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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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erwartet nun, daß die Kühe, nachdem sie sich so lange hinter der Scene bemerk¬
bar gemacht haben, auch wirklick) auf der Bühne erscheinen, statt dessen aber kün¬
digt ferner Gesang die herannahenden Pilger an. Der Chor derselben, der dann
oft wiederholt wird, ist zwar nicht tief und warm empfunden, aber mit Ausnahme
einiger sehr widerharigcr Härten wohlklingend, bestimmt ausgeprägt und besonders
für den Effect des Herankommens aus der Ferne und des Verkliugens gut be-
rechnet, daher auch von guter Wirkung. Es ist Schade, daß Wagner diese
durch ungehörige Zuthäte" mehrmals schwächt, so im Anfang durch die Kuhglocken
nebst Schalmei, die sich auf eine Weise hineinmischen, die musikalisch und ästhe¬
tisch gleich unbefriedigend ist, später durch die unglückliche Baßbeglcitnug, zuletzt
durch die anhaltenden Paukenwirbel, als sollte die Rückkehr der Pilger mit Böller¬
schüssen gefeiert werden. Die Pilger verlassen endlich, vom Geläute der Kirchenglocken
begleitet, die Bühne, Jagdfanfaren ertönen, der Landgraf mit den ritterlichen
Sängern tritt ans, sie erkennen Tannhäuser, dringen in ihn, zu bleiben, was er,
von Elisabeth's Liebe in Kenntniß gesetzt, zusagt; die allgemeine Befriedigung
spricht sich im Schlußsextett aus, während die Bühne sich mit Jäger" füllt. Diese
ganze Scene gehört zu denen, die die frischeste und entsprechendste Wirkung
machen, die Hörner sind geschickt verwendet und der Schlußsatz, ohne sehr bedeu¬
tend und originell zu sein, ist so angelegt, daß man das Gefühl einer bestimmten
Form behält, und klingt recht schön.

Man sieht also, dieser erste Act bietet eine Reihe von Effecten, die zwar
meist materieller Natur, aber von unzweifelhafter Wirkung sind, mit geschickter Hand
so zusammengestellt, daß sie neben und durch einander um so kräftiger wirken.
Zuerst der feenhafte, phantastische Venusberg mit Rosenlicht und Ballet, dann im
Contrast dazu die Wartburg im hellen Sonnenschein, der Hirtenknabe mit Schal¬
mei und Glocken, der Pilgerchor, endlich die Jäger -- über der reichen Abwechs¬
lung kau" man wohl die Mängel und Lücke" der poetischen Gestaltung übersehen,
und überhören, daß der wesentliche Charakter der Musik doch nur dem der De-
corationsmalerei entspricht, die auch ihre Effecte hat, uur daß es nicht die höchsten,
nicht die eigentlich künstlerischen sind. Indessen macht dieser Reichthum des ersten
Actes einigermaßen für die folgenden besorgt: werden diese Mittel ausreichen?
sind andere zu erwarten?

Der folgende Act stellt zunächst das Liebesverhältniß zwischen Elisabeth und
Tannhäuser dar, und hier sind einfache Situationen gegeben, die dem lyrischen
Charakter der Musik ganz entsprechen und dem Komponisten Gelegenheit gegeben
hätten zu zeigen, was er mit den in der Musik selbst liegeudeu Kräften zu erreichen
vermag. Er hat sie nicht benutzt. Eine Seelenstimmung einfach und wahr aufzufassen
und wiederzugeben vermag er nicht, weil ihm die Tiefe und Ursprünglichkeit der
Empfindung abgeht; wo er nicht einzelne Momente stark betonen und dadurch
charakterisiren kann, wird er unbedeutend. Daher ist ihm der Charakter der Elisa-


i3*

erwartet nun, daß die Kühe, nachdem sie sich so lange hinter der Scene bemerk¬
bar gemacht haben, auch wirklick) auf der Bühne erscheinen, statt dessen aber kün¬
digt ferner Gesang die herannahenden Pilger an. Der Chor derselben, der dann
oft wiederholt wird, ist zwar nicht tief und warm empfunden, aber mit Ausnahme
einiger sehr widerharigcr Härten wohlklingend, bestimmt ausgeprägt und besonders
für den Effect des Herankommens aus der Ferne und des Verkliugens gut be-
rechnet, daher auch von guter Wirkung. Es ist Schade, daß Wagner diese
durch ungehörige Zuthäte» mehrmals schwächt, so im Anfang durch die Kuhglocken
nebst Schalmei, die sich auf eine Weise hineinmischen, die musikalisch und ästhe¬
tisch gleich unbefriedigend ist, später durch die unglückliche Baßbeglcitnug, zuletzt
durch die anhaltenden Paukenwirbel, als sollte die Rückkehr der Pilger mit Böller¬
schüssen gefeiert werden. Die Pilger verlassen endlich, vom Geläute der Kirchenglocken
begleitet, die Bühne, Jagdfanfaren ertönen, der Landgraf mit den ritterlichen
Sängern tritt ans, sie erkennen Tannhäuser, dringen in ihn, zu bleiben, was er,
von Elisabeth's Liebe in Kenntniß gesetzt, zusagt; die allgemeine Befriedigung
spricht sich im Schlußsextett aus, während die Bühne sich mit Jäger» füllt. Diese
ganze Scene gehört zu denen, die die frischeste und entsprechendste Wirkung
machen, die Hörner sind geschickt verwendet und der Schlußsatz, ohne sehr bedeu¬
tend und originell zu sein, ist so angelegt, daß man das Gefühl einer bestimmten
Form behält, und klingt recht schön.

Man sieht also, dieser erste Act bietet eine Reihe von Effecten, die zwar
meist materieller Natur, aber von unzweifelhafter Wirkung sind, mit geschickter Hand
so zusammengestellt, daß sie neben und durch einander um so kräftiger wirken.
Zuerst der feenhafte, phantastische Venusberg mit Rosenlicht und Ballet, dann im
Contrast dazu die Wartburg im hellen Sonnenschein, der Hirtenknabe mit Schal¬
mei und Glocken, der Pilgerchor, endlich die Jäger — über der reichen Abwechs¬
lung kau» man wohl die Mängel und Lücke» der poetischen Gestaltung übersehen,
und überhören, daß der wesentliche Charakter der Musik doch nur dem der De-
corationsmalerei entspricht, die auch ihre Effecte hat, uur daß es nicht die höchsten,
nicht die eigentlich künstlerischen sind. Indessen macht dieser Reichthum des ersten
Actes einigermaßen für die folgenden besorgt: werden diese Mittel ausreichen?
sind andere zu erwarten?

Der folgende Act stellt zunächst das Liebesverhältniß zwischen Elisabeth und
Tannhäuser dar, und hier sind einfache Situationen gegeben, die dem lyrischen
Charakter der Musik ganz entsprechen und dem Komponisten Gelegenheit gegeben
hätten zu zeigen, was er mit den in der Musik selbst liegeudeu Kräften zu erreichen
vermag. Er hat sie nicht benutzt. Eine Seelenstimmung einfach und wahr aufzufassen
und wiederzugeben vermag er nicht, weil ihm die Tiefe und Ursprünglichkeit der
Empfindung abgeht; wo er nicht einzelne Momente stark betonen und dadurch
charakterisiren kann, wird er unbedeutend. Daher ist ihm der Charakter der Elisa-


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[0347] erwartet nun, daß die Kühe, nachdem sie sich so lange hinter der Scene bemerk¬ bar gemacht haben, auch wirklick) auf der Bühne erscheinen, statt dessen aber kün¬ digt ferner Gesang die herannahenden Pilger an. Der Chor derselben, der dann oft wiederholt wird, ist zwar nicht tief und warm empfunden, aber mit Ausnahme einiger sehr widerharigcr Härten wohlklingend, bestimmt ausgeprägt und besonders für den Effect des Herankommens aus der Ferne und des Verkliugens gut be- rechnet, daher auch von guter Wirkung. Es ist Schade, daß Wagner diese durch ungehörige Zuthäte» mehrmals schwächt, so im Anfang durch die Kuhglocken nebst Schalmei, die sich auf eine Weise hineinmischen, die musikalisch und ästhe¬ tisch gleich unbefriedigend ist, später durch die unglückliche Baßbeglcitnug, zuletzt durch die anhaltenden Paukenwirbel, als sollte die Rückkehr der Pilger mit Böller¬ schüssen gefeiert werden. Die Pilger verlassen endlich, vom Geläute der Kirchenglocken begleitet, die Bühne, Jagdfanfaren ertönen, der Landgraf mit den ritterlichen Sängern tritt ans, sie erkennen Tannhäuser, dringen in ihn, zu bleiben, was er, von Elisabeth's Liebe in Kenntniß gesetzt, zusagt; die allgemeine Befriedigung spricht sich im Schlußsextett aus, während die Bühne sich mit Jäger» füllt. Diese ganze Scene gehört zu denen, die die frischeste und entsprechendste Wirkung machen, die Hörner sind geschickt verwendet und der Schlußsatz, ohne sehr bedeu¬ tend und originell zu sein, ist so angelegt, daß man das Gefühl einer bestimmten Form behält, und klingt recht schön. Man sieht also, dieser erste Act bietet eine Reihe von Effecten, die zwar meist materieller Natur, aber von unzweifelhafter Wirkung sind, mit geschickter Hand so zusammengestellt, daß sie neben und durch einander um so kräftiger wirken. Zuerst der feenhafte, phantastische Venusberg mit Rosenlicht und Ballet, dann im Contrast dazu die Wartburg im hellen Sonnenschein, der Hirtenknabe mit Schal¬ mei und Glocken, der Pilgerchor, endlich die Jäger — über der reichen Abwechs¬ lung kau» man wohl die Mängel und Lücke» der poetischen Gestaltung übersehen, und überhören, daß der wesentliche Charakter der Musik doch nur dem der De- corationsmalerei entspricht, die auch ihre Effecte hat, uur daß es nicht die höchsten, nicht die eigentlich künstlerischen sind. Indessen macht dieser Reichthum des ersten Actes einigermaßen für die folgenden besorgt: werden diese Mittel ausreichen? sind andere zu erwarten? Der folgende Act stellt zunächst das Liebesverhältniß zwischen Elisabeth und Tannhäuser dar, und hier sind einfache Situationen gegeben, die dem lyrischen Charakter der Musik ganz entsprechen und dem Komponisten Gelegenheit gegeben hätten zu zeigen, was er mit den in der Musik selbst liegeudeu Kräften zu erreichen vermag. Er hat sie nicht benutzt. Eine Seelenstimmung einfach und wahr aufzufassen und wiederzugeben vermag er nicht, weil ihm die Tiefe und Ursprünglichkeit der Empfindung abgeht; wo er nicht einzelne Momente stark betonen und dadurch charakterisiren kann, wird er unbedeutend. Daher ist ihm der Charakter der Elisa- i3*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/347>, abgerufen am 29.12.2024.