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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Und in der That ist tels sehr bedenklich, das! Wagner gar keine andere Forderung
stellt und ganz zu vergessen scheint, daß dramatische Musik doch zuerst und vor allen
Musik ist und bleibt, daß die Musik wie jede Kunst ihre eigenen und innersten
Gesetze nud Bedingungen hat, die sie, wo sie mit andern in Verbindung tritt,
also auch im dramatischen Interesse wohl modificiren, aber nie aufgeben kann, weil
auf ihnen ihre Existenz beruht. Von einer Ausgleichung verschiedener Interessen
und Einflüsse hören wir aber nichts, sondern es heißt nur: dramatisch! Und wie
gewöhnlich verfehlt das Stich- und Schlagwort seine Wirkung nicht, und das
8frönen pecus haudthiert damit fort. Indessen da wir uns hier an den Tann-
häuser halten, in dem die Konsequenzen dieser Forderung uoch nicht vollständig
bis ins Absurde getrieben sind, so wollen wir die Principienfrage auf sich beru¬
hen lassen.

Im Tannhäuser sind freilich keine Arien, Duetts u. s. w. ganz in der sonst
üblichen Form, allein es finden sich doch Musikstücke, ein- und mehrstimmige, denen
eine bleibende Stimmung zu Grunde liegt, und die eine in Melodie und Rhythmus
bestimmt ausgeprägte und in sich abgeschlossene Form anstreben. In diesen Sätzen,
die der Dichter hervorgehoben hat, müßte also auch der Musiker sich hervorragend
bewähren. Allein es zeigt sich in ihnen, daß es Wagner an wahrer Erfindungs¬
kraft fehlt, weil ihm die tiefe, ursprünglich musikalische Empfindung mangelt; seine
musikalische Auffassung ist nicht die primitive, sondern durch etwas Anderes ver¬
mittelt, und zwar ist dies nicht nur die poetische Anregung, vielmehr häufiger noch
eine von außen eindringende Reflexion. Daher schafft er nur im Einzelnen; hier
hat er überraschende, treffende Einfälle, allein wo ein Gedanke erfordert wird,
tief und bedeutend genug, um aus ihm ein Ganzes zu gestalten, da fehlt es.
Er versteht, wie die meisten heutigen Komponisten, vorzubereiten, zu spannen,
weil dies durch formale Geschicklichkeit zu erreichen ist, allein anstatt die erregten
Erwartungen in der That durch große Ideen zu befriedigen, müssen musikalische
Redensarten herhalten, die freilich einem ungebildeten Publicum gerade wie in der
Poesie oft noch besser als Gedanken gefallen. Nicht einmal das Element der
Leidenschaft drückt er mit nachhaltiger Kraft und Energie aus," weil es ihm auch
hier an Tiefe fehlt; statt Feuer und Wärme macht sich vielmehr ein aufgeregtes,
bis zur Fieberhaftigkeit exaltirtes Wesen geltend, das in entsprechender Weise
wirkt: seine Musik irritirt, aber sie ergreift nicht. In der äußern Form längerer
Sätze, im Zuschnitt der Melodie, in der Behandlung des Rhythmus, namentlich
in gewissen Mitteln, ihm eine frischere Hebung zu geben -- wobei die Sänger
eine elegant-heroische Positur anzunehmen pflegen -- ist der Einfluß Meyerbeer's
unverkennbar, mitunter wird man sogar an italienische Manier erinnert.

Indessen den Hauptwerth legt Wagner auf die specifisch-dramatische Musik,
die mit ihrer Charakteristik den Dialog Wort für Wort und die Handlung Schritt
für Schritt begleitet. Den Impuls gab hier wol Weber, der in seiner Euryanthe


Und in der That ist tels sehr bedenklich, das! Wagner gar keine andere Forderung
stellt und ganz zu vergessen scheint, daß dramatische Musik doch zuerst und vor allen
Musik ist und bleibt, daß die Musik wie jede Kunst ihre eigenen und innersten
Gesetze nud Bedingungen hat, die sie, wo sie mit andern in Verbindung tritt,
also auch im dramatischen Interesse wohl modificiren, aber nie aufgeben kann, weil
auf ihnen ihre Existenz beruht. Von einer Ausgleichung verschiedener Interessen
und Einflüsse hören wir aber nichts, sondern es heißt nur: dramatisch! Und wie
gewöhnlich verfehlt das Stich- und Schlagwort seine Wirkung nicht, und das
8frönen pecus haudthiert damit fort. Indessen da wir uns hier an den Tann-
häuser halten, in dem die Konsequenzen dieser Forderung uoch nicht vollständig
bis ins Absurde getrieben sind, so wollen wir die Principienfrage auf sich beru¬
hen lassen.

Im Tannhäuser sind freilich keine Arien, Duetts u. s. w. ganz in der sonst
üblichen Form, allein es finden sich doch Musikstücke, ein- und mehrstimmige, denen
eine bleibende Stimmung zu Grunde liegt, und die eine in Melodie und Rhythmus
bestimmt ausgeprägte und in sich abgeschlossene Form anstreben. In diesen Sätzen,
die der Dichter hervorgehoben hat, müßte also auch der Musiker sich hervorragend
bewähren. Allein es zeigt sich in ihnen, daß es Wagner an wahrer Erfindungs¬
kraft fehlt, weil ihm die tiefe, ursprünglich musikalische Empfindung mangelt; seine
musikalische Auffassung ist nicht die primitive, sondern durch etwas Anderes ver¬
mittelt, und zwar ist dies nicht nur die poetische Anregung, vielmehr häufiger noch
eine von außen eindringende Reflexion. Daher schafft er nur im Einzelnen; hier
hat er überraschende, treffende Einfälle, allein wo ein Gedanke erfordert wird,
tief und bedeutend genug, um aus ihm ein Ganzes zu gestalten, da fehlt es.
Er versteht, wie die meisten heutigen Komponisten, vorzubereiten, zu spannen,
weil dies durch formale Geschicklichkeit zu erreichen ist, allein anstatt die erregten
Erwartungen in der That durch große Ideen zu befriedigen, müssen musikalische
Redensarten herhalten, die freilich einem ungebildeten Publicum gerade wie in der
Poesie oft noch besser als Gedanken gefallen. Nicht einmal das Element der
Leidenschaft drückt er mit nachhaltiger Kraft und Energie aus," weil es ihm auch
hier an Tiefe fehlt; statt Feuer und Wärme macht sich vielmehr ein aufgeregtes,
bis zur Fieberhaftigkeit exaltirtes Wesen geltend, das in entsprechender Weise
wirkt: seine Musik irritirt, aber sie ergreift nicht. In der äußern Form längerer
Sätze, im Zuschnitt der Melodie, in der Behandlung des Rhythmus, namentlich
in gewissen Mitteln, ihm eine frischere Hebung zu geben — wobei die Sänger
eine elegant-heroische Positur anzunehmen pflegen — ist der Einfluß Meyerbeer's
unverkennbar, mitunter wird man sogar an italienische Manier erinnert.

Indessen den Hauptwerth legt Wagner auf die specifisch-dramatische Musik,
die mit ihrer Charakteristik den Dialog Wort für Wort und die Handlung Schritt
für Schritt begleitet. Den Impuls gab hier wol Weber, der in seiner Euryanthe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/341>, abgerufen am 24.07.2024.