Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.veranlaßt hat, wird fleißigen Lesern des Athcnänms nicht unbekannt sein, Anfang Grenzboten, I. ,>L!iZ.
veranlaßt hat, wird fleißigen Lesern des Athcnänms nicht unbekannt sein, Anfang Grenzboten, I. ,>L!iZ.
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0361" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186237"/> <p xml:id="ID_1109" prev="#ID_1108" next="#ID_1110"> veranlaßt hat, wird fleißigen Lesern des Athcnänms nicht unbekannt sein, Anfang<lb/> 1849 kaufte Mr. Collier in einer Bücheranction ein beschmntztcs Exemplar der<lb/> zweiten Folioausgabe Shakespeares v. 10^2. Sie war mir vielen handschrift¬<lb/> lichen Bcnicrknngen versehen, aber er berücksichtigte diese nicht weiter. Er hatte<lb/> das Buch gekauft in der Hoffnung, die Lücken eines besseren Exemplars dnrch<lb/> dasselbe ausfüllen zu können. Darin sah er sich getäuscht, und er legte das Buch<lb/> Mißvergnügt als einen schlechten Kauf bei Seite. Nach ungefähr drei Jahren<lb/> nahm Collier das lauge vernachlässigte Buch wieder einmal zufällig zur Hand<lb/> und entdeckte nnn zum ersten Mal den ans den Deckel geschriebenen Namen deö<lb/> früheren Eigenthümers: „Ibwmas ?erkms, dis boots". Da es zu Shakespeare's<lb/> Zeit eiuen bekannten Schauspieler dieses Namens gegeben, so forschte man wei¬<lb/> ter, dieser aber hatte Richard geheißen. Jedoch die Aufmerksamkeit Collier's war<lb/> einmal rege geworden, und bei näherer Besichtigung faud er, daß das verachtete,<lb/> zerrissene, mit Wein, Unschlitt und Tabakasche befleckte Buch nicht weniger als<lb/> 20,000 handschriftliche Correcturen enthielt, die sich manchmal auf die Juterpuuctiou<lb/> beschränkten, manchmal sich zu ganzen Verteilen ausdehnen. Weber das kost¬<lb/> bare Buch stammt, wird sich schwerlich mehr feststelle» lassen, aber selbst ein vor><lb/> sichtiger Kritiker muß in dem Schluß kommen, daß das Buch ein bei der Dar¬<lb/> stellung Shakespeare'scher Stücke benutztes Exemplar ist, aus einer Zeit, wo die<lb/> Tradition deS richtigen Textes in den Schauspielern noch frisch war. Daß es ein<lb/> zur Darstellung benutztes Bühnenexemplar gewesen ist, geht daraus hervor, daß<lb/> es mit sehr in's Einzelne gehenden Regiebcmeiknngcn versehen ist; zweitens, daß<lb/> die früher nicht in Acte und Scenen eingetheilten Stücke von dem Eommentator<lb/> cibgetheilt siud, und endlich, daß in allen Stücken, mit Ausnahme von AinoninS<lb/> und Cleopatra, vorwiegend rhetorische Stellen, wenn sie den dramatischen Zusammen-<lb/> hang nicht stören, gestrichen sind, offenbar, um das Stück zur Darstellung zu<lb/> kürzen. Die Negiebcmerkungen gehen oft sehr in's Einzelne, und tragen zuweilen<lb/> viel zum besseren Verständniß des Textes bei. So soll Hamlet nach den Wor-<lb/> ten: „Hvxvls ana ivlmislews ok xraos clekenck us!" eine Pause machen, lind<lb/> Nosencrantz nach Hamlet's Worten: „Jot-in clLli^Kts not ins" lächeln. In<lb/> der zweiten Scene des Sturmes legt Presperv zu Anfang seiner Erzählung den<lb/> Zaubermantel ab. Unmittelbar vor dem Schluß, wo Prvspero sagt: „r>c»v l<lb/> arise", fügt der Corrector am Rande bei: „Legt den Mantel wieder an". Mit<lb/> dem Zanberkleide wieder ausgestattet, das er, während er Miranda seine Ge¬<lb/> schichte erzählt, uicht gebraucht hat, versetzt jetzt Prvspero seine Tochter in einen<lb/> magischen Schlummer, um sich mit Ariel bespreche» zu könne». So verliert die<lb/> Plötzliche Schläfrigkeit Mira»da's während einer Erzählung von so fesselnden<lb/> Interesse das Sonderbare, das die Kritik, welche die Regiebemerknng nicht<lb/> kannte, mit Recht darin gefunden hat. Was die den Correcturen zu Grnnde<lb/> liegende Autorität betrifft, so scheint uns ihre große Anzahl, die Angemessenheit,</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten, I. ,>L!iZ.</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0361]
veranlaßt hat, wird fleißigen Lesern des Athcnänms nicht unbekannt sein, Anfang
1849 kaufte Mr. Collier in einer Bücheranction ein beschmntztcs Exemplar der
zweiten Folioausgabe Shakespeares v. 10^2. Sie war mir vielen handschrift¬
lichen Bcnicrknngen versehen, aber er berücksichtigte diese nicht weiter. Er hatte
das Buch gekauft in der Hoffnung, die Lücken eines besseren Exemplars dnrch
dasselbe ausfüllen zu können. Darin sah er sich getäuscht, und er legte das Buch
Mißvergnügt als einen schlechten Kauf bei Seite. Nach ungefähr drei Jahren
nahm Collier das lauge vernachlässigte Buch wieder einmal zufällig zur Hand
und entdeckte nnn zum ersten Mal den ans den Deckel geschriebenen Namen deö
früheren Eigenthümers: „Ibwmas ?erkms, dis boots". Da es zu Shakespeare's
Zeit eiuen bekannten Schauspieler dieses Namens gegeben, so forschte man wei¬
ter, dieser aber hatte Richard geheißen. Jedoch die Aufmerksamkeit Collier's war
einmal rege geworden, und bei näherer Besichtigung faud er, daß das verachtete,
zerrissene, mit Wein, Unschlitt und Tabakasche befleckte Buch nicht weniger als
20,000 handschriftliche Correcturen enthielt, die sich manchmal auf die Juterpuuctiou
beschränkten, manchmal sich zu ganzen Verteilen ausdehnen. Weber das kost¬
bare Buch stammt, wird sich schwerlich mehr feststelle» lassen, aber selbst ein vor>
sichtiger Kritiker muß in dem Schluß kommen, daß das Buch ein bei der Dar¬
stellung Shakespeare'scher Stücke benutztes Exemplar ist, aus einer Zeit, wo die
Tradition deS richtigen Textes in den Schauspielern noch frisch war. Daß es ein
zur Darstellung benutztes Bühnenexemplar gewesen ist, geht daraus hervor, daß
es mit sehr in's Einzelne gehenden Regiebcmeiknngcn versehen ist; zweitens, daß
die früher nicht in Acte und Scenen eingetheilten Stücke von dem Eommentator
cibgetheilt siud, und endlich, daß in allen Stücken, mit Ausnahme von AinoninS
und Cleopatra, vorwiegend rhetorische Stellen, wenn sie den dramatischen Zusammen-
hang nicht stören, gestrichen sind, offenbar, um das Stück zur Darstellung zu
kürzen. Die Negiebcmerkungen gehen oft sehr in's Einzelne, und tragen zuweilen
viel zum besseren Verständniß des Textes bei. So soll Hamlet nach den Wor-
ten: „Hvxvls ana ivlmislews ok xraos clekenck us!" eine Pause machen, lind
Nosencrantz nach Hamlet's Worten: „Jot-in clLli^Kts not ins" lächeln. In
der zweiten Scene des Sturmes legt Presperv zu Anfang seiner Erzählung den
Zaubermantel ab. Unmittelbar vor dem Schluß, wo Prvspero sagt: „r>c»v l
arise", fügt der Corrector am Rande bei: „Legt den Mantel wieder an". Mit
dem Zanberkleide wieder ausgestattet, das er, während er Miranda seine Ge¬
schichte erzählt, uicht gebraucht hat, versetzt jetzt Prvspero seine Tochter in einen
magischen Schlummer, um sich mit Ariel bespreche» zu könne». So verliert die
Plötzliche Schläfrigkeit Mira»da's während einer Erzählung von so fesselnden
Interesse das Sonderbare, das die Kritik, welche die Regiebemerknng nicht
kannte, mit Recht darin gefunden hat. Was die den Correcturen zu Grnnde
liegende Autorität betrifft, so scheint uns ihre große Anzahl, die Angemessenheit,
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