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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Macht eines Namens, die ihm so fatal dünkte, vor seinen Augen plötzlich ans
dem Schoße einer kannt gebildeten Demokratie emporschießen sah, beschloß er sie
ohne Verlust eines Augenblicks zuerst in der gesetzgebenden Versammlung und
dann, .wenn es sein muß, in deu Straßen zu bekämpfen.

Sollte die Demokratie einen Augenblick schwanken können zwischen einer
Volkstümlichkeit, welche eine Folge der schönsten Gaben des Genies ist, großer
der Sache der Freiheit so eben geleisteter Dienste und zwischen den Erinnerungen
eiuer schou in die Ferne gerückte" Zeit/ zwischen einem geliebten Bürger geehrt
von Allen, und einem dem Lande ganz unbekannten Präreudeutcn, zwischen dem
Manne, den Alles den Washington Frankreichs nannte und dem Neffen des
Kaisers? Der Geist, das Herz des Volkes konnten sie ""schlüssig sein? Herr
von Lamartine hoffte wenigstens mit gleichen Waffen zu kämpfe".

Er hatte sich getäuscht. Diese begeisterte Volkstümlichkeit, die ihm eine
fast unumschränkte Souverainetät der öffentlichen Meinung am 25. Februar in
so gerechter und vollkommener Weise zuerkannte, war bereits von ihm gewichen,
er ließ sie zu Gründe gehen, indem er es nicht verstand, sie zu seinen Zwecken
zu benutzen. Seine Eigenschaften so gut wie seine Fehler, die Natur seines
Genies eben so wie die Beschaffenheit seines Charakters machten ihn gleich un-
fähig z"in Beherrscher der Meinung. Allmächtig sie zu verführen, wußte er es nicht
ihr Nahrung zu geben. Er, der Alles errieth, war nicht im Stande, irgend
Etwas auszuführen. Er besaß nicht das Talent der Anwendung, nicht den Geist
der Folgerichtigkeit, welcher deu gestrigen Tag mit dem heutigen und diesen mit dem
morgigen verbindend die öffentlichen Angelegenheiten ohne auffallenden Glanz, aber
mit sicherer Hand leitet; dieses Talent, er würde es verschmäht haben. Die
Menschen studiren und kenne", um sie sür seine Zwecke zu gebrauchen, wäre ihm
als kleinliche Sache erschiene". Seine politische" Co"ceptioue" wäre" übrigens
zu groß, seine Ausleben" zu ideal, um gehörig unter einander combinirt wer¬
den, sich auf einen bestimmten Plan beschränken zu können. So erkannte er zum
Beispiel sehr wohl, und war einer der Ersten es auszusprechen, daß es Aufgabe
des neunzehnten Jahrhunderts sei, die Demokratie zu organisiren; aber was
dringend zu thun gewesen wäre, um den wirtlichen Bedürfnissen des Volkes
Genüge zu leisten, das wußte er nicht, das suchte er auch nicht einmal.
Eben so betrachtete er es als eine leichte Pflicht für die französische Republik,
den unterdrückten Nationen Europas ohne angreifende" Krieg ihre U"abhä"gig-
keit z" verschaffen; allein von dem Maße, welches man den Regierungen gegen¬
über beobachten mußte, um zum Ziele zu gelangen, von jenem Geschick in
Handhabung des moralischen Einflusses, der um so nothwendiger gewesen wäre,
als man nicht zur materiellen Kraft Zuflucht nehmen wollte, schien er nicht die
kleinste Idee zu besitzen.

Sein nachlässiger Optimismus, seine durch unerhörte Triumphe bestrickte


Macht eines Namens, die ihm so fatal dünkte, vor seinen Augen plötzlich ans
dem Schoße einer kannt gebildeten Demokratie emporschießen sah, beschloß er sie
ohne Verlust eines Augenblicks zuerst in der gesetzgebenden Versammlung und
dann, .wenn es sein muß, in deu Straßen zu bekämpfen.

Sollte die Demokratie einen Augenblick schwanken können zwischen einer
Volkstümlichkeit, welche eine Folge der schönsten Gaben des Genies ist, großer
der Sache der Freiheit so eben geleisteter Dienste und zwischen den Erinnerungen
eiuer schou in die Ferne gerückte» Zeit/ zwischen einem geliebten Bürger geehrt
von Allen, und einem dem Lande ganz unbekannten Präreudeutcn, zwischen dem
Manne, den Alles den Washington Frankreichs nannte und dem Neffen des
Kaisers? Der Geist, das Herz des Volkes konnten sie »»schlüssig sein? Herr
von Lamartine hoffte wenigstens mit gleichen Waffen zu kämpfe».

Er hatte sich getäuscht. Diese begeisterte Volkstümlichkeit, die ihm eine
fast unumschränkte Souverainetät der öffentlichen Meinung am 25. Februar in
so gerechter und vollkommener Weise zuerkannte, war bereits von ihm gewichen,
er ließ sie zu Gründe gehen, indem er es nicht verstand, sie zu seinen Zwecken
zu benutzen. Seine Eigenschaften so gut wie seine Fehler, die Natur seines
Genies eben so wie die Beschaffenheit seines Charakters machten ihn gleich un-
fähig z»in Beherrscher der Meinung. Allmächtig sie zu verführen, wußte er es nicht
ihr Nahrung zu geben. Er, der Alles errieth, war nicht im Stande, irgend
Etwas auszuführen. Er besaß nicht das Talent der Anwendung, nicht den Geist
der Folgerichtigkeit, welcher deu gestrigen Tag mit dem heutigen und diesen mit dem
morgigen verbindend die öffentlichen Angelegenheiten ohne auffallenden Glanz, aber
mit sicherer Hand leitet; dieses Talent, er würde es verschmäht haben. Die
Menschen studiren und kenne», um sie sür seine Zwecke zu gebrauchen, wäre ihm
als kleinliche Sache erschiene». Seine politische» Co»ceptioue» wäre» übrigens
zu groß, seine Ausleben» zu ideal, um gehörig unter einander combinirt wer¬
den, sich auf einen bestimmten Plan beschränken zu können. So erkannte er zum
Beispiel sehr wohl, und war einer der Ersten es auszusprechen, daß es Aufgabe
des neunzehnten Jahrhunderts sei, die Demokratie zu organisiren; aber was
dringend zu thun gewesen wäre, um den wirtlichen Bedürfnissen des Volkes
Genüge zu leisten, das wußte er nicht, das suchte er auch nicht einmal.
Eben so betrachtete er es als eine leichte Pflicht für die französische Republik,
den unterdrückten Nationen Europas ohne angreifende» Krieg ihre U»abhä»gig-
keit z» verschaffen; allein von dem Maße, welches man den Regierungen gegen¬
über beobachten mußte, um zum Ziele zu gelangen, von jenem Geschick in
Handhabung des moralischen Einflusses, der um so nothwendiger gewesen wäre,
als man nicht zur materiellen Kraft Zuflucht nehmen wollte, schien er nicht die
kleinste Idee zu besitzen.

Sein nachlässiger Optimismus, seine durch unerhörte Triumphe bestrickte


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[0388] Macht eines Namens, die ihm so fatal dünkte, vor seinen Augen plötzlich ans dem Schoße einer kannt gebildeten Demokratie emporschießen sah, beschloß er sie ohne Verlust eines Augenblicks zuerst in der gesetzgebenden Versammlung und dann, .wenn es sein muß, in deu Straßen zu bekämpfen. Sollte die Demokratie einen Augenblick schwanken können zwischen einer Volkstümlichkeit, welche eine Folge der schönsten Gaben des Genies ist, großer der Sache der Freiheit so eben geleisteter Dienste und zwischen den Erinnerungen eiuer schou in die Ferne gerückte» Zeit/ zwischen einem geliebten Bürger geehrt von Allen, und einem dem Lande ganz unbekannten Präreudeutcn, zwischen dem Manne, den Alles den Washington Frankreichs nannte und dem Neffen des Kaisers? Der Geist, das Herz des Volkes konnten sie »»schlüssig sein? Herr von Lamartine hoffte wenigstens mit gleichen Waffen zu kämpfe». Er hatte sich getäuscht. Diese begeisterte Volkstümlichkeit, die ihm eine fast unumschränkte Souverainetät der öffentlichen Meinung am 25. Februar in so gerechter und vollkommener Weise zuerkannte, war bereits von ihm gewichen, er ließ sie zu Gründe gehen, indem er es nicht verstand, sie zu seinen Zwecken zu benutzen. Seine Eigenschaften so gut wie seine Fehler, die Natur seines Genies eben so wie die Beschaffenheit seines Charakters machten ihn gleich un- fähig z»in Beherrscher der Meinung. Allmächtig sie zu verführen, wußte er es nicht ihr Nahrung zu geben. Er, der Alles errieth, war nicht im Stande, irgend Etwas auszuführen. Er besaß nicht das Talent der Anwendung, nicht den Geist der Folgerichtigkeit, welcher deu gestrigen Tag mit dem heutigen und diesen mit dem morgigen verbindend die öffentlichen Angelegenheiten ohne auffallenden Glanz, aber mit sicherer Hand leitet; dieses Talent, er würde es verschmäht haben. Die Menschen studiren und kenne», um sie sür seine Zwecke zu gebrauchen, wäre ihm als kleinliche Sache erschiene». Seine politische» Co»ceptioue» wäre» übrigens zu groß, seine Ausleben» zu ideal, um gehörig unter einander combinirt wer¬ den, sich auf einen bestimmten Plan beschränken zu können. So erkannte er zum Beispiel sehr wohl, und war einer der Ersten es auszusprechen, daß es Aufgabe des neunzehnten Jahrhunderts sei, die Demokratie zu organisiren; aber was dringend zu thun gewesen wäre, um den wirtlichen Bedürfnissen des Volkes Genüge zu leisten, das wußte er nicht, das suchte er auch nicht einmal. Eben so betrachtete er es als eine leichte Pflicht für die französische Republik, den unterdrückten Nationen Europas ohne angreifende» Krieg ihre U»abhä»gig- keit z» verschaffen; allein von dem Maße, welches man den Regierungen gegen¬ über beobachten mußte, um zum Ziele zu gelangen, von jenem Geschick in Handhabung des moralischen Einflusses, der um so nothwendiger gewesen wäre, als man nicht zur materiellen Kraft Zuflucht nehmen wollte, schien er nicht die kleinste Idee zu besitzen. Sein nachlässiger Optimismus, seine durch unerhörte Triumphe bestrickte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/388>, abgerufen am 24.07.2024.