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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Leute zureisen, sucht man umsonst auf den Straßen nach solchen Gestalten. Das
hiesige Proletariat wohnt höher, trägt einen schwarzen Rock und eine verschämt
zugeknöpfte Weste, ist selten Fraukfurterischen Blutes und wird nicht bemerkt oder
fortgeschickt, wenn es sich unbequem macht. Dagegen hat der Frankfurter Arme,
wenn er gar nicht in eine kleine Stelle untergebracht werden kann, mit großer
Sicherheit auf reichliche Unterstützung zu rechnen. Wohlthätigkeit gehört zu den
liebenswürdigsten der reichsstädtischen Charaktereigenschaften, und die Verpfle¬
gung derer, welche in Armuth noch vom Siechthum heimgesucht werden, ist durch
Stiftungen und Anstalten von jeher in wahrhaft großartiger Weise gesichert,
während die Rechnungen des Armenpflcgeraths alljährlich von Neuem beweisen,
daß der heutige Frankfurter im Sinne für die Noth der verschämten Armen seinen
Voreltern nicht nachsteht.

Den entschieden Gesinnnngstüchtigen des Jahres 1848 war und ist jedoch
der Bürgerverein politisch viel zu tolerant, in seinen Ordnungsformcn vielleicht
zu "aristokratisch". Sie gründeten den "neuen Bürgerverein" mit ö Fi. Jahres¬
beitrag, in dessen mit dem Verwelken der demokratischen Journalblüthen sehr ent¬
blätterten Lesezimmer die Tabakswolke frei umherkreist. Seinen Ableger fand er
im "Bürgerverein zu Sachsenhauser".

Von allen diesen Vereinen veranstaltet nnr das Casino allwinters einige
Bälle, welche unter den öffentlichen sogar die einzigen sind, denen auch die diplo¬
matische und finanzielle Kautv volve ihre Gegenwart nicht entzieht. Doch sind
diese Elemente weder vorherrschend, noch die Bälle selbst schwer zugänglich. Der
Grundstock einer Gesellschaft aber, welche sich nicht blos zu den Ballabenden ver¬
sammelt, giebt ihnen einen angenehmen Halt, um welchen sich die übrigen Ball¬
gäste in wohlthuender Ungezwungenheit bewegen. Ungefähr dieselben Verhältnisse
herrschen auch auf den Bällen, welche die Verwandten und Bekannten der Logen
Sokrates und Carl bisweilen vereinigen; und hier, wie auf deu Bällen der Ball¬
gesellschaft Harmonie schlüpft schon mitunter el" weißseidenes Handschuhpaar
zwischen den gards xlacvs bivn ^kmtkL umher. Mit dem Wolsseck endlich he-
mme n die Gasthausbälle, zu denen Zeitungsannoncen einladen. Ein Paar
Maskenbälle des Theaters sind eben Theatermaskenbälle; Homburg aber bietet
außerdem alle möglichen Arten Bälle in seinem Marmorsaale, bei denen ports-
liwimmv und voswme stets co rixeur verlangt werden -- sonst nichts.

Neben diesen, dem Tanz und conversativnellcr Unterhaltung gewidmeten Ge¬
sellschaften, vereinen sich natürlich eine Menge anderer zu Gesang, Musik und
Theater. Oftmals, um dadurch wohlthätigen Zwecken zu genügen. Unter ihnen
stehen obenan der Cäcilienverein und das Museum. Ersterer widmet sich fast
ausschließlich der sogenannten classischen Musik, während die trefflichen Museums-
cvncerte auch die Vorführung neuerer und neuester Meister nicht verschmähen.
Die theils populair wissenschaftlichen, theils* belletristischen Vorlesungen sind da-


Leute zureisen, sucht man umsonst auf den Straßen nach solchen Gestalten. Das
hiesige Proletariat wohnt höher, trägt einen schwarzen Rock und eine verschämt
zugeknöpfte Weste, ist selten Fraukfurterischen Blutes und wird nicht bemerkt oder
fortgeschickt, wenn es sich unbequem macht. Dagegen hat der Frankfurter Arme,
wenn er gar nicht in eine kleine Stelle untergebracht werden kann, mit großer
Sicherheit auf reichliche Unterstützung zu rechnen. Wohlthätigkeit gehört zu den
liebenswürdigsten der reichsstädtischen Charaktereigenschaften, und die Verpfle¬
gung derer, welche in Armuth noch vom Siechthum heimgesucht werden, ist durch
Stiftungen und Anstalten von jeher in wahrhaft großartiger Weise gesichert,
während die Rechnungen des Armenpflcgeraths alljährlich von Neuem beweisen,
daß der heutige Frankfurter im Sinne für die Noth der verschämten Armen seinen
Voreltern nicht nachsteht.

Den entschieden Gesinnnngstüchtigen des Jahres 1848 war und ist jedoch
der Bürgerverein politisch viel zu tolerant, in seinen Ordnungsformcn vielleicht
zu „aristokratisch". Sie gründeten den „neuen Bürgerverein" mit ö Fi. Jahres¬
beitrag, in dessen mit dem Verwelken der demokratischen Journalblüthen sehr ent¬
blätterten Lesezimmer die Tabakswolke frei umherkreist. Seinen Ableger fand er
im „Bürgerverein zu Sachsenhauser".

Von allen diesen Vereinen veranstaltet nnr das Casino allwinters einige
Bälle, welche unter den öffentlichen sogar die einzigen sind, denen auch die diplo¬
matische und finanzielle Kautv volve ihre Gegenwart nicht entzieht. Doch sind
diese Elemente weder vorherrschend, noch die Bälle selbst schwer zugänglich. Der
Grundstock einer Gesellschaft aber, welche sich nicht blos zu den Ballabenden ver¬
sammelt, giebt ihnen einen angenehmen Halt, um welchen sich die übrigen Ball¬
gäste in wohlthuender Ungezwungenheit bewegen. Ungefähr dieselben Verhältnisse
herrschen auch auf den Bällen, welche die Verwandten und Bekannten der Logen
Sokrates und Carl bisweilen vereinigen; und hier, wie auf deu Bällen der Ball¬
gesellschaft Harmonie schlüpft schon mitunter el» weißseidenes Handschuhpaar
zwischen den gards xlacvs bivn ^kmtkL umher. Mit dem Wolsseck endlich he-
mme n die Gasthausbälle, zu denen Zeitungsannoncen einladen. Ein Paar
Maskenbälle des Theaters sind eben Theatermaskenbälle; Homburg aber bietet
außerdem alle möglichen Arten Bälle in seinem Marmorsaale, bei denen ports-
liwimmv und voswme stets co rixeur verlangt werden — sonst nichts.

Neben diesen, dem Tanz und conversativnellcr Unterhaltung gewidmeten Ge¬
sellschaften, vereinen sich natürlich eine Menge anderer zu Gesang, Musik und
Theater. Oftmals, um dadurch wohlthätigen Zwecken zu genügen. Unter ihnen
stehen obenan der Cäcilienverein und das Museum. Ersterer widmet sich fast
ausschließlich der sogenannten classischen Musik, während die trefflichen Museums-
cvncerte auch die Vorführung neuerer und neuester Meister nicht verschmähen.
Die theils populair wissenschaftlichen, theils* belletristischen Vorlesungen sind da-


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[0300] Leute zureisen, sucht man umsonst auf den Straßen nach solchen Gestalten. Das hiesige Proletariat wohnt höher, trägt einen schwarzen Rock und eine verschämt zugeknöpfte Weste, ist selten Fraukfurterischen Blutes und wird nicht bemerkt oder fortgeschickt, wenn es sich unbequem macht. Dagegen hat der Frankfurter Arme, wenn er gar nicht in eine kleine Stelle untergebracht werden kann, mit großer Sicherheit auf reichliche Unterstützung zu rechnen. Wohlthätigkeit gehört zu den liebenswürdigsten der reichsstädtischen Charaktereigenschaften, und die Verpfle¬ gung derer, welche in Armuth noch vom Siechthum heimgesucht werden, ist durch Stiftungen und Anstalten von jeher in wahrhaft großartiger Weise gesichert, während die Rechnungen des Armenpflcgeraths alljährlich von Neuem beweisen, daß der heutige Frankfurter im Sinne für die Noth der verschämten Armen seinen Voreltern nicht nachsteht. Den entschieden Gesinnnngstüchtigen des Jahres 1848 war und ist jedoch der Bürgerverein politisch viel zu tolerant, in seinen Ordnungsformcn vielleicht zu „aristokratisch". Sie gründeten den „neuen Bürgerverein" mit ö Fi. Jahres¬ beitrag, in dessen mit dem Verwelken der demokratischen Journalblüthen sehr ent¬ blätterten Lesezimmer die Tabakswolke frei umherkreist. Seinen Ableger fand er im „Bürgerverein zu Sachsenhauser". Von allen diesen Vereinen veranstaltet nnr das Casino allwinters einige Bälle, welche unter den öffentlichen sogar die einzigen sind, denen auch die diplo¬ matische und finanzielle Kautv volve ihre Gegenwart nicht entzieht. Doch sind diese Elemente weder vorherrschend, noch die Bälle selbst schwer zugänglich. Der Grundstock einer Gesellschaft aber, welche sich nicht blos zu den Ballabenden ver¬ sammelt, giebt ihnen einen angenehmen Halt, um welchen sich die übrigen Ball¬ gäste in wohlthuender Ungezwungenheit bewegen. Ungefähr dieselben Verhältnisse herrschen auch auf den Bällen, welche die Verwandten und Bekannten der Logen Sokrates und Carl bisweilen vereinigen; und hier, wie auf deu Bällen der Ball¬ gesellschaft Harmonie schlüpft schon mitunter el» weißseidenes Handschuhpaar zwischen den gards xlacvs bivn ^kmtkL umher. Mit dem Wolsseck endlich he- mme n die Gasthausbälle, zu denen Zeitungsannoncen einladen. Ein Paar Maskenbälle des Theaters sind eben Theatermaskenbälle; Homburg aber bietet außerdem alle möglichen Arten Bälle in seinem Marmorsaale, bei denen ports- liwimmv und voswme stets co rixeur verlangt werden — sonst nichts. Neben diesen, dem Tanz und conversativnellcr Unterhaltung gewidmeten Ge¬ sellschaften, vereinen sich natürlich eine Menge anderer zu Gesang, Musik und Theater. Oftmals, um dadurch wohlthätigen Zwecken zu genügen. Unter ihnen stehen obenan der Cäcilienverein und das Museum. Ersterer widmet sich fast ausschließlich der sogenannten classischen Musik, während die trefflichen Museums- cvncerte auch die Vorführung neuerer und neuester Meister nicht verschmähen. Die theils populair wissenschaftlichen, theils* belletristischen Vorlesungen sind da-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/300>, abgerufen am 28.12.2024.