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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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von den jüngeren, die später nachziehen und erst zuletzt wieder eintreffen, bei der
Wichtigkeit für die Handlung, schon früher, wenn auch nicht motivirt, doch ent¬
schieden hervorgehoben werden müssen; der Zuhörer, der kein Textbuch bei sich
hat, bekommt so gar zu sehr den Eindruck eines blüh ex MireliMÄ.

Im letzten Act, der ungleich dürftiger und monotoner ist, als die ersten,
finden wir Elisabeth im Gebet für Tannhäuser; Wolfram, der mit seiner Harfe
im Walde spazieren gegangen ist, -- wie die Könige im Märchen mit der
Krone zu Bett gehen, -- tritt zu ihr, da kommen die älteren Pilger ohne
Tannhäuser zurück. Nun fleht Elisabeth, die sein Schicksal entschieden glaubt,
in brünstigem Gebet zur Jungfrau Maria, daß sie sie als Fürbitterin für Tann¬
häuser aufnehmen möge, und entfernt sich, indem sie, wie Ottilie in den Wahl¬
verwandtschaften, ans die Sprache verzichtend, von Wolfram durch Geberden
Abschied nimmt. Es thut uns wahrhaft leid, daß diese echt musikalische Situa¬
tion, die eine tiefe und schone Empfindung ausspricht, ihren entsprechenden Aus¬
druck nicht gefunden hat; wir müssen uns mit dem Eindruck begnügen, den der
Wohllaut geschickt cvmbinirter Blasinstrumente hervorbringt. Noch weniger leistet
die folgende Scene. , Es ist schön gedacht, daß der Eindruck, deu das eben Er¬
lebte und der hereinbrechende Abend ans Wolfram den Dichter und Säuger
macheu, sich in ihm zu einem Liede gestaltet, aber leider müssen wir mit dieser
Intention vorlieb nehmen: das Gedicht ist schwach, und die Composition mit obli¬
gatem Violoncell so trivial sentimental, daß man sie ohne Bedenken Proch zuschrei¬
ben könnte. Daß aber zu diesem Liede an den Abendster" der obligate Abend-
stern, natürlich solo, am Theaterhimmel erscheinen muß, das ist eine Plattitüde,
die mau dem Geschmack Wagner's nicht zutrauen sollte. Mit dem Auftreten
Tannhäuser's beginnt wieder die Darstellungsweise, die Wagner's Natur am ge¬
mäßsten ist, und in dem Bericht über seine Pilgerfahrt, in welchem auch mehr
musikalische Motivirung hervortritt, sind gelungene und drastische Momente. End¬
lich ruft er Frau Venus, sie erscheint, aber nur nebelhaft hinter einem Flor, und
indem sie ihn zu sich ruft, Wolfram ihn warnend zurückhält, bildet sich eine dem
Schluß von Robert dem Teufel analoge Scene, die allerdings musikalisch sehr
verschieden, aber nicht sehr wirksam behandelt ist. Elisabeth'S Tod verscheucht
die Frau Venus; im offenen Sarg wird sie von einem Trauerzuge auf die Bühne
geleitet, Tannhäuser stirbt mit dem Ausrufe: "Heilige Elisabeth, bitte für mich!"
indem die jüngeren Pilger heimkehren und seine Entführung verkündigen. So
schließt die Oper glänzend, aber unbefriedigend.

Fassen wir das Gesammturtheil über dieselbe zusammen, so erscheint sie in
ihrem Grundwesen der aus Paris stammenden Decorationsoper, wie sie von
Meyerbeer zwar nicht erfunden - denn was hätte der erfunden? -- aber doch
hauptsächlich ausgebildet und bei uns in Cours gebracht ist, völlig verwandt, in
denen die Wirkung ans das Publicum hauptsächlich durch änßere, materielle


von den jüngeren, die später nachziehen und erst zuletzt wieder eintreffen, bei der
Wichtigkeit für die Handlung, schon früher, wenn auch nicht motivirt, doch ent¬
schieden hervorgehoben werden müssen; der Zuhörer, der kein Textbuch bei sich
hat, bekommt so gar zu sehr den Eindruck eines blüh ex MireliMÄ.

Im letzten Act, der ungleich dürftiger und monotoner ist, als die ersten,
finden wir Elisabeth im Gebet für Tannhäuser; Wolfram, der mit seiner Harfe
im Walde spazieren gegangen ist, — wie die Könige im Märchen mit der
Krone zu Bett gehen, — tritt zu ihr, da kommen die älteren Pilger ohne
Tannhäuser zurück. Nun fleht Elisabeth, die sein Schicksal entschieden glaubt,
in brünstigem Gebet zur Jungfrau Maria, daß sie sie als Fürbitterin für Tann¬
häuser aufnehmen möge, und entfernt sich, indem sie, wie Ottilie in den Wahl¬
verwandtschaften, ans die Sprache verzichtend, von Wolfram durch Geberden
Abschied nimmt. Es thut uns wahrhaft leid, daß diese echt musikalische Situa¬
tion, die eine tiefe und schone Empfindung ausspricht, ihren entsprechenden Aus¬
druck nicht gefunden hat; wir müssen uns mit dem Eindruck begnügen, den der
Wohllaut geschickt cvmbinirter Blasinstrumente hervorbringt. Noch weniger leistet
die folgende Scene. , Es ist schön gedacht, daß der Eindruck, deu das eben Er¬
lebte und der hereinbrechende Abend ans Wolfram den Dichter und Säuger
macheu, sich in ihm zu einem Liede gestaltet, aber leider müssen wir mit dieser
Intention vorlieb nehmen: das Gedicht ist schwach, und die Composition mit obli¬
gatem Violoncell so trivial sentimental, daß man sie ohne Bedenken Proch zuschrei¬
ben könnte. Daß aber zu diesem Liede an den Abendster» der obligate Abend-
stern, natürlich solo, am Theaterhimmel erscheinen muß, das ist eine Plattitüde,
die mau dem Geschmack Wagner's nicht zutrauen sollte. Mit dem Auftreten
Tannhäuser's beginnt wieder die Darstellungsweise, die Wagner's Natur am ge¬
mäßsten ist, und in dem Bericht über seine Pilgerfahrt, in welchem auch mehr
musikalische Motivirung hervortritt, sind gelungene und drastische Momente. End¬
lich ruft er Frau Venus, sie erscheint, aber nur nebelhaft hinter einem Flor, und
indem sie ihn zu sich ruft, Wolfram ihn warnend zurückhält, bildet sich eine dem
Schluß von Robert dem Teufel analoge Scene, die allerdings musikalisch sehr
verschieden, aber nicht sehr wirksam behandelt ist. Elisabeth'S Tod verscheucht
die Frau Venus; im offenen Sarg wird sie von einem Trauerzuge auf die Bühne
geleitet, Tannhäuser stirbt mit dem Ausrufe: „Heilige Elisabeth, bitte für mich!"
indem die jüngeren Pilger heimkehren und seine Entführung verkündigen. So
schließt die Oper glänzend, aber unbefriedigend.

Fassen wir das Gesammturtheil über dieselbe zusammen, so erscheint sie in
ihrem Grundwesen der aus Paris stammenden Decorationsoper, wie sie von
Meyerbeer zwar nicht erfunden - denn was hätte der erfunden? — aber doch
hauptsächlich ausgebildet und bei uns in Cours gebracht ist, völlig verwandt, in
denen die Wirkung ans das Publicum hauptsächlich durch änßere, materielle


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/349>, abgerufen am 24.07.2024.