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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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sondern mit dem kneten Schmerz eines gefühlvollen Menschen, der an seinen
eigenen Gefühlen irre geworden ist. Allein ein gewisser Sinn liegt doch in jener
Bezeichnung. Die früheren Romanschreiber stellten uns gewöhnlich ideale Bilder
von schonen, guten, erhabenen und starken Menschen ans, die entweder mit den
Ränken der Bösen, oder mit den Zufälligkeiten des Wcltlanfö zu kämpfen hatten,
für deren Persönlichkeit wir also ein unmittelbares lebendiges Interesse mitbrachten,
ohne daß sie sich erst die Mühe geben durften, uns dieses Interesse abzugewinnen.
Die demokratische Richtung unserer Zeit hat sich um auch auf die Poesie geworfen,
und diesen Idealismus zurückgedrängt. Der neue Roman geht darauf aus, auch
scheinbar unbedeutenden, von der Natur nicht begünstigten Menschen die interes¬
sante Seite abzugewinnen, und ihnen ein Bürgerrecht in der Kunst zu geben.
Früher waren namentlich die Frauen in sämmtlichen Romanen vollkommene Engel
an Schönheit und Liebreiz, sie konnten ohne Umstände in jedes Modejournal auf¬
genommen werden. Heut zu Tage wird der Leser genöthigt, an anscheinend hä߬
lichen Gesichtern allmählich tiefe Spuren geistiger Schönheit aufzuspüren -- in
dieser Kunst ist namentlich Balzac Meister, -- oder sich mich mit einem gewissen
christlichen Mitleiden solcher Gesichter anzunehmen, die in der That häßlich und
unbedeutend sind. Mit dieser Jdealisirung des Unbedeutenden hängt ganz noth¬
wendig das Bestreben zusammen, das Bedeutende auf eine Weise zu analysiren,
daß der Unterschied nicht so übertrieben groß ist.' Allein es kommt allerdings
darauf an, welche von diesen beiden Seiten vorzugsweise hervorgehoben wird.
Thackeray ist bereits ein Mann in den reiferen Jahren, er hat seine Jugendzeit
in dem Strudel der üppigen seinen Welt zugebracht, und nicht der innere poeti¬
sche Drang, sondern die Noth hat ihn in die Reihe der Schriftsteller geführt.
Als er seinen ersten Roman schrieb, war er bereits im Leben von den Illusionen
seiner Jugend zurückgekommen, und darum liegt in seinem Realismus eine gewisse
Bitterkeit. Bei Miß Bronte ist das Umgekehrte der Fall. Wir wissen zwar
von ihrem Leben nichts weiter, wir werden aber wol kaum Unrecht thun, wenn
wir annehmen, daß sie in ihrer immer wieder austretenden Lieblingsfigur wenigstens
theilweise Reminiscenzen ans ihrem eignen Leben dargestellt hat. Ein weibliches
Wesen, dem das Schicksal von Anfang an nicht sehr günstig entgegen trat, die
aber allmählich durch geistige Energie und durch unverdrossene Anstrengung einen
ehrenvollen Platz im Leben zu erringen wußte, sieht zwar die Welt nicht mit den
Augen einer Ideal-Dichterin an, aber doch mit einem gewissen Behagen n"d
Selbstgefühl. Wenn wir daher auch in diesem Roman öfter Spuren von jener
melancholischen Färbung antreffen, die ihr an Thackeray so reizend erschien, s"
durchschaue" wir leicht die künstliche Nachbildung; eigentlich hat die Dichterin
immer Freude am Leben, Glauben an das Gute, und Kraft, mit den Wider¬
wärtigkeiten, wie mit den Schwächen und Irrthümern zu ringen, ohne darin
unterzugehen.


sondern mit dem kneten Schmerz eines gefühlvollen Menschen, der an seinen
eigenen Gefühlen irre geworden ist. Allein ein gewisser Sinn liegt doch in jener
Bezeichnung. Die früheren Romanschreiber stellten uns gewöhnlich ideale Bilder
von schonen, guten, erhabenen und starken Menschen ans, die entweder mit den
Ränken der Bösen, oder mit den Zufälligkeiten des Wcltlanfö zu kämpfen hatten,
für deren Persönlichkeit wir also ein unmittelbares lebendiges Interesse mitbrachten,
ohne daß sie sich erst die Mühe geben durften, uns dieses Interesse abzugewinnen.
Die demokratische Richtung unserer Zeit hat sich um auch auf die Poesie geworfen,
und diesen Idealismus zurückgedrängt. Der neue Roman geht darauf aus, auch
scheinbar unbedeutenden, von der Natur nicht begünstigten Menschen die interes¬
sante Seite abzugewinnen, und ihnen ein Bürgerrecht in der Kunst zu geben.
Früher waren namentlich die Frauen in sämmtlichen Romanen vollkommene Engel
an Schönheit und Liebreiz, sie konnten ohne Umstände in jedes Modejournal auf¬
genommen werden. Heut zu Tage wird der Leser genöthigt, an anscheinend hä߬
lichen Gesichtern allmählich tiefe Spuren geistiger Schönheit aufzuspüren — in
dieser Kunst ist namentlich Balzac Meister, — oder sich mich mit einem gewissen
christlichen Mitleiden solcher Gesichter anzunehmen, die in der That häßlich und
unbedeutend sind. Mit dieser Jdealisirung des Unbedeutenden hängt ganz noth¬
wendig das Bestreben zusammen, das Bedeutende auf eine Weise zu analysiren,
daß der Unterschied nicht so übertrieben groß ist.' Allein es kommt allerdings
darauf an, welche von diesen beiden Seiten vorzugsweise hervorgehoben wird.
Thackeray ist bereits ein Mann in den reiferen Jahren, er hat seine Jugendzeit
in dem Strudel der üppigen seinen Welt zugebracht, und nicht der innere poeti¬
sche Drang, sondern die Noth hat ihn in die Reihe der Schriftsteller geführt.
Als er seinen ersten Roman schrieb, war er bereits im Leben von den Illusionen
seiner Jugend zurückgekommen, und darum liegt in seinem Realismus eine gewisse
Bitterkeit. Bei Miß Bronte ist das Umgekehrte der Fall. Wir wissen zwar
von ihrem Leben nichts weiter, wir werden aber wol kaum Unrecht thun, wenn
wir annehmen, daß sie in ihrer immer wieder austretenden Lieblingsfigur wenigstens
theilweise Reminiscenzen ans ihrem eignen Leben dargestellt hat. Ein weibliches
Wesen, dem das Schicksal von Anfang an nicht sehr günstig entgegen trat, die
aber allmählich durch geistige Energie und durch unverdrossene Anstrengung einen
ehrenvollen Platz im Leben zu erringen wußte, sieht zwar die Welt nicht mit den
Augen einer Ideal-Dichterin an, aber doch mit einem gewissen Behagen n»d
Selbstgefühl. Wenn wir daher auch in diesem Roman öfter Spuren von jener
melancholischen Färbung antreffen, die ihr an Thackeray so reizend erschien, s»
durchschaue» wir leicht die künstliche Nachbildung; eigentlich hat die Dichterin
immer Freude am Leben, Glauben an das Gute, und Kraft, mit den Wider¬
wärtigkeiten, wie mit den Schwächen und Irrthümern zu ringen, ohne darin
unterzugehen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/370>, abgerufen am 28.12.2024.