Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Draperie gelten soll, wie bei den besten französischen und belgischen Meistern
so häufig der Fall. Ich habe schon gesagt, daß die Farbe untergeordnet, zum
Theil sehr schlecht ist, der Größe und dem edeln Charakter der Formen
ost noch mehr Einrrag thut, als die schwache Mvdellirnug, indeß hat sich dieser
Fehler später bedeutend verbessert, und manche Werke lassen in dieser Beziehung
Wenig zu wünschen übrig. --

Die totale Verbannung des wahlloser Naturalismus, welcher die Stärke und
Schwäche der französischen und belgischen Schule ausmacht, hatte öfters noch eine
andere Folge, die der Popularisirung der Schule bedeutend geschadet hat, die
Vernachlässigung der Individualisirung, die man besonders den weniger bedeuten-
den Meistern und Schülern der Richtung mit Recht vorwirft. Man begnügte
sich, Gattuugsiuenscheu zu schaffen, die schwer aus einen bestimmten Boden zu
stellen sind, und denen daher auch ein guter Theil Interesse und Lebenskraft fehlt;
indeß ist dies keineswegs immer der Fall, sondern man trifft anch oft die
glückliche Auffassung des Individuellen mit der Fähigkeit vereint, es zu seinem
eigenen Ideal zu erhöhen, wie sie sich bei Ghirlandajo oder Leonardo in glänzen¬
der Vollendung zeigt. --

Die Lust am Didaktischen, an oft frostigen Allegorien, bei dem tendenziösen
Charakter der Deutschen überhaupt natürlich, ist anch bei der Malerschule hervor¬
getreten, als Folge jenes Idealismus, der den Styl schuf und Alles, auch das
Gemeinste zu vergeistigen, zu beherrsche" strebt, und deshalb immer sucht, das
unmittelbar Vorgestellte aus einem höher", oft ganz abstracten Gedanken herzu¬
leiten oder diesen in der Seele des Beschauers hervorzurufen. -- Wir wolle"
überall deuten, wir begnügen uns mir selten mit dem Fühlen, es führte dies
allerdings bisweilen zu Darstellungen, bei denen absolut gar nichts mehr zu
empfinden war. --

Ein weiterer Charakterzug wie der Nation, so der Schule ist der, bei allem
Streben nach dem Großen doch wieder auch das Kleinste mit Sorgfalt zu er¬
fassen und eine daraus entspringende, oft dem Bedeutendsten schädliche Aufmerk¬
samkeit für die Ausführung des Geringen, wie sie schon bei den alten deutsche"
Künstlern hervortritt, auch ihnen oft die Totalwirkuug zerstört und den Charakter
der Kleinlichkeit ausdrückt, zugleich aber durch den Anblick der großen Liebe
immer wohlthätig erwärmt. -- Eine eigentlich breite Behandlung, eine befriedigen¬
de, ruhige Totalwirkuug ist deshalb besonders im Anfang seltner errunge" wor¬
den. -- Immer aber bleiben selbst den schwächern Werken der Schule noch Ernst, Liebe,
Idealität, ja selbst oft schwungvolle Auffassung und großartiges Streben eigen, wie
oft auch die Ausführung diese Tendenzen nur uuvollkvimueu zur Erscheinung zu
bringen vermag; so daß die Schule in letzterer bis jetzt weder ihre eigene" Vor¬
gänger Van Eyk, Dürer und Holbein, noch viel weniger die großen italienische"
erreicht hat. An Beide finden sich allerlei Anknüpfungspunkte, die ich aber besser


Draperie gelten soll, wie bei den besten französischen und belgischen Meistern
so häufig der Fall. Ich habe schon gesagt, daß die Farbe untergeordnet, zum
Theil sehr schlecht ist, der Größe und dem edeln Charakter der Formen
ost noch mehr Einrrag thut, als die schwache Mvdellirnug, indeß hat sich dieser
Fehler später bedeutend verbessert, und manche Werke lassen in dieser Beziehung
Wenig zu wünschen übrig. —

Die totale Verbannung des wahlloser Naturalismus, welcher die Stärke und
Schwäche der französischen und belgischen Schule ausmacht, hatte öfters noch eine
andere Folge, die der Popularisirung der Schule bedeutend geschadet hat, die
Vernachlässigung der Individualisirung, die man besonders den weniger bedeuten-
den Meistern und Schülern der Richtung mit Recht vorwirft. Man begnügte
sich, Gattuugsiuenscheu zu schaffen, die schwer aus einen bestimmten Boden zu
stellen sind, und denen daher auch ein guter Theil Interesse und Lebenskraft fehlt;
indeß ist dies keineswegs immer der Fall, sondern man trifft anch oft die
glückliche Auffassung des Individuellen mit der Fähigkeit vereint, es zu seinem
eigenen Ideal zu erhöhen, wie sie sich bei Ghirlandajo oder Leonardo in glänzen¬
der Vollendung zeigt. —

Die Lust am Didaktischen, an oft frostigen Allegorien, bei dem tendenziösen
Charakter der Deutschen überhaupt natürlich, ist anch bei der Malerschule hervor¬
getreten, als Folge jenes Idealismus, der den Styl schuf und Alles, auch das
Gemeinste zu vergeistigen, zu beherrsche» strebt, und deshalb immer sucht, das
unmittelbar Vorgestellte aus einem höher», oft ganz abstracten Gedanken herzu¬
leiten oder diesen in der Seele des Beschauers hervorzurufen. — Wir wolle»
überall deuten, wir begnügen uns mir selten mit dem Fühlen, es führte dies
allerdings bisweilen zu Darstellungen, bei denen absolut gar nichts mehr zu
empfinden war. —

Ein weiterer Charakterzug wie der Nation, so der Schule ist der, bei allem
Streben nach dem Großen doch wieder auch das Kleinste mit Sorgfalt zu er¬
fassen und eine daraus entspringende, oft dem Bedeutendsten schädliche Aufmerk¬
samkeit für die Ausführung des Geringen, wie sie schon bei den alten deutsche»
Künstlern hervortritt, auch ihnen oft die Totalwirkuug zerstört und den Charakter
der Kleinlichkeit ausdrückt, zugleich aber durch den Anblick der großen Liebe
immer wohlthätig erwärmt. — Eine eigentlich breite Behandlung, eine befriedigen¬
de, ruhige Totalwirkuug ist deshalb besonders im Anfang seltner errunge» wor¬
den. — Immer aber bleiben selbst den schwächern Werken der Schule noch Ernst, Liebe,
Idealität, ja selbst oft schwungvolle Auffassung und großartiges Streben eigen, wie
oft auch die Ausführung diese Tendenzen nur uuvollkvimueu zur Erscheinung zu
bringen vermag; so daß die Schule in letzterer bis jetzt weder ihre eigene» Vor¬
gänger Van Eyk, Dürer und Holbein, noch viel weniger die großen italienische»
erreicht hat. An Beide finden sich allerlei Anknüpfungspunkte, die ich aber besser


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0378" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186254"/>
            <p xml:id="ID_1158" prev="#ID_1157"> Draperie gelten soll, wie bei den besten französischen und belgischen Meistern<lb/>
so häufig der Fall. Ich habe schon gesagt, daß die Farbe untergeordnet, zum<lb/>
Theil sehr schlecht ist, der Größe und dem edeln Charakter der Formen<lb/>
ost noch mehr Einrrag thut, als die schwache Mvdellirnug, indeß hat sich dieser<lb/>
Fehler später bedeutend verbessert, und manche Werke lassen in dieser Beziehung<lb/>
Wenig zu wünschen übrig. &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1159"> Die totale Verbannung des wahlloser Naturalismus, welcher die Stärke und<lb/>
Schwäche der französischen und belgischen Schule ausmacht, hatte öfters noch eine<lb/>
andere Folge, die der Popularisirung der Schule bedeutend geschadet hat, die<lb/>
Vernachlässigung der Individualisirung, die man besonders den weniger bedeuten-<lb/>
den Meistern und Schülern der Richtung mit Recht vorwirft. Man begnügte<lb/>
sich, Gattuugsiuenscheu zu schaffen, die schwer aus einen bestimmten Boden zu<lb/>
stellen sind, und denen daher auch ein guter Theil Interesse und Lebenskraft fehlt;<lb/>
indeß ist dies keineswegs immer der Fall, sondern man trifft anch oft die<lb/>
glückliche Auffassung des Individuellen mit der Fähigkeit vereint, es zu seinem<lb/>
eigenen Ideal zu erhöhen, wie sie sich bei Ghirlandajo oder Leonardo in glänzen¬<lb/>
der Vollendung zeigt. &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1160"> Die Lust am Didaktischen, an oft frostigen Allegorien, bei dem tendenziösen<lb/>
Charakter der Deutschen überhaupt natürlich, ist anch bei der Malerschule hervor¬<lb/>
getreten, als Folge jenes Idealismus, der den Styl schuf und Alles, auch das<lb/>
Gemeinste zu vergeistigen, zu beherrsche» strebt, und deshalb immer sucht, das<lb/>
unmittelbar Vorgestellte aus einem höher», oft ganz abstracten Gedanken herzu¬<lb/>
leiten oder diesen in der Seele des Beschauers hervorzurufen. &#x2014; Wir wolle»<lb/>
überall deuten, wir begnügen uns mir selten mit dem Fühlen, es führte dies<lb/>
allerdings bisweilen zu Darstellungen, bei denen absolut gar nichts mehr zu<lb/>
empfinden war. &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1161" next="#ID_1162"> Ein weiterer Charakterzug wie der Nation, so der Schule ist der, bei allem<lb/>
Streben nach dem Großen doch wieder auch das Kleinste mit Sorgfalt zu er¬<lb/>
fassen und eine daraus entspringende, oft dem Bedeutendsten schädliche Aufmerk¬<lb/>
samkeit für die Ausführung des Geringen, wie sie schon bei den alten deutsche»<lb/>
Künstlern hervortritt, auch ihnen oft die Totalwirkuug zerstört und den Charakter<lb/>
der Kleinlichkeit ausdrückt, zugleich aber durch den Anblick der großen Liebe<lb/>
immer wohlthätig erwärmt. &#x2014; Eine eigentlich breite Behandlung, eine befriedigen¬<lb/>
de, ruhige Totalwirkuug ist deshalb besonders im Anfang seltner errunge» wor¬<lb/>
den. &#x2014; Immer aber bleiben selbst den schwächern Werken der Schule noch Ernst, Liebe,<lb/>
Idealität, ja selbst oft schwungvolle Auffassung und großartiges Streben eigen, wie<lb/>
oft auch die Ausführung diese Tendenzen nur uuvollkvimueu zur Erscheinung zu<lb/>
bringen vermag; so daß die Schule in letzterer bis jetzt weder ihre eigene» Vor¬<lb/>
gänger Van Eyk, Dürer und Holbein, noch viel weniger die großen italienische»<lb/>
erreicht hat. An Beide finden sich allerlei Anknüpfungspunkte, die ich aber besser</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0378] Draperie gelten soll, wie bei den besten französischen und belgischen Meistern so häufig der Fall. Ich habe schon gesagt, daß die Farbe untergeordnet, zum Theil sehr schlecht ist, der Größe und dem edeln Charakter der Formen ost noch mehr Einrrag thut, als die schwache Mvdellirnug, indeß hat sich dieser Fehler später bedeutend verbessert, und manche Werke lassen in dieser Beziehung Wenig zu wünschen übrig. — Die totale Verbannung des wahlloser Naturalismus, welcher die Stärke und Schwäche der französischen und belgischen Schule ausmacht, hatte öfters noch eine andere Folge, die der Popularisirung der Schule bedeutend geschadet hat, die Vernachlässigung der Individualisirung, die man besonders den weniger bedeuten- den Meistern und Schülern der Richtung mit Recht vorwirft. Man begnügte sich, Gattuugsiuenscheu zu schaffen, die schwer aus einen bestimmten Boden zu stellen sind, und denen daher auch ein guter Theil Interesse und Lebenskraft fehlt; indeß ist dies keineswegs immer der Fall, sondern man trifft anch oft die glückliche Auffassung des Individuellen mit der Fähigkeit vereint, es zu seinem eigenen Ideal zu erhöhen, wie sie sich bei Ghirlandajo oder Leonardo in glänzen¬ der Vollendung zeigt. — Die Lust am Didaktischen, an oft frostigen Allegorien, bei dem tendenziösen Charakter der Deutschen überhaupt natürlich, ist anch bei der Malerschule hervor¬ getreten, als Folge jenes Idealismus, der den Styl schuf und Alles, auch das Gemeinste zu vergeistigen, zu beherrsche» strebt, und deshalb immer sucht, das unmittelbar Vorgestellte aus einem höher», oft ganz abstracten Gedanken herzu¬ leiten oder diesen in der Seele des Beschauers hervorzurufen. — Wir wolle» überall deuten, wir begnügen uns mir selten mit dem Fühlen, es führte dies allerdings bisweilen zu Darstellungen, bei denen absolut gar nichts mehr zu empfinden war. — Ein weiterer Charakterzug wie der Nation, so der Schule ist der, bei allem Streben nach dem Großen doch wieder auch das Kleinste mit Sorgfalt zu er¬ fassen und eine daraus entspringende, oft dem Bedeutendsten schädliche Aufmerk¬ samkeit für die Ausführung des Geringen, wie sie schon bei den alten deutsche» Künstlern hervortritt, auch ihnen oft die Totalwirkuug zerstört und den Charakter der Kleinlichkeit ausdrückt, zugleich aber durch den Anblick der großen Liebe immer wohlthätig erwärmt. — Eine eigentlich breite Behandlung, eine befriedigen¬ de, ruhige Totalwirkuug ist deshalb besonders im Anfang seltner errunge» wor¬ den. — Immer aber bleiben selbst den schwächern Werken der Schule noch Ernst, Liebe, Idealität, ja selbst oft schwungvolle Auffassung und großartiges Streben eigen, wie oft auch die Ausführung diese Tendenzen nur uuvollkvimueu zur Erscheinung zu bringen vermag; so daß die Schule in letzterer bis jetzt weder ihre eigene» Vor¬ gänger Van Eyk, Dürer und Holbein, noch viel weniger die großen italienische» erreicht hat. An Beide finden sich allerlei Anknüpfungspunkte, die ich aber besser

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/378
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/378>, abgerufen am 24.07.2024.