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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Zauber umsieht dieses Mädchen. Wen" sie, scheinbar eiskalt, vor die dichtgedrängte
Versammlung tritt, nnr einmal den ernsten Blick ihres Anges ans die lauschende Menge
richtet, und dann ihr Spiel voll tiefer Melancholie beginnt, wenn sie die wehmüthigsten
Melodien, die den Hörern das Herz zusammenschnüren, und die lustigsten Passagen
scheinbar mit demselben Gleichmuth vorträgt, und wenn sie dem unendlichen Beifall
mit demselben Ernst, ohne Lächeln dankt, so fühlen mir mit Behagen über uns die
Macht einer räthselhaften, aber anziehenden Persönlichkeit. Nur wenn sie ihrer Geige
die Töne einer Hirtenflöte entlockt, schwebt ein Lächeln über ihre Züge, als freute sie
sich dieser anmuthigen Spielerei; anch die Variationen zur Melodie des alten Rbcin-
weinlicdes "Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsere Reben," scheint sie mit besondern!
Vergnügen vorzutragen. Jedenfalls ein schöner Zug von Uneigennützigkeit, der ihr die
Herzen aller ältlichen und jüngeren Herren gewonnen hat. Und kurz, sie hat Berlin
und auch Ihren Corrcsp. entzückt.

Robert Schumann wird im Monat März mit seiner Gattin Clara nach Leipzig
kommen, um aus dem Theater seine Musik zu Byron's Manfred zur Aufführung zu
bringen. Die große Ballade "der Königssohn" sür Chor und Orchester erscheint hier
bei Whistling und ist im Stich fast vollendet; auch sie wird noch im Lause dieser
Saison hier aufgeführt werden.

Der Anhalt-Dessauische Staatsanzeiger veröffentlicht bei der Gelegenheit des 67.
Geburtstags von Friedrich Schneider ein RcsuiM seiner Thätigkeit. Erstens
leitete er seit 1821 außerhalb Dessau 66 Musikfeste und Aufführungen. Zweitens
schrieb er die bedeutende" Werke "Elementarbuch der Tonsetzkunst", "Elcmcntarübungen
im Gesänge und Pianofortespiel". "Vorschule der Musik", "Handbuch des Organisten".
Gedruckte Werke im Ganzen 103. Drittens componirte er 23 Sinfonien, 60 So¬
naten, 20 Ouvertüren, 16 Oratorien (Weltgericht, Sündfluth. das Verlorne Paradies,
Pharao, Absalon, Gideon. Gethsemane und Golgatha ze.) 15 Messen, 28 Hymnen,
Kantaten und Psalmen, 609 Lieder. Wenig bekannt sind seine 7 Opern, darunter:
"Claudine von Villa Bella" und "Atom's Entzauberung" (gegeben 1808 in Leipzig).


Literatur. Eine Schilderung Wieland's von Mozart.

Die Grenzboten
haben kürzlich den naiven Bericht von Gyrvwctz über sein Zusammensein mit Goethe
mitgetheilt, es dürfte in mehr als einer Beziehung Interesse haben, damit zusammen-
zustellen, wie Mozart sich über sein persönliches Zusammentreffen mit Wieland äußert.

Wieland's Oper Rosamunde, von Schweißer, wie er glaubte, ganz vortrefflich
gesetzt Mozart's Urtheil lautet etwas anders --, sollte im Januar 1778 in Mann¬
heim auf dem churfürstlichcn Hoftheater aufgeführt werden, und der Dichter war ein¬
geladen, persönlich dabei gegenwärtig zu sein. Er entschloß sich zu dieser Reise: "Denn
ich will und muß," schreibt er an Merck, "einmal in meinem Leben mich recht an Musik
crsättigcn, und wann oder wo werd' ich jemals dazu bessere Gelegenheit finden?"
Den 21. December kam er in Mannheim an und schrieb wenige Tage darauf an
denselben Freund: "Ich kann Euch jetzt noch nichts Weiteres sagen, als daß ich mich
zu Leib und Seele wohl befinde, und eben dadurch, daß ich keine andere Rolle spiele
als meine eigene, meine Sachen, wie mich däucht, und wie es wenigstens scheint, recht
gut mache. Vierzehn Tage, längstens 3 Wochen, wird's herrlich gehen, und mehr
verlangen wir ja nicht. Eure Weissagungen oder Ahnungen von dem Eindruck, den


Zauber umsieht dieses Mädchen. Wen» sie, scheinbar eiskalt, vor die dichtgedrängte
Versammlung tritt, nnr einmal den ernsten Blick ihres Anges ans die lauschende Menge
richtet, und dann ihr Spiel voll tiefer Melancholie beginnt, wenn sie die wehmüthigsten
Melodien, die den Hörern das Herz zusammenschnüren, und die lustigsten Passagen
scheinbar mit demselben Gleichmuth vorträgt, und wenn sie dem unendlichen Beifall
mit demselben Ernst, ohne Lächeln dankt, so fühlen mir mit Behagen über uns die
Macht einer räthselhaften, aber anziehenden Persönlichkeit. Nur wenn sie ihrer Geige
die Töne einer Hirtenflöte entlockt, schwebt ein Lächeln über ihre Züge, als freute sie
sich dieser anmuthigen Spielerei; anch die Variationen zur Melodie des alten Rbcin-
weinlicdes „Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsere Reben," scheint sie mit besondern!
Vergnügen vorzutragen. Jedenfalls ein schöner Zug von Uneigennützigkeit, der ihr die
Herzen aller ältlichen und jüngeren Herren gewonnen hat. Und kurz, sie hat Berlin
und auch Ihren Corrcsp. entzückt.

Robert Schumann wird im Monat März mit seiner Gattin Clara nach Leipzig
kommen, um aus dem Theater seine Musik zu Byron's Manfred zur Aufführung zu
bringen. Die große Ballade „der Königssohn" sür Chor und Orchester erscheint hier
bei Whistling und ist im Stich fast vollendet; auch sie wird noch im Lause dieser
Saison hier aufgeführt werden.

Der Anhalt-Dessauische Staatsanzeiger veröffentlicht bei der Gelegenheit des 67.
Geburtstags von Friedrich Schneider ein RcsuiM seiner Thätigkeit. Erstens
leitete er seit 1821 außerhalb Dessau 66 Musikfeste und Aufführungen. Zweitens
schrieb er die bedeutende» Werke „Elementarbuch der Tonsetzkunst", „Elcmcntarübungen
im Gesänge und Pianofortespiel". „Vorschule der Musik", „Handbuch des Organisten".
Gedruckte Werke im Ganzen 103. Drittens componirte er 23 Sinfonien, 60 So¬
naten, 20 Ouvertüren, 16 Oratorien (Weltgericht, Sündfluth. das Verlorne Paradies,
Pharao, Absalon, Gideon. Gethsemane und Golgatha ze.) 15 Messen, 28 Hymnen,
Kantaten und Psalmen, 609 Lieder. Wenig bekannt sind seine 7 Opern, darunter:
„Claudine von Villa Bella" und „Atom's Entzauberung" (gegeben 1808 in Leipzig).


Literatur. Eine Schilderung Wieland's von Mozart.

Die Grenzboten
haben kürzlich den naiven Bericht von Gyrvwctz über sein Zusammensein mit Goethe
mitgetheilt, es dürfte in mehr als einer Beziehung Interesse haben, damit zusammen-
zustellen, wie Mozart sich über sein persönliches Zusammentreffen mit Wieland äußert.

Wieland's Oper Rosamunde, von Schweißer, wie er glaubte, ganz vortrefflich
gesetzt Mozart's Urtheil lautet etwas anders —, sollte im Januar 1778 in Mann¬
heim auf dem churfürstlichcn Hoftheater aufgeführt werden, und der Dichter war ein¬
geladen, persönlich dabei gegenwärtig zu sein. Er entschloß sich zu dieser Reise: „Denn
ich will und muß," schreibt er an Merck, „einmal in meinem Leben mich recht an Musik
crsättigcn, und wann oder wo werd' ich jemals dazu bessere Gelegenheit finden?"
Den 21. December kam er in Mannheim an und schrieb wenige Tage darauf an
denselben Freund: „Ich kann Euch jetzt noch nichts Weiteres sagen, als daß ich mich
zu Leib und Seele wohl befinde, und eben dadurch, daß ich keine andere Rolle spiele
als meine eigene, meine Sachen, wie mich däucht, und wie es wenigstens scheint, recht
gut mache. Vierzehn Tage, längstens 3 Wochen, wird's herrlich gehen, und mehr
verlangen wir ja nicht. Eure Weissagungen oder Ahnungen von dem Eindruck, den


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[0365] Zauber umsieht dieses Mädchen. Wen» sie, scheinbar eiskalt, vor die dichtgedrängte Versammlung tritt, nnr einmal den ernsten Blick ihres Anges ans die lauschende Menge richtet, und dann ihr Spiel voll tiefer Melancholie beginnt, wenn sie die wehmüthigsten Melodien, die den Hörern das Herz zusammenschnüren, und die lustigsten Passagen scheinbar mit demselben Gleichmuth vorträgt, und wenn sie dem unendlichen Beifall mit demselben Ernst, ohne Lächeln dankt, so fühlen mir mit Behagen über uns die Macht einer räthselhaften, aber anziehenden Persönlichkeit. Nur wenn sie ihrer Geige die Töne einer Hirtenflöte entlockt, schwebt ein Lächeln über ihre Züge, als freute sie sich dieser anmuthigen Spielerei; anch die Variationen zur Melodie des alten Rbcin- weinlicdes „Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsere Reben," scheint sie mit besondern! Vergnügen vorzutragen. Jedenfalls ein schöner Zug von Uneigennützigkeit, der ihr die Herzen aller ältlichen und jüngeren Herren gewonnen hat. Und kurz, sie hat Berlin und auch Ihren Corrcsp. entzückt. Robert Schumann wird im Monat März mit seiner Gattin Clara nach Leipzig kommen, um aus dem Theater seine Musik zu Byron's Manfred zur Aufführung zu bringen. Die große Ballade „der Königssohn" sür Chor und Orchester erscheint hier bei Whistling und ist im Stich fast vollendet; auch sie wird noch im Lause dieser Saison hier aufgeführt werden. Der Anhalt-Dessauische Staatsanzeiger veröffentlicht bei der Gelegenheit des 67. Geburtstags von Friedrich Schneider ein RcsuiM seiner Thätigkeit. Erstens leitete er seit 1821 außerhalb Dessau 66 Musikfeste und Aufführungen. Zweitens schrieb er die bedeutende» Werke „Elementarbuch der Tonsetzkunst", „Elcmcntarübungen im Gesänge und Pianofortespiel". „Vorschule der Musik", „Handbuch des Organisten". Gedruckte Werke im Ganzen 103. Drittens componirte er 23 Sinfonien, 60 So¬ naten, 20 Ouvertüren, 16 Oratorien (Weltgericht, Sündfluth. das Verlorne Paradies, Pharao, Absalon, Gideon. Gethsemane und Golgatha ze.) 15 Messen, 28 Hymnen, Kantaten und Psalmen, 609 Lieder. Wenig bekannt sind seine 7 Opern, darunter: „Claudine von Villa Bella" und „Atom's Entzauberung" (gegeben 1808 in Leipzig). Literatur. Eine Schilderung Wieland's von Mozart. Die Grenzboten haben kürzlich den naiven Bericht von Gyrvwctz über sein Zusammensein mit Goethe mitgetheilt, es dürfte in mehr als einer Beziehung Interesse haben, damit zusammen- zustellen, wie Mozart sich über sein persönliches Zusammentreffen mit Wieland äußert. Wieland's Oper Rosamunde, von Schweißer, wie er glaubte, ganz vortrefflich gesetzt Mozart's Urtheil lautet etwas anders —, sollte im Januar 1778 in Mann¬ heim auf dem churfürstlichcn Hoftheater aufgeführt werden, und der Dichter war ein¬ geladen, persönlich dabei gegenwärtig zu sein. Er entschloß sich zu dieser Reise: „Denn ich will und muß," schreibt er an Merck, „einmal in meinem Leben mich recht an Musik crsättigcn, und wann oder wo werd' ich jemals dazu bessere Gelegenheit finden?" Den 21. December kam er in Mannheim an und schrieb wenige Tage darauf an denselben Freund: „Ich kann Euch jetzt noch nichts Weiteres sagen, als daß ich mich zu Leib und Seele wohl befinde, und eben dadurch, daß ich keine andere Rolle spiele als meine eigene, meine Sachen, wie mich däucht, und wie es wenigstens scheint, recht gut mache. Vierzehn Tage, längstens 3 Wochen, wird's herrlich gehen, und mehr verlangen wir ja nicht. Eure Weissagungen oder Ahnungen von dem Eindruck, den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/365>, abgerufen am 27.12.2024.