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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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zu thun, die Herren von der Polizei, um nicht die Uebung zu verlieren, zuweilen
auch einige Persa für den Sonntag sich aufbewahren wollen. Ich weiß nicht,
für welche Hypothese sich Ihre Leser entscheiden werden.

Lady Tartüffe von Me. Girardin hat nicht sehr gefallen. Mich interessirte
das Stück, obgleich ich bis jetzt noch nicht zu sagen im Stande wäre, ob das
Publicum Unrecht habe. Die Rachel wußte sich's noch nicht recht bequem zu
machen im einfachen Hansgewande der Prosa, aber sie hatte Momente, die zeigen,
sie könne anch auf diesem Gebiete Bemerkenswerthes leisten. Eine junge Naive,
welche zum ersten Male die Bühne betrat und Fräulein Dubois heißt, hat mit
Recht sehr gefallen. ________




Die von unserem Korrespondenten besprochenen Verhaftungen lassen die fran¬
zösischen Zustände in sehr trübem Lichte erscheinen. Wer nicht mit seinen persön¬
lichen Interessen an dem herrschenden System betheiligt ist, sieht mit Schrecken
alle Konsequenzen der Gewaltherrschaft über dieses unglückliche Volk hereinbrechen.
Aber anch Diejenigen, welche den S. December als die Niederlage des öffent¬
lichen Rechts nicht nur, sondern auch der öffentlichen Moral in Frankreich an¬
sahen, müssen sich erstaunt fragen, wo die Regierung mit diesen Maßregeln hinaus¬
will. Es ist möglich mit 300,000 Mann, mit einer alle Sphären des gesellschaftlichen
Lebens durchdringenden Polizei und einer halben Million Beamter diese erschöpfte
und in sich zerfallene Nation niederzuhalten, es ist möglich, die einheimische Presse
zum Schweigen einzuschüchtern und in erkauften Blättern durch die feilen Federn
der Graner de Cassagnac, La Gucrroniere, Cascna u. A. täglich die Aera des
Glückes, der wahren Freiheit und des Ruhmes anpreisen zu lassen, welche über
Frankreich aufgefangen sei, aber ein mehr als vermessener Versuch ist es, selbst
bis in die Familienkreise hinein die Freiheit des Sprechens zu verfolgen, die
Privatcorrespondenz der ganzen Nation unter dem Schrecken der polizeilichen
Durchsicht zu halten und zu verhindern, daß über die Grenzen des Landes hin¬
aus in auswärtige Blätter unabhängige Stimmen und unverfälschte Nachrichten
dringen. Mögen die zahllosen Couplets und Calembourgs, welche die kaiserliche
Vermählung hervorgerufen hat, immerhin als Grund zu diesem Polizeiact an¬
geführt werden, mögen die Gerüchte, welche hier und in der auswärtigen Presse
über die Verwickelungen hochgestellter Männer in die Scandale des Börsen¬
schwindels circuliren, viel dazu beigetragen haben, die Namen Derjenigen, die
man verhaftet hat, beweisen, daß man Weiteres beabsichtigt. Wenn ferner sämmt¬
liche Briefe der Jndepedance Belge auf der Post angehalten sind, eines Blattes,
dessen Pariser Correspondenzen Zustände wie Personen in der maß- und rücksichts¬
vollsten Weise besprechen, so geht daraus unwidersprechlich hervor, daß man nicht
etwa der Verläumdung, sondern der Wahrheit den Krieg macht.

Die Pariser Zeitungen, so geknebelt sie sind, haben einen Angstruf der


zu thun, die Herren von der Polizei, um nicht die Uebung zu verlieren, zuweilen
auch einige Persa für den Sonntag sich aufbewahren wollen. Ich weiß nicht,
für welche Hypothese sich Ihre Leser entscheiden werden.

Lady Tartüffe von Me. Girardin hat nicht sehr gefallen. Mich interessirte
das Stück, obgleich ich bis jetzt noch nicht zu sagen im Stande wäre, ob das
Publicum Unrecht habe. Die Rachel wußte sich's noch nicht recht bequem zu
machen im einfachen Hansgewande der Prosa, aber sie hatte Momente, die zeigen,
sie könne anch auf diesem Gebiete Bemerkenswerthes leisten. Eine junge Naive,
welche zum ersten Male die Bühne betrat und Fräulein Dubois heißt, hat mit
Recht sehr gefallen. ________




Die von unserem Korrespondenten besprochenen Verhaftungen lassen die fran¬
zösischen Zustände in sehr trübem Lichte erscheinen. Wer nicht mit seinen persön¬
lichen Interessen an dem herrschenden System betheiligt ist, sieht mit Schrecken
alle Konsequenzen der Gewaltherrschaft über dieses unglückliche Volk hereinbrechen.
Aber anch Diejenigen, welche den S. December als die Niederlage des öffent¬
lichen Rechts nicht nur, sondern auch der öffentlichen Moral in Frankreich an¬
sahen, müssen sich erstaunt fragen, wo die Regierung mit diesen Maßregeln hinaus¬
will. Es ist möglich mit 300,000 Mann, mit einer alle Sphären des gesellschaftlichen
Lebens durchdringenden Polizei und einer halben Million Beamter diese erschöpfte
und in sich zerfallene Nation niederzuhalten, es ist möglich, die einheimische Presse
zum Schweigen einzuschüchtern und in erkauften Blättern durch die feilen Federn
der Graner de Cassagnac, La Gucrroniere, Cascna u. A. täglich die Aera des
Glückes, der wahren Freiheit und des Ruhmes anpreisen zu lassen, welche über
Frankreich aufgefangen sei, aber ein mehr als vermessener Versuch ist es, selbst
bis in die Familienkreise hinein die Freiheit des Sprechens zu verfolgen, die
Privatcorrespondenz der ganzen Nation unter dem Schrecken der polizeilichen
Durchsicht zu halten und zu verhindern, daß über die Grenzen des Landes hin¬
aus in auswärtige Blätter unabhängige Stimmen und unverfälschte Nachrichten
dringen. Mögen die zahllosen Couplets und Calembourgs, welche die kaiserliche
Vermählung hervorgerufen hat, immerhin als Grund zu diesem Polizeiact an¬
geführt werden, mögen die Gerüchte, welche hier und in der auswärtigen Presse
über die Verwickelungen hochgestellter Männer in die Scandale des Börsen¬
schwindels circuliren, viel dazu beigetragen haben, die Namen Derjenigen, die
man verhaftet hat, beweisen, daß man Weiteres beabsichtigt. Wenn ferner sämmt¬
liche Briefe der Jndepedance Belge auf der Post angehalten sind, eines Blattes,
dessen Pariser Correspondenzen Zustände wie Personen in der maß- und rücksichts¬
vollsten Weise besprechen, so geht daraus unwidersprechlich hervor, daß man nicht
etwa der Verläumdung, sondern der Wahrheit den Krieg macht.

Die Pariser Zeitungen, so geknebelt sie sind, haben einen Angstruf der


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[0357] zu thun, die Herren von der Polizei, um nicht die Uebung zu verlieren, zuweilen auch einige Persa für den Sonntag sich aufbewahren wollen. Ich weiß nicht, für welche Hypothese sich Ihre Leser entscheiden werden. Lady Tartüffe von Me. Girardin hat nicht sehr gefallen. Mich interessirte das Stück, obgleich ich bis jetzt noch nicht zu sagen im Stande wäre, ob das Publicum Unrecht habe. Die Rachel wußte sich's noch nicht recht bequem zu machen im einfachen Hansgewande der Prosa, aber sie hatte Momente, die zeigen, sie könne anch auf diesem Gebiete Bemerkenswerthes leisten. Eine junge Naive, welche zum ersten Male die Bühne betrat und Fräulein Dubois heißt, hat mit Recht sehr gefallen. ________ Die von unserem Korrespondenten besprochenen Verhaftungen lassen die fran¬ zösischen Zustände in sehr trübem Lichte erscheinen. Wer nicht mit seinen persön¬ lichen Interessen an dem herrschenden System betheiligt ist, sieht mit Schrecken alle Konsequenzen der Gewaltherrschaft über dieses unglückliche Volk hereinbrechen. Aber anch Diejenigen, welche den S. December als die Niederlage des öffent¬ lichen Rechts nicht nur, sondern auch der öffentlichen Moral in Frankreich an¬ sahen, müssen sich erstaunt fragen, wo die Regierung mit diesen Maßregeln hinaus¬ will. Es ist möglich mit 300,000 Mann, mit einer alle Sphären des gesellschaftlichen Lebens durchdringenden Polizei und einer halben Million Beamter diese erschöpfte und in sich zerfallene Nation niederzuhalten, es ist möglich, die einheimische Presse zum Schweigen einzuschüchtern und in erkauften Blättern durch die feilen Federn der Graner de Cassagnac, La Gucrroniere, Cascna u. A. täglich die Aera des Glückes, der wahren Freiheit und des Ruhmes anpreisen zu lassen, welche über Frankreich aufgefangen sei, aber ein mehr als vermessener Versuch ist es, selbst bis in die Familienkreise hinein die Freiheit des Sprechens zu verfolgen, die Privatcorrespondenz der ganzen Nation unter dem Schrecken der polizeilichen Durchsicht zu halten und zu verhindern, daß über die Grenzen des Landes hin¬ aus in auswärtige Blätter unabhängige Stimmen und unverfälschte Nachrichten dringen. Mögen die zahllosen Couplets und Calembourgs, welche die kaiserliche Vermählung hervorgerufen hat, immerhin als Grund zu diesem Polizeiact an¬ geführt werden, mögen die Gerüchte, welche hier und in der auswärtigen Presse über die Verwickelungen hochgestellter Männer in die Scandale des Börsen¬ schwindels circuliren, viel dazu beigetragen haben, die Namen Derjenigen, die man verhaftet hat, beweisen, daß man Weiteres beabsichtigt. Wenn ferner sämmt¬ liche Briefe der Jndepedance Belge auf der Post angehalten sind, eines Blattes, dessen Pariser Correspondenzen Zustände wie Personen in der maß- und rücksichts¬ vollsten Weise besprechen, so geht daraus unwidersprechlich hervor, daß man nicht etwa der Verläumdung, sondern der Wahrheit den Krieg macht. Die Pariser Zeitungen, so geknebelt sie sind, haben einen Angstruf der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/357>, abgerufen am 28.12.2024.