt.

Der Unfriede mit Oestreich ist alt und schreibt sich vom Ende des Jahres
1859 her, wie Jedermann weiß. Aber er hat mehrere Phase", und die, in
welche er jüngst eingetreten, ist von der allcrbedentimgSvollsten Natur. Eine
völlige Aufklärung der Entwickelung, welche die Angelegenheit bis dahin genom¬
men, kann erst von der Zukunft erwartet werden; indeß ist so viel gewiß, daß
Seitens des Wiener Cabinets die Ansprüche nach und nach gesteigert wurden,
und gegen deu Schluß des letztverflossenen Jahres in der allerpositivste"
Form auf die Hanptfvrdcrnngöpuukte hinauslaufen, vou denen andere Plätter
(Erklärung des albanesischen Seeplatzes Durazzo zum Freihafen, Beanspruchung
ausgedehnterer Garantien für die Christen in Bosnien, Einwandcrnugsrecht
für östreichische Unterthanen) bereits berichteten, unter denen aber der eine,
welcher das Einwandcrnngsrccht östreichischer Unterthanen und die Erwerbung
von Grundbesitz auf türkischem Gebiet in Anspruch nimmt, von ganz außerordent¬
licher Tragweite ist. Gelingt es Oestreich, in dieser letztem Frage seine" Willen
durchzusetzen, "ut wie die Dinge liegen, so darf man erwarte", daß es zu
diesem Zwecke vor keiner Consequenz znrückbcbe" werde, so ist damit die orien¬
talische Frage für die fernere Zukunft gelöst, die abendländische Cultur er¬
greift Besitz vom türkischen Reiche, und das Haus Habsburg erringt an Ein¬
fluß um das Zehnfache im Orient, was andere Mächte im Laufe des Jahr¬
hunderts sich angeeignet.

Wie drohend sich indeß die Differenz immerhin um Neujahr bereits gestaltete,
so ist sie, in Folge der Vorgänge am Fuße der "schwarzen Berge" dennoch


Stellung - besitzt einen unbeugsamen, der kaiserlichen Schwägerschaft cutstauinic»-
deu Hochmuth als erste Eigenschaft. Im nebligen ist er ohne Kenntnisse, die
elementarsten politischen nicht ausgenommen, und am mindesten befähigt, die
Stellung des Reiches, seine Lage im Innern und namentlich nach Außen hin
nur annähernd richtig zu erwägen und aufzufassen. Ein solcher Manu, der
die abenteuerlichsten Begriffe über die Ausdehnung und Intensivität der türkischen
Macht in sich trägt, vermochte am wenigsten der Vertreter einer nachgiebigen und
versöhnlichen Politik zu werden, welche gleichwol unter deu bestehenden Ver¬
hältnissen die einzig zulässige zu sein scheint. Im Gegentheil kounte sei»
„System" von keinem andern Princip getragen sein, als von dem der rücksichts¬
losen Gewalt. Er hat dieselbe in Syrien zur Anwendung gebracht, und die
Folge ist gewesen, daß der vorige Chef der türkischen Armee von Ardestau
letztlich den insnrgirten Drüsen das Feld räumen mußte. I» Montenegro ist er
noch weit strenger, mit einer ganz besonderen und exemplarischer Nichtberücksich-
tigung auswärtigen Interesses eingeschritten, und dieser letztere Act hat gleich¬
zeitig nicht nnr die zwischen der Pforte und Oestreich bestehenden Differenzen
vergrößert, sondern anch Nußland zum Einnehmen einer drohenden Position
veranlaßt.

Der Unfriede mit Oestreich ist alt und schreibt sich vom Ende des Jahres
1859 her, wie Jedermann weiß. Aber er hat mehrere Phase», und die, in
welche er jüngst eingetreten, ist von der allcrbedentimgSvollsten Natur. Eine
völlige Aufklärung der Entwickelung, welche die Angelegenheit bis dahin genom¬
men, kann erst von der Zukunft erwartet werden; indeß ist so viel gewiß, daß
Seitens des Wiener Cabinets die Ansprüche nach und nach gesteigert wurden,
und gegen deu Schluß des letztverflossenen Jahres in der allerpositivste»
Form auf die Hanptfvrdcrnngöpuukte hinauslaufen, vou denen andere Plätter
(Erklärung des albanesischen Seeplatzes Durazzo zum Freihafen, Beanspruchung
ausgedehnterer Garantien für die Christen in Bosnien, Einwandcrnugsrecht
für östreichische Unterthanen) bereits berichteten, unter denen aber der eine,
welcher das Einwandcrnngsrccht östreichischer Unterthanen und die Erwerbung
von Grundbesitz auf türkischem Gebiet in Anspruch nimmt, von ganz außerordent¬
licher Tragweite ist. Gelingt es Oestreich, in dieser letztem Frage seine» Willen
durchzusetzen, »ut wie die Dinge liegen, so darf man erwarte», daß es zu
diesem Zwecke vor keiner Consequenz znrückbcbe» werde, so ist damit die orien¬
talische Frage für die fernere Zukunft gelöst, die abendländische Cultur er¬
greift Besitz vom türkischen Reiche, und das Haus Habsburg erringt an Ein¬
fluß um das Zehnfache im Orient, was andere Mächte im Laufe des Jahr¬
hunderts sich angeeignet.

Wie drohend sich indeß die Differenz immerhin um Neujahr bereits gestaltete,
so ist sie, in Folge der Vorgänge am Fuße der „schwarzen Berge" dennoch


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[0398] Stellung - besitzt einen unbeugsamen, der kaiserlichen Schwägerschaft cutstauinic»- deu Hochmuth als erste Eigenschaft. Im nebligen ist er ohne Kenntnisse, die elementarsten politischen nicht ausgenommen, und am mindesten befähigt, die Stellung des Reiches, seine Lage im Innern und namentlich nach Außen hin nur annähernd richtig zu erwägen und aufzufassen. Ein solcher Manu, der die abenteuerlichsten Begriffe über die Ausdehnung und Intensivität der türkischen Macht in sich trägt, vermochte am wenigsten der Vertreter einer nachgiebigen und versöhnlichen Politik zu werden, welche gleichwol unter deu bestehenden Ver¬ hältnissen die einzig zulässige zu sein scheint. Im Gegentheil kounte sei» „System" von keinem andern Princip getragen sein, als von dem der rücksichts¬ losen Gewalt. Er hat dieselbe in Syrien zur Anwendung gebracht, und die Folge ist gewesen, daß der vorige Chef der türkischen Armee von Ardestau letztlich den insnrgirten Drüsen das Feld räumen mußte. I» Montenegro ist er noch weit strenger, mit einer ganz besonderen und exemplarischer Nichtberücksich- tigung auswärtigen Interesses eingeschritten, und dieser letztere Act hat gleich¬ zeitig nicht nnr die zwischen der Pforte und Oestreich bestehenden Differenzen vergrößert, sondern anch Nußland zum Einnehmen einer drohenden Position veranlaßt. Der Unfriede mit Oestreich ist alt und schreibt sich vom Ende des Jahres 1859 her, wie Jedermann weiß. Aber er hat mehrere Phase», und die, in welche er jüngst eingetreten, ist von der allcrbedentimgSvollsten Natur. Eine völlige Aufklärung der Entwickelung, welche die Angelegenheit bis dahin genom¬ men, kann erst von der Zukunft erwartet werden; indeß ist so viel gewiß, daß Seitens des Wiener Cabinets die Ansprüche nach und nach gesteigert wurden, und gegen deu Schluß des letztverflossenen Jahres in der allerpositivste» Form auf die Hanptfvrdcrnngöpuukte hinauslaufen, vou denen andere Plätter (Erklärung des albanesischen Seeplatzes Durazzo zum Freihafen, Beanspruchung ausgedehnterer Garantien für die Christen in Bosnien, Einwandcrnugsrecht für östreichische Unterthanen) bereits berichteten, unter denen aber der eine, welcher das Einwandcrnngsrccht östreichischer Unterthanen und die Erwerbung von Grundbesitz auf türkischem Gebiet in Anspruch nimmt, von ganz außerordent¬ licher Tragweite ist. Gelingt es Oestreich, in dieser letztem Frage seine» Willen durchzusetzen, »ut wie die Dinge liegen, so darf man erwarte», daß es zu diesem Zwecke vor keiner Consequenz znrückbcbe» werde, so ist damit die orien¬ talische Frage für die fernere Zukunft gelöst, die abendländische Cultur er¬ greift Besitz vom türkischen Reiche, und das Haus Habsburg erringt an Ein¬ fluß um das Zehnfache im Orient, was andere Mächte im Laufe des Jahr¬ hunderts sich angeeignet. Wie drohend sich indeß die Differenz immerhin um Neujahr bereits gestaltete, so ist sie, in Folge der Vorgänge am Fuße der „schwarzen Berge" dennoch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/398>, abgerufen am 24.07.2024.