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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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meinen nicht der größte Vorwurf, welcher gegenwärtig den deutschen Theatern
zu machen ist. - Diese Unabhängigkeit der einzelnen Bühnen verursacht dem Schrift¬
steller einige Arbeit.

Das erste Bestreben desselben muß sein, zu erfahre", ob sein Drama für die Auf¬
führung geeignet, ob in seinem Inhalt nichts Bedenkliches, und ob die Ausführung
den Gesetzen der Darstellung gemäß, d. h. bühnengerecht sei. Zu diesem
Zweck thut er gut, die Verbindung mit einer respectablen Bühne zu suchen, nicht
nur, damit sie sein Stück aufführe, sondern zunächst, damit die leitenden Kräfte
derselben ihn ehrlich und im Detail ihr Urtheil über Brauchbarkeit und Werth
seiner Arbeit mittheilen. Für den Oestreicher wird das Burgtheater wohl immer
die erste und letzte Instanz bilden, und die Persönlichkeit seines Dirigenten ist
vorzüglich geeignet, ihn zum Rathgeber und Förderer jüngerer Talente zu machen.
Sonst freilich sind die größte" Bühnen nicht gerade am willigste", diese erste
stille Arbeit dem Verfasser z" Gefälle" z" thun. Ihre Vorstände sind entweder
als Geschäftsleute zu viel beschäftigt, oder als repräsentirendc Hofchargen zu
wenig geneigt in Einzelnheiten einzugehen, auch ist das Einstudiren "euer Stücke
bei ihnen nicht so häufig, als bei Bühnen, welche el" kleineres Publicum haben.
Wir genießen gegenwärtig das Glück, einige mittlere Bühnen zu besitzen, deren
Directoren intelligente und warme Freunde der Kunst sind, z. B. Karlsruhe,
Weimar u. s. w. Der Dichter sende das Manuscript seines Dramas an diese,
und bitte um ihr Urtheil. Sie werde" ihm im günstigste" Fall wahrscheinlich
manche Aeiidernngen, fast sicher hier und da Kürznngeu vorschlagen. Die Kür¬
zungen und etwaige Aenderungen in Scenerie, Arrangement möge er möglichst
widerstandslos und willig acceptiren, es ist zehn gegen eins zu wetten, daß die
erfahrenen Rathgeber ihm gegenüber Recht haben. Aenderungen im Inhalt
möge er reiflich überlegen. Dies erste Eindringen der Kritik in den behaglichen
Frieden eines DichtergemütheS, welches sich gerade der Vollendung eines Werkes
freut, ist für eine weiche Orgauisativ" vielleicht schmerzlich, aber es ist gesund
wie el" frischer Luftzug in lauer Sommerl"se. Der Dichter soll sein Werk hoch¬
achte" und liebe", so lange er es als Ideal in sich trägt "ut tara" arbeitet;
das fertige Werk muß auch für ihn abgethan sein, es muß ihm fremd werden,
und damit er sich davon befreie, höre er aufmerksam auf die Kritik der Urteils¬
fähigen und fordere die strengste.

Hat der Dichter die zweckmäßigen Aenderungen vorgenommen, so wird sein
Werk bei dem Theater, mit dem er sich vertrauensvoll in Verbindung gesetzt hat,
wahrscheinlich bald aufgeführt werde". Ist es ihm möglich, dieser Aufführung
beizuwohnen, so wird das ihm sehr nützlich sein, weniger deshalb, weil er selbst
die Uebelstände und Mängel seiner Arbeit erkennen wird, denn bei jungen Schrift¬
stellern kommt die Selbsterkenntnis? nicht so schnell, sondern weil auch dem


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meinen nicht der größte Vorwurf, welcher gegenwärtig den deutschen Theatern
zu machen ist. - Diese Unabhängigkeit der einzelnen Bühnen verursacht dem Schrift¬
steller einige Arbeit.

Das erste Bestreben desselben muß sein, zu erfahre», ob sein Drama für die Auf¬
führung geeignet, ob in seinem Inhalt nichts Bedenkliches, und ob die Ausführung
den Gesetzen der Darstellung gemäß, d. h. bühnengerecht sei. Zu diesem
Zweck thut er gut, die Verbindung mit einer respectablen Bühne zu suchen, nicht
nur, damit sie sein Stück aufführe, sondern zunächst, damit die leitenden Kräfte
derselben ihn ehrlich und im Detail ihr Urtheil über Brauchbarkeit und Werth
seiner Arbeit mittheilen. Für den Oestreicher wird das Burgtheater wohl immer
die erste und letzte Instanz bilden, und die Persönlichkeit seines Dirigenten ist
vorzüglich geeignet, ihn zum Rathgeber und Förderer jüngerer Talente zu machen.
Sonst freilich sind die größte» Bühnen nicht gerade am willigste», diese erste
stille Arbeit dem Verfasser z» Gefälle» z» thun. Ihre Vorstände sind entweder
als Geschäftsleute zu viel beschäftigt, oder als repräsentirendc Hofchargen zu
wenig geneigt in Einzelnheiten einzugehen, auch ist das Einstudiren »euer Stücke
bei ihnen nicht so häufig, als bei Bühnen, welche el» kleineres Publicum haben.
Wir genießen gegenwärtig das Glück, einige mittlere Bühnen zu besitzen, deren
Directoren intelligente und warme Freunde der Kunst sind, z. B. Karlsruhe,
Weimar u. s. w. Der Dichter sende das Manuscript seines Dramas an diese,
und bitte um ihr Urtheil. Sie werde» ihm im günstigste» Fall wahrscheinlich
manche Aeiidernngen, fast sicher hier und da Kürznngeu vorschlagen. Die Kür¬
zungen und etwaige Aenderungen in Scenerie, Arrangement möge er möglichst
widerstandslos und willig acceptiren, es ist zehn gegen eins zu wetten, daß die
erfahrenen Rathgeber ihm gegenüber Recht haben. Aenderungen im Inhalt
möge er reiflich überlegen. Dies erste Eindringen der Kritik in den behaglichen
Frieden eines DichtergemütheS, welches sich gerade der Vollendung eines Werkes
freut, ist für eine weiche Orgauisativ» vielleicht schmerzlich, aber es ist gesund
wie el» frischer Luftzug in lauer Sommerl»se. Der Dichter soll sein Werk hoch¬
achte» und liebe», so lange er es als Ideal in sich trägt »ut tara» arbeitet;
das fertige Werk muß auch für ihn abgethan sein, es muß ihm fremd werden,
und damit er sich davon befreie, höre er aufmerksam auf die Kritik der Urteils¬
fähigen und fordere die strengste.

Hat der Dichter die zweckmäßigen Aenderungen vorgenommen, so wird sein
Werk bei dem Theater, mit dem er sich vertrauensvoll in Verbindung gesetzt hat,
wahrscheinlich bald aufgeführt werde». Ist es ihm möglich, dieser Aufführung
beizuwohnen, so wird das ihm sehr nützlich sein, weniger deshalb, weil er selbst
die Uebelstände und Mängel seiner Arbeit erkennen wird, denn bei jungen Schrift¬
stellern kommt die Selbsterkenntnis? nicht so schnell, sondern weil auch dem


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[0291] meinen nicht der größte Vorwurf, welcher gegenwärtig den deutschen Theatern zu machen ist. - Diese Unabhängigkeit der einzelnen Bühnen verursacht dem Schrift¬ steller einige Arbeit. Das erste Bestreben desselben muß sein, zu erfahre», ob sein Drama für die Auf¬ führung geeignet, ob in seinem Inhalt nichts Bedenkliches, und ob die Ausführung den Gesetzen der Darstellung gemäß, d. h. bühnengerecht sei. Zu diesem Zweck thut er gut, die Verbindung mit einer respectablen Bühne zu suchen, nicht nur, damit sie sein Stück aufführe, sondern zunächst, damit die leitenden Kräfte derselben ihn ehrlich und im Detail ihr Urtheil über Brauchbarkeit und Werth seiner Arbeit mittheilen. Für den Oestreicher wird das Burgtheater wohl immer die erste und letzte Instanz bilden, und die Persönlichkeit seines Dirigenten ist vorzüglich geeignet, ihn zum Rathgeber und Förderer jüngerer Talente zu machen. Sonst freilich sind die größte» Bühnen nicht gerade am willigste», diese erste stille Arbeit dem Verfasser z» Gefälle» z» thun. Ihre Vorstände sind entweder als Geschäftsleute zu viel beschäftigt, oder als repräsentirendc Hofchargen zu wenig geneigt in Einzelnheiten einzugehen, auch ist das Einstudiren »euer Stücke bei ihnen nicht so häufig, als bei Bühnen, welche el» kleineres Publicum haben. Wir genießen gegenwärtig das Glück, einige mittlere Bühnen zu besitzen, deren Directoren intelligente und warme Freunde der Kunst sind, z. B. Karlsruhe, Weimar u. s. w. Der Dichter sende das Manuscript seines Dramas an diese, und bitte um ihr Urtheil. Sie werde» ihm im günstigste» Fall wahrscheinlich manche Aeiidernngen, fast sicher hier und da Kürznngeu vorschlagen. Die Kür¬ zungen und etwaige Aenderungen in Scenerie, Arrangement möge er möglichst widerstandslos und willig acceptiren, es ist zehn gegen eins zu wetten, daß die erfahrenen Rathgeber ihm gegenüber Recht haben. Aenderungen im Inhalt möge er reiflich überlegen. Dies erste Eindringen der Kritik in den behaglichen Frieden eines DichtergemütheS, welches sich gerade der Vollendung eines Werkes freut, ist für eine weiche Orgauisativ» vielleicht schmerzlich, aber es ist gesund wie el» frischer Luftzug in lauer Sommerl»se. Der Dichter soll sein Werk hoch¬ achte» und liebe», so lange er es als Ideal in sich trägt »ut tara» arbeitet; das fertige Werk muß auch für ihn abgethan sein, es muß ihm fremd werden, und damit er sich davon befreie, höre er aufmerksam auf die Kritik der Urteils¬ fähigen und fordere die strengste. Hat der Dichter die zweckmäßigen Aenderungen vorgenommen, so wird sein Werk bei dem Theater, mit dem er sich vertrauensvoll in Verbindung gesetzt hat, wahrscheinlich bald aufgeführt werde». Ist es ihm möglich, dieser Aufführung beizuwohnen, so wird das ihm sehr nützlich sein, weniger deshalb, weil er selbst die Uebelstände und Mängel seiner Arbeit erkennen wird, denn bei jungen Schrift¬ stellern kommt die Selbsterkenntnis? nicht so schnell, sondern weil auch dem 36*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/291>, abgerufen am 24.07.2024.