Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

im Benusbcrg mich musikalisch zu charakterisiren, ist davon auf Venus selbst, die doch
der Mittelpunkt ist, in dem sich Alles concentrirt, gar nichts übergegangen; sie singt
wie jedes leidenschaftliche Weib, wie alle anderen Personen der Oper, "ut weder
innere noch änßere Charakteristik individualisirt sie. Eben so deutlich tritt dies
Unvermögen einer wahren Charakteristik auch in der musikalischen Gestaltung des
Sängerkampfes hervor, wie wir es schon bei der poetischen wahrnahmen. Hier
war eine bedeutende Ausgabe auch für den Musiker gestellt, die recht eigentlich im
Bereich seiner Kunst liegt, und an der Erfindungskraft, Eigenthümlichkeit und
Gewandtheit in der Formgebung und Charakteristik eines Meisters sich bewähren
konnten. Allein die Säuger siud trocken und monoton dargestellt, und wenn dies
etwa geschehen ist, um das Interesse auf Tannhäuser zu concentriren, so verräth
das eben eine Schwäche des Productiousvermögens.

Wenn man an den Tannhäuser, wie im Obigen geschehen ist, den Maßstab
anlegt, den Wagner selbst gebraucht wissen will, mit dem man große Künstler
und wahre Kunstwerke mißt, so kann derselbe, wie wir sahen, nicht bestehen.
Am Wenigsten kann man diese Oper als den AuLgaugspuukt eiuer neuen, refor¬
matorischen Richtung in der Musik gelten lassen; diese zu begründen, erfordert
vor Allem schöpferisches Genie, und dieses mußten wir Wagner absprechen. Auch
ist keineswegs bei dieser Oper Alles neu, was sich dafür ausgeben möchte, bei
Weitem das Meiste gewinnt diesen Anschein nur durch die einseitigste Uebertrei¬
bung mancher theils wahrer, aber längst bekannter Beobachtungen, die aus diese
Weise nur verzerrt werden, theils sehr problematischer Principien, die dnrch Ueber¬
treibung noch nicht wahr werden; Anderes ist untergeordneter Natur, wenn mau
das Ganze im Ange hat. Dabei kann die Oper immerhin ein Beweis für das
ernste Streben des Componisten nach Wahrheit sein, und wir glauben seiner
Versicherung gern; allein ob er ans dem rechte" Wege sei, ob er sei" Ziel er¬
reicht habe, darüber ist er nicht Richter, -- jeder Künstler hat diese Meinung
von sich, wenn anch nicht alle sie gleich unbefangen aussprechen, -- und wenn er
uns auch noch so oft nud uoch so laut versichert, daß dem wirklich so sei, so fragen
wir doch darnach nicht ihn -- noch weniger freilich die Herolde, die in Leipzig
für ihn in die Kindertrompete stoßen -- sondern seine Werte.

Sehen wir also ab von diesen großartigen Vorstellungen, betrachten die
Oper wie eine andere, und lassen sie in ihren Eiuzel"selten an uns vorüber¬
gehe".

Tannhäuser hat noch eine Ouvertüre, und es ist uns mit großer Emphase
versichert worden, eS sei die letzte, die Wagner geschrieben habe. In der That
ist Wagner bei allem Geschick, Jnstrnmentaleffecte aufzufinden und anzuwenden,
dennoch kein Justrumentalcomponist, wie sich dies in der Ouvertüre "ud allen kam-'
gereu Orchestersätzcu deutlich kund giebt. Die Instrumentalmusik, die sich nicht
an einen Text anranken und dessen einzelnen Gedanken und Worten folgen kann,


im Benusbcrg mich musikalisch zu charakterisiren, ist davon auf Venus selbst, die doch
der Mittelpunkt ist, in dem sich Alles concentrirt, gar nichts übergegangen; sie singt
wie jedes leidenschaftliche Weib, wie alle anderen Personen der Oper, »ut weder
innere noch änßere Charakteristik individualisirt sie. Eben so deutlich tritt dies
Unvermögen einer wahren Charakteristik auch in der musikalischen Gestaltung des
Sängerkampfes hervor, wie wir es schon bei der poetischen wahrnahmen. Hier
war eine bedeutende Ausgabe auch für den Musiker gestellt, die recht eigentlich im
Bereich seiner Kunst liegt, und an der Erfindungskraft, Eigenthümlichkeit und
Gewandtheit in der Formgebung und Charakteristik eines Meisters sich bewähren
konnten. Allein die Säuger siud trocken und monoton dargestellt, und wenn dies
etwa geschehen ist, um das Interesse auf Tannhäuser zu concentriren, so verräth
das eben eine Schwäche des Productiousvermögens.

Wenn man an den Tannhäuser, wie im Obigen geschehen ist, den Maßstab
anlegt, den Wagner selbst gebraucht wissen will, mit dem man große Künstler
und wahre Kunstwerke mißt, so kann derselbe, wie wir sahen, nicht bestehen.
Am Wenigsten kann man diese Oper als den AuLgaugspuukt eiuer neuen, refor¬
matorischen Richtung in der Musik gelten lassen; diese zu begründen, erfordert
vor Allem schöpferisches Genie, und dieses mußten wir Wagner absprechen. Auch
ist keineswegs bei dieser Oper Alles neu, was sich dafür ausgeben möchte, bei
Weitem das Meiste gewinnt diesen Anschein nur durch die einseitigste Uebertrei¬
bung mancher theils wahrer, aber längst bekannter Beobachtungen, die aus diese
Weise nur verzerrt werden, theils sehr problematischer Principien, die dnrch Ueber¬
treibung noch nicht wahr werden; Anderes ist untergeordneter Natur, wenn mau
das Ganze im Ange hat. Dabei kann die Oper immerhin ein Beweis für das
ernste Streben des Componisten nach Wahrheit sein, und wir glauben seiner
Versicherung gern; allein ob er ans dem rechte» Wege sei, ob er sei» Ziel er¬
reicht habe, darüber ist er nicht Richter, — jeder Künstler hat diese Meinung
von sich, wenn anch nicht alle sie gleich unbefangen aussprechen, — und wenn er
uns auch noch so oft nud uoch so laut versichert, daß dem wirklich so sei, so fragen
wir doch darnach nicht ihn — noch weniger freilich die Herolde, die in Leipzig
für ihn in die Kindertrompete stoßen — sondern seine Werte.

Sehen wir also ab von diesen großartigen Vorstellungen, betrachten die
Oper wie eine andere, und lassen sie in ihren Eiuzel»selten an uns vorüber¬
gehe».

Tannhäuser hat noch eine Ouvertüre, und es ist uns mit großer Emphase
versichert worden, eS sei die letzte, die Wagner geschrieben habe. In der That
ist Wagner bei allem Geschick, Jnstrnmentaleffecte aufzufinden und anzuwenden,
dennoch kein Justrumentalcomponist, wie sich dies in der Ouvertüre »ud allen kam-'
gereu Orchestersätzcu deutlich kund giebt. Die Instrumentalmusik, die sich nicht
an einen Text anranken und dessen einzelnen Gedanken und Worten folgen kann,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0344" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186220"/>
          <p xml:id="ID_1065" prev="#ID_1064"> im Benusbcrg mich musikalisch zu charakterisiren, ist davon auf Venus selbst, die doch<lb/>
der Mittelpunkt ist, in dem sich Alles concentrirt, gar nichts übergegangen; sie singt<lb/>
wie jedes leidenschaftliche Weib, wie alle anderen Personen der Oper, »ut weder<lb/>
innere noch änßere Charakteristik individualisirt sie. Eben so deutlich tritt dies<lb/>
Unvermögen einer wahren Charakteristik auch in der musikalischen Gestaltung des<lb/>
Sängerkampfes hervor, wie wir es schon bei der poetischen wahrnahmen. Hier<lb/>
war eine bedeutende Ausgabe auch für den Musiker gestellt, die recht eigentlich im<lb/>
Bereich seiner Kunst liegt, und an der Erfindungskraft, Eigenthümlichkeit und<lb/>
Gewandtheit in der Formgebung und Charakteristik eines Meisters sich bewähren<lb/>
konnten. Allein die Säuger siud trocken und monoton dargestellt, und wenn dies<lb/>
etwa geschehen ist, um das Interesse auf Tannhäuser zu concentriren, so verräth<lb/>
das eben eine Schwäche des Productiousvermögens.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1066"> Wenn man an den Tannhäuser, wie im Obigen geschehen ist, den Maßstab<lb/>
anlegt, den Wagner selbst gebraucht wissen will, mit dem man große Künstler<lb/>
und wahre Kunstwerke mißt, so kann derselbe, wie wir sahen, nicht bestehen.<lb/>
Am Wenigsten kann man diese Oper als den AuLgaugspuukt eiuer neuen, refor¬<lb/>
matorischen Richtung in der Musik gelten lassen; diese zu begründen, erfordert<lb/>
vor Allem schöpferisches Genie, und dieses mußten wir Wagner absprechen. Auch<lb/>
ist keineswegs bei dieser Oper Alles neu, was sich dafür ausgeben möchte, bei<lb/>
Weitem das Meiste gewinnt diesen Anschein nur durch die einseitigste Uebertrei¬<lb/>
bung mancher theils wahrer, aber längst bekannter Beobachtungen, die aus diese<lb/>
Weise nur verzerrt werden, theils sehr problematischer Principien, die dnrch Ueber¬<lb/>
treibung noch nicht wahr werden; Anderes ist untergeordneter Natur, wenn mau<lb/>
das Ganze im Ange hat. Dabei kann die Oper immerhin ein Beweis für das<lb/>
ernste Streben des Componisten nach Wahrheit sein, und wir glauben seiner<lb/>
Versicherung gern; allein ob er ans dem rechte» Wege sei, ob er sei» Ziel er¬<lb/>
reicht habe, darüber ist er nicht Richter, &#x2014; jeder Künstler hat diese Meinung<lb/>
von sich, wenn anch nicht alle sie gleich unbefangen aussprechen, &#x2014; und wenn er<lb/>
uns auch noch so oft nud uoch so laut versichert, daß dem wirklich so sei, so fragen<lb/>
wir doch darnach nicht ihn &#x2014; noch weniger freilich die Herolde, die in Leipzig<lb/>
für ihn in die Kindertrompete stoßen &#x2014; sondern seine Werte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1067"> Sehen wir also ab von diesen großartigen Vorstellungen, betrachten die<lb/>
Oper wie eine andere, und lassen sie in ihren Eiuzel»selten an uns vorüber¬<lb/>
gehe».</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1068" next="#ID_1069"> Tannhäuser hat noch eine Ouvertüre, und es ist uns mit großer Emphase<lb/>
versichert worden, eS sei die letzte, die Wagner geschrieben habe. In der That<lb/>
ist Wagner bei allem Geschick, Jnstrnmentaleffecte aufzufinden und anzuwenden,<lb/>
dennoch kein Justrumentalcomponist, wie sich dies in der Ouvertüre »ud allen kam-'<lb/>
gereu Orchestersätzcu deutlich kund giebt. Die Instrumentalmusik, die sich nicht<lb/>
an einen Text anranken und dessen einzelnen Gedanken und Worten folgen kann,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0344] im Benusbcrg mich musikalisch zu charakterisiren, ist davon auf Venus selbst, die doch der Mittelpunkt ist, in dem sich Alles concentrirt, gar nichts übergegangen; sie singt wie jedes leidenschaftliche Weib, wie alle anderen Personen der Oper, »ut weder innere noch änßere Charakteristik individualisirt sie. Eben so deutlich tritt dies Unvermögen einer wahren Charakteristik auch in der musikalischen Gestaltung des Sängerkampfes hervor, wie wir es schon bei der poetischen wahrnahmen. Hier war eine bedeutende Ausgabe auch für den Musiker gestellt, die recht eigentlich im Bereich seiner Kunst liegt, und an der Erfindungskraft, Eigenthümlichkeit und Gewandtheit in der Formgebung und Charakteristik eines Meisters sich bewähren konnten. Allein die Säuger siud trocken und monoton dargestellt, und wenn dies etwa geschehen ist, um das Interesse auf Tannhäuser zu concentriren, so verräth das eben eine Schwäche des Productiousvermögens. Wenn man an den Tannhäuser, wie im Obigen geschehen ist, den Maßstab anlegt, den Wagner selbst gebraucht wissen will, mit dem man große Künstler und wahre Kunstwerke mißt, so kann derselbe, wie wir sahen, nicht bestehen. Am Wenigsten kann man diese Oper als den AuLgaugspuukt eiuer neuen, refor¬ matorischen Richtung in der Musik gelten lassen; diese zu begründen, erfordert vor Allem schöpferisches Genie, und dieses mußten wir Wagner absprechen. Auch ist keineswegs bei dieser Oper Alles neu, was sich dafür ausgeben möchte, bei Weitem das Meiste gewinnt diesen Anschein nur durch die einseitigste Uebertrei¬ bung mancher theils wahrer, aber längst bekannter Beobachtungen, die aus diese Weise nur verzerrt werden, theils sehr problematischer Principien, die dnrch Ueber¬ treibung noch nicht wahr werden; Anderes ist untergeordneter Natur, wenn mau das Ganze im Ange hat. Dabei kann die Oper immerhin ein Beweis für das ernste Streben des Componisten nach Wahrheit sein, und wir glauben seiner Versicherung gern; allein ob er ans dem rechte» Wege sei, ob er sei» Ziel er¬ reicht habe, darüber ist er nicht Richter, — jeder Künstler hat diese Meinung von sich, wenn anch nicht alle sie gleich unbefangen aussprechen, — und wenn er uns auch noch so oft nud uoch so laut versichert, daß dem wirklich so sei, so fragen wir doch darnach nicht ihn — noch weniger freilich die Herolde, die in Leipzig für ihn in die Kindertrompete stoßen — sondern seine Werte. Sehen wir also ab von diesen großartigen Vorstellungen, betrachten die Oper wie eine andere, und lassen sie in ihren Eiuzel»selten an uns vorüber¬ gehe». Tannhäuser hat noch eine Ouvertüre, und es ist uns mit großer Emphase versichert worden, eS sei die letzte, die Wagner geschrieben habe. In der That ist Wagner bei allem Geschick, Jnstrnmentaleffecte aufzufinden und anzuwenden, dennoch kein Justrumentalcomponist, wie sich dies in der Ouvertüre »ud allen kam-' gereu Orchestersätzcu deutlich kund giebt. Die Instrumentalmusik, die sich nicht an einen Text anranken und dessen einzelnen Gedanken und Worten folgen kann,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/344
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/344>, abgerufen am 29.12.2024.