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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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hets ganz mißglückt und nur an einzelnen mehr leidenschaftlich bewegten Stellen
bekommt sie etwas Leben, Das Duett mit Tannhäuser ist ganz ohne Inhalt und
der Form nach mit seinen banalen Terzcnfigurcn und den kümmerlichen JmitationZ-
ausätzeu so trivial, daß man sich doch wundern muß, wie Wagner dies Musikstück
seiue eigene Kritik hat passiren lassen tonnen. Daß er, damit man es kein Duett
in gewöhnlicher Weise nennen könne, Wolfram auch mit einigen Worten daran
Theil nehmen läßt, alterirt den Charakter nicht, aber es ist dramatisch nicht wohl
eingerichtet, daß diese Aeußerung Wolfram's, die für seine Charakteristik bedeu¬
tend ist, so untergesteckl wird, daß sie so gut wie verloren ist, Nun folgt die
Vorbereitung zum Säugerkampf, und hier bewährt sich Wagner wieder als ge¬
schickter Decorateur. Die thüringischen Großen erscheinen von Herolden und
Pagen eingeführt, Trompeter auf der Bühne, Trompeter im Orchester, zwischen
ihnen ein starker Chor, -- es müßte einer schon sehr ungeschickt sein, der damit
nicht einigen Eindruck hervorbrächte. Während eines lang ausgesponnenen marsch¬
artigen Satzes werden die edlen Herren und Franc" pantomimisch mit der
feierlichen Ausführlichkeit des Ceremoniels empfangen und zu ihren Sitzen gelei¬
tet, das Wagner am Hofe des Landgrafen Hermann voranszusejzeu berechtigt ist,
wobei ich jedoch bemerken muß, daß ich die feineren Unterschiede der Verwandt¬
schaft und Freundschaft, welche der Referent der Grenzboten hervorgehoben
wünscht, in Wagner's sonst so scharf charakterisirender Musik nicht habe auffin-
den können. Nachdem die Sänger, ebenfalls von den Pagen geleitet, ausge¬
treten sind, jeder mir seiner Harfe, singt der Landgraf eine Festrede, die, wie
billig, etwas langweilig ist, worauf die Pagen die Sänger losen lassen -- in
der That, diese artigen Knaben macheu sich so oft bemerkbar, daß sie es wohl
verdienen auf dem Theaterzettel namentlich aufgeführt zu werden, wenn sie auch
nur vier Worte zu singen haben. Ueber den Sängerkampf ist schon bemerkt,
daß er weder dichterisch noch musikalisch genüge, er hält durchaus nicht, was die
pomphafte Einleitung verspricht, fällt vielmehr entschieden gegen dieselbe ab. Am
Besten ist, wie sich erwarten läßt, die zunehmende fieberhafte Aufregung Tann-
häuser'ö ausgedrückt, aber innere Wärme fehlt ihm auch hier und die Charakte¬
ristik ist wesentlich eine äußerliche. In dem Sturme, der über ihn losbricht, als er
verrathen, daß er im Venusberg gewesen sei, tritt Elisabeth, die wie eine umge¬
kehrte Euryauthe allein unter den Männern bleibt, vortheilhaft hervor und na¬
mentlich einige Stellen sind declamatvrisch wohl gelungen, im Ganzen aber ist
dieser Ensemblcsatz nicht so klar und zusammenklingend wie der Schlußsatz des
ersten Finale. Nachdem Tannhäuser die Weisung erhalten hat zum Pabst zu
wallfahrten, ertönt zur rechten Zeit der wohlbekannte Gesang der vorbeiziehenden
Pilger. Warum hat Wagner durch deu Schrei "nach Rom!" der grell, fast roh
hineinfährt, seiue wohlthätige Wirkung gestört? -- Beiläufig gesagt, hätte der
Unterschied der älteren Pilger, die früher abgehen und früher wieder kommen,


hets ganz mißglückt und nur an einzelnen mehr leidenschaftlich bewegten Stellen
bekommt sie etwas Leben, Das Duett mit Tannhäuser ist ganz ohne Inhalt und
der Form nach mit seinen banalen Terzcnfigurcn und den kümmerlichen JmitationZ-
ausätzeu so trivial, daß man sich doch wundern muß, wie Wagner dies Musikstück
seiue eigene Kritik hat passiren lassen tonnen. Daß er, damit man es kein Duett
in gewöhnlicher Weise nennen könne, Wolfram auch mit einigen Worten daran
Theil nehmen läßt, alterirt den Charakter nicht, aber es ist dramatisch nicht wohl
eingerichtet, daß diese Aeußerung Wolfram's, die für seine Charakteristik bedeu¬
tend ist, so untergesteckl wird, daß sie so gut wie verloren ist, Nun folgt die
Vorbereitung zum Säugerkampf, und hier bewährt sich Wagner wieder als ge¬
schickter Decorateur. Die thüringischen Großen erscheinen von Herolden und
Pagen eingeführt, Trompeter auf der Bühne, Trompeter im Orchester, zwischen
ihnen ein starker Chor, — es müßte einer schon sehr ungeschickt sein, der damit
nicht einigen Eindruck hervorbrächte. Während eines lang ausgesponnenen marsch¬
artigen Satzes werden die edlen Herren und Franc» pantomimisch mit der
feierlichen Ausführlichkeit des Ceremoniels empfangen und zu ihren Sitzen gelei¬
tet, das Wagner am Hofe des Landgrafen Hermann voranszusejzeu berechtigt ist,
wobei ich jedoch bemerken muß, daß ich die feineren Unterschiede der Verwandt¬
schaft und Freundschaft, welche der Referent der Grenzboten hervorgehoben
wünscht, in Wagner's sonst so scharf charakterisirender Musik nicht habe auffin-
den können. Nachdem die Sänger, ebenfalls von den Pagen geleitet, ausge¬
treten sind, jeder mir seiner Harfe, singt der Landgraf eine Festrede, die, wie
billig, etwas langweilig ist, worauf die Pagen die Sänger losen lassen — in
der That, diese artigen Knaben macheu sich so oft bemerkbar, daß sie es wohl
verdienen auf dem Theaterzettel namentlich aufgeführt zu werden, wenn sie auch
nur vier Worte zu singen haben. Ueber den Sängerkampf ist schon bemerkt,
daß er weder dichterisch noch musikalisch genüge, er hält durchaus nicht, was die
pomphafte Einleitung verspricht, fällt vielmehr entschieden gegen dieselbe ab. Am
Besten ist, wie sich erwarten läßt, die zunehmende fieberhafte Aufregung Tann-
häuser'ö ausgedrückt, aber innere Wärme fehlt ihm auch hier und die Charakte¬
ristik ist wesentlich eine äußerliche. In dem Sturme, der über ihn losbricht, als er
verrathen, daß er im Venusberg gewesen sei, tritt Elisabeth, die wie eine umge¬
kehrte Euryauthe allein unter den Männern bleibt, vortheilhaft hervor und na¬
mentlich einige Stellen sind declamatvrisch wohl gelungen, im Ganzen aber ist
dieser Ensemblcsatz nicht so klar und zusammenklingend wie der Schlußsatz des
ersten Finale. Nachdem Tannhäuser die Weisung erhalten hat zum Pabst zu
wallfahrten, ertönt zur rechten Zeit der wohlbekannte Gesang der vorbeiziehenden
Pilger. Warum hat Wagner durch deu Schrei „nach Rom!" der grell, fast roh
hineinfährt, seiue wohlthätige Wirkung gestört? — Beiläufig gesagt, hätte der
Unterschied der älteren Pilger, die früher abgehen und früher wieder kommen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/348>, abgerufen am 24.07.2024.